Habibi.Works

Solidarität und Selbstorganisation. Workshops für Geflüchtete in Nordwestgriechenland

| Peter Oehler

Eine bunt angemalte Lagerhalle unter blauem Himmel
Hauptgebäude (ehemalige Lagerhalle) von Habibi.Works. Foto: Peter Oehler

Beim Lesen einer Fachzeitschrift für Migration und Soziale Arbeit bin ich im Sommer 2019 über einen eigensinnigen Namen gestolpert: Habibi.Works (das Wort „Habibi“ kommt aus dem Arabischen und bedeutet soviel wie Schatz oder Liebling). Ich las, dass es sich dabei um ein Flüchtlingsprojekt in der Nähe von Ioánnina handelt. Und ich erfuhr, dass auch in dieser Gegend im Nordwesten Griechenlands viele Flüchtlinge leben, in der Region Épirus sind es über 3.000, was mir vorher gar nicht bewusst gewesen ist. Da meine bereits geplante Griechenlandreise mich auch durch diese Gegend bringen sollte, entschied ich, Kontakt zu Habibi.Works aufzunehmen und zu versuchen, mich dort als Volunteer zu engagieren.

Das Flüchtlingscamp Katsikás

Fährt man von Ioánnina, der Hauptstadt von Épirus im Nordwesten Griechenlands, Richtung Süden durch die kleinen Städte Anatolí und Katsikás und dann weiter, so kann man rechts der Landstraße eine Anordnung von überwiegend grauen, alten Hangars sehen. Das ist das Flüchtlingscamp Katsikás, ein ehemaliges Militärlager mit dem Status eines Militärgebiets. Es beherbergt rund 900 Flüchtlinge und wird vom ASB im Auftrag des griechischen Staats geleitet, mit Unterstützung des UNHCR.

Habibi.Works

In unmittelbarer Nähe zum Flüchtlingscamp Katsikás, links der Landstraße, befindet sich Habibi.Works, untergebracht in einer ehemaligen Lagerhalle. Dieses Flüchtlingsprojekt wurde 2016 von dem deutschen Verein „Soup & Socks“ initiiert (1). Es versteht sich nach eigenen Angaben als interkultureller „Makerspace“. Es stellt den BewohnerInnen des Flüchtlingscamps (aber auch lokalen Griechen) eine Plattform für Bildung, Empowerment und Begegnungen zur Verfügung, da sie ansonsten kaum Zugriff auf Bildung, psychologische Betreuung, den Arbeitsmarkt, würdevolle Lebensbedingungen oder die griechische Gesellschaft haben.

Mittels verschiedener Workshops sollen ihnen Perspektiven geschaffen werden. Zum Beispiel gibt es eine Holzwerkstatt, eine metallverarbeitende Werkstatt, eine Schneiderei, ein Kreativ-Atelier, ein Media Lab mit IT-Bereich, 3D-Drucker und Laser-Cutter, eine Fahrradwerkstatt in einem Schuppen neben dem Hauptgebäude, eine Bibliothek in einer Holzhütte sowie einen im Freien gelegenen umzäunten Bereich für Gymnastik, wo unter anderem gespendete Fitness-Geräte zur Verfügung stehen. Zu Habibi.Works gehören außerdem noch ein Gemüsegarten, der auch von Flüchtlingen betreut wird, Gänse, Hühner sowie zwei zugelaufene Hunde.

Hier begegnet man geflüchteten Menschen auf Augenhöhe. Denn man möchte in ihnen nicht hilflose Opfer sehen, sondern ihre Talente und Expertisen erkennen und fördern. Bildung und Betätigung – etwas selber tun – stehen also im Vordergrund. Habibi.Works sieht sich als lebendiges Beispiel für Werte wie Respekt, Solidarität und Gleichheit, die man gerne in der ganzen Gesellschaft gelebt sehen möchte. Habibi.Works ist bewusst unabhängig von allen staatlichen Geldern, finanziert sich deshalb nur über Spenden. Deren Akquise ist mühsam und zeitaufwändig, aber es werden zirka zwölftausend Euro pro Monat für die Unterhaltung von Habibi.Works benötigt.

