Editorial

Freundliche Anarchie

| Bernd Drücke (GWR-Koordinationsredakteur)

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Liebe Leserinnen und Leser,

Immanuel Kant hat Anarchie 1798 definiert als „Freiheit und Gesetz ohne Gewalt“. Keine schlechte Definition. Anders als wir Anarchist*innen hatte der Philosoph die Anarchie aber nicht als erstrebenswert angesehen. Für mich ist Anarchie ein freiheitlicher Sozialismus, das Ideal einer auf gegenseitiger Hilfe und freier Kooperation fußenden Ordnung ohne Chef und Staat. Eine sozial gerechte, ökologische, gewaltfreie und herrschaftslose Gesellschaft.

Trotzdem habe ich nicht frohlockt, als u.a. die „Stuttgarter Nachrichten“ am 8. Juli 2017 den Artikel „Anarchie im Schanzenviertel“ auf die Titelseite pfefferten. Denn die Zeitungen, die diese hirnrissige dpa-Meldung druckten, benutzten den schönen Anarchiebegriff, wie so oft, zur Gleichsetzung mit Chaos, Terror und Gewalt. Untertitel „Krawallnacht bei G20 in Hamburg“.

Diese ständige Diffamierung des Anarchiebegriffs unterscheidet die meisten Medien des Landes von der kleinen Zeitschrift Graswurzelrevolution. Wir haben diesmal auch einen Artikel mit dem Titel „Anarchie in Hamburg“ auf die Titelseite gesetzt. Hier geht es aber um einen Kongress, der vier Tage lang tatsächlich den verführerischen Duft der Anarchie durch die Uni Hamburg pustete.

Der allgemeinen Medienhetze zum Trotz interessieren sich offensichtlich viele Menschen für die Anarchie. So hat mich am 30. Oktober 2019 Josef Muehlbauer vom „Varna Institute for Peace Research“ (VIPR) aus Wien per Skype interviewt und den Mitschnitt unter dem Titel „Graswurzelrevolution, Libertäre Presse, Pazifismus, Anarchismus“ dokumentiert. (1)

In der Stadtbücherei Münster hingegen ist Anarchie in der Regel kein Thema – am 19. November 2019 aber schon. Der Aktionskünstler Thomas Nufer hatte mich eingeladen, dort über „Was hat Anarchie mit Freundlichkeit zu tun?“ zu referieren. Zwar ignorierten die meisten Medien diese vermutlich erste Veranstaltung zum Thema, aber Werner Szybalski schrieb einen Bericht (2) und MünsterTube veröffentlichte einen Videomitschnitt (3).

Gefreut habe ich mich auch, dass die Radio Graswurzelrevolution-Sendung mit Vera Bianchi zu den „Frauen in der Spanischen Revolution“ (4) laut „NRWision-Charts“ auf Platz 13 der meistgehörten Bürgerfunksendungen in NRW gelandet ist. (5) Und manchmal gelingt es sogar, libertäre Inhalte in die „Mainstream-Medien“ zu bekommen. So wurde Lou Marin im Oktober 2019 im Österreichischen Fernsehen zu dem von ihm und Horst Blume im Verlag Graswurzelrevolution veröffentlichten Buch „Gandhi. ‚Ich bin Anarchist, aber von einer anderen Art‘“ interviewt. Und in einem Podcast des SWR redet der GWR-Mitherausgeber über Albert Camus und den Anarchismus. (6)

Der Radiomacher Rolf Cantzen hat mich und andere Atheist*innen für den WDR zum Thema „Tod ohne Gott. Eine säkulare Kultur des Trauerns“ befragt. Die Sendung wurde am Totensonntag (24.11.2019) auf WDR 3 und WDR 5 ausgestrahlt und kann fünf Jahre online gehört werden. (7)

Zu diesem Thema passt, dass Nachrufe auf den GWR-Autor Wolf-Dieter Narr (1937-2019), u.a. aus der GWR 443, nun u.a. auch auf einer DadA-Web-Gedenkseite zu finden sind. (8)

Für ein Klima der Utopie: GWR 444

Die GWR ist ein Sprachrohr sozialer Bewegungen. Also ist es nicht erstaunlich, dass wir auch diesmal wieder einen „Klima-Schwerpunkt“ haben, in dem es u.a. um ökologische Sensibilität, Wachstums-kritik, Repression, Dystopien und libertäre Utopien geht. Weitere Artikel beschäftigen sich u.a. mit „30 Jahre Mauerfall“, der Bewegungsstiftung, dem Anarchisten Max Nettlau und dem Alarmphone.

Den zweiten Schwerpunkt der GWR 444 bilden unter der Rubrik „Wir sind nicht alleine“ die Berichte aus Chile, Algerien, Spanien, Griechenland, USA und Kolumbien. Sie ermöglichen internationale Solidarität, Vernetzung und den Blick über den Tellerrand.

Solidarität mit den Gefangenen für den Frieden

Zum Internationalen Tag der Gefangenen für den Frieden am 1. Dezember bittet die War Resisters‘ International (WRI), zu deren Mitgliedern auch die Graswurzelrevolution zählt, um Solidarität mit Menschen, die in vielen Ländern der Welt wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung oder ihres Engagements für Frieden inhaftiert sind. Ihre Namen und Gefängnisadressen werden in der Liste der Gefangenen für den Frieden veröffentlicht. (9)

Die WRI ruft dazu auf, den Gefangenen Kartengrüße als Zeichen der Solidarität und der Ermutigung in die Haft zu schicken. Die Liste enthält die Adressen von Gefangenen stellvertretend für viele andere, deren Adresse unbekannt ist oder die keine Publizität wünschen. Karten können privat geschrieben werden oder, wie es zum Beispiel die DFG-VK Mainz am Freitag, den 6. Dezember, ab 19 Uhr in der Walpodenstraße 10 in Mainz macht, gemeinsam mit Live-Musik, Bildern, Filmen, Speis und Trank. (10)

Wer für die GWR 445 einen Artikel schreiben möchte, sollte sich beeilen. Redaktionsschluss ist schon am 8. Dezember.

Viel Spaß beim Lesen, Schreiben, Diskutieren! Anarchie und Glück,

 

 

 

„Swinging Trump“. Linolschnitt von: Wilfried Porwol