Der Arbeitsalltag bei Habibi.Works

Der Tag beginnt bei Habibi.Works mit einem gemeinsamen Frühstück der Teammitglieder. Habibi.Works ist an fünf Tagen in der Woche von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Die Workshops werden zur Mittagszeit unterbrochen. Denn dann wird eine aus Tüchern und Decken gebildete lange Bodentafel entlang der ganzen Halle ausgebreitet. Hier wird das Mittagessen von den zirka 60 bis teilweise über 100 Gästen verspeist. Es wird in der Habibi.Kitchen von einigen Freiwilligen und Gästen gemeinsam gekocht. Regelmäßig gibt es ein „Big Community Meeting“: Hierbei wird in mehreren Sprachen das Konzept von Habibi.Works erläutert, dass das zum Beispiel ein offener Ort ist, der allen zur Verfügung steht. Die Anwesenden sind aufgefordert, über Probleme zu sprechen. Außerdem werden die neuen temporären Workshops vorgestellt.

Sechzig Kilometer südlich von Ioánnina gibt es ein weiteres Flüchtlingscamp: Filippiada in der Nähe von Arta, mit etwa 300 Flüchtlingen. Da es dort keine entsprechenden Angebote gibt, werden Interessierte zweimal die Woche mit Bussen zu Habibi.Works gefahren. Da insbesondere in den Werkstätten Kinder von fünf bis 15 Jahren eher stören würden, steht ihnen Habibi.Works nicht zur Verfügung. Das gilt außer samstags, denn das ist der „Kids Day“, wo gerade sie eingeladen sind. An den Samstagen geht es dann auch ziemlich turbulent zu.

Repair (Café) Workshop

Bei Habibi.Works habe ich zwei Wochen lang einen Repair (Café) Workshop angeboten. Also die Reparatur von kaputten Elektronikgeräten gemeinsam mit den BesucherInnen gemacht. Die Resonanz bei ihnen war sehr gut. Ich war überrascht, dass es sich bei den kaputten Geräten fast ausschließlich um Smartphones und deren Zubehör gehandelt hat. Aber das liegt auf der Hand, da Geflüchtete in Massenunterkünften keinen eigenen Hausstand besitzen. Manches konnten wir reparieren, aber vieles auch nicht, da die Ersatzteilbeschaffung vor Ort schwierig war, vor allem Displays und µ-USB-Buchsen.Obwohl ich ja anfangs fremd für die Flüchtlinge gewesen bin, haben viele von ihnen mit mir das Gespräch gesucht – meist in gebrochenem Englisch. Mir ist erst nach und nach klar geworden, dass dieser persönliche Austausch vielleicht sogar wichtiger ist als ein repariertes Handy.

Gespräche mit Geflüchteten

Im Gespräch mit zahlreichen Gästen bei Habibi.Works konnte ich gut nachvollziehen, was sich gerade in Griechenland bezüglich Flüchtlinge abspielt. Dass nämlich die wieder verstärkte Ankunft von Geflüchteten auf den ostägäischen Inseln diesen Sommer dazu geführt hat, dass auch vermehrt Flüchtlinge von dort aufs Festland von Griechenland gebracht werden (mussten).

Eine Gruppe von Flüchtlingen beim Mittagessen in Habibi.Works
Geflüchtete beim Mittagessen in Habibi.Works. Foto: Peter Oehler

Anders als bei den im Mittelmeer zwischen Libyen und Italien aufgegriffenen Flüchtlingsbooten, denen die Einfahrt in italienische oder maltesische Häfen verweigert wurde, was zu einer Diskussion über die Verteilung der betroffenen Geflüchteten auf ganz Europa geführt hat, wird Griechenland mit „seinen“ Flüchtlingen doch von der EU ziemlich alleine gelassen.

Ich habe dabei fast ausschließlich mit Afghanen gesprochen. Von denen war fast jeder für gewisse Zeit in dem „Hotspot“ Moria auf Lesbos untergebracht gewesen. Viele waren erst seit zehn Tagen oder einem Monat von Lesbos hierher gebracht worden. Mir wurde berichtet von Verwandten, die von den Taliban umgebracht worden sind. Das hat dazu geführt, dass eine ganze afghanische Familie in den Iran geflüchtet ist. Aber der Iran ist schlecht für Afghanen. Denn sie dürfen weder ein Haus, noch ein Auto kaufen. Das wurde mir von einem anderen Afghanen bestätigt: Sie dürften dort noch nicht einmal eine SIM-Karte kaufen. Sie bräuchten dafür einen Iraner als Mittelsmann. So ist es nicht verwunderlich, dass sich viele der Afghanen, die zunächst in den Iran geflüchtet sind, weiterziehen, über die Türkei nach Griechenland, nach Europa.

Öfters habe ich von den BewohnerInnen des Flüchtlingscamps gehört, dass Griechenland zwar ein schönes Land sei. Aber nur für die TouristInnen. Da es kaum Arbeit gibt – selbst für die Griechen nicht -, ist es für sie unattraktiv, hier zu bleiben. Sie möchten weiterziehen, nach Deutschland oder Frankreich oder andere Länder im Norden. Englischkurse sind begehrt, aber es werden nicht viele Kurse angeboten. Hierfür gibt es „Second Tree“ (secondtree.org), eine befreundete NGO aus Ioánnina, die Sprachkurse in Englisch und Griechisch anbietet, aber auch einen Kindergarten betreibt und sich um jugendliche Geflüchtete kümmert. Also genau das, was bei Habibi.Works nicht auf dem Programm steht.

Das Team und diverse Workshops

Habibi.Works wird überwiegend von jüngeren Menschen auf freiwilliger Basis betrieben, zum einen Langzeit-Volunteers, die stellenweise schon über Jahre hier in Vollzeit arbeiten, zum anderen Kurzzeit-Volunteers für drei Wochen und mehr. Die Teammitglieder kommen dabei überwiegend aus Deutschland, aber während meines Aufenthalts waren auch welche aus Griechenland, den Niederlanden, Spanien, Palästina, Jordanien, England und den USA dabei. Der feste Stamm des Teams leitet dabei überwiegend die etablierten Workshops. Daneben werden temporäre Workshops angeboten, zu meiner Zeit waren das einer zum Thema Health Care sowie ein Soap-Workshop, also Seifenherstellung. Außerdem war eine dreiköpfige Artistengruppe aus Ioánnina ein paar Tage hier. Sie haben vor der Lagerhalle einen kleinen, offenen Dom, der aus Metallstangen und Gelenken zusammengeschraubt wird, aufgebaut, und mit den Gästen Artistisches geübt: Jonglierbälle, Diabolos, Hula-Hoop-Reifen etc.

Interessant fand ich auch das länger angelegte Projekt Home.Work von Thomas, einem Produktdesign-Student an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach. Er hat dafür eine Box aus Holz entwickelt, die mit diversen Werkzeugen gefüllt ist (die er sich von Werkzeugherstellern spenden lässt), und die so aufgestellt werden kann, dass sie als stabiler Tisch zum Arbeiten benutzt werden kann. Er möchte damit Geflüchtete ermächtigen, auf sich selbst gestellt überlebensfähig zu sein. Sich nämlich mit diesen Werkzeugen und (notfalls Abfall-)Materialien Sachen zum Leben selber herstellen zu können.

Johannes, ein Journalist aus Berlin, war eine Woche bei Habibi.Works, um die Aufnahmen für einen Film über Habibi.Works zu machen. Dazu hat er Interviews mit insgesamt sechs Teammitgliedern gemacht. Eines auch mit mir. Rory, ein englischer Journalist, war zur gleichen Zeit bei Habibi.Works. Er hat dem Team in drei Präsentationen aktuelle Informationen und Hintergrundwissen zur Flüchtlingsproblematik erläutert. Die Entwicklung der „Dublin Convention“, Teil 1, 2 & 3 hat er mit dem englischen Sprichwort „The proof of the Pudding is in the Eating“ verglichen. Der EU-Türkei-Deal ist illegal, insbesondere auch die Vereinbarung mit der türkischen Polizei und Küstenwache, Menschen am Ausreisen zu hindern. Mit aktuellen Zahlen zeigte er, dass in den letzten Monaten nicht nur wieder viel mehr Flüchtlinge auf den ostägäischen Inseln angekommen sind, sondern dass ebenfalls das Abfangen der Flüchtlingsboote durch die türkische Küstenwache zugenommen hat. Man kann also nicht behaupten, dass Erdoğan „die Tore geöffnet“ hat.

Julia aus den USA war ein paar Wochen bei Habibi.Works. Sie hat sich dabei Gedanken gemacht bezüglich Beschäftigungsmöglichkeiten für Geflüchtete, und das auch in einer Präsentation dem Team zur Diskussion vorgestellt. Da es nur wenige Jobs in Griechenland gibt, gingen ihre Vorschläge darum, wie man sie unterstützen kann, um sich selbständig zu machen. Beispielsweise in Form einer Bäckerei oder eines Internet-Angebots für Photoshop-Arbeiten. Es wurde die Möglichkeit diskutiert, ob Habibi.Works als Arbeitgeber auftreten könnte, um Geflüchtete als Subunternehmer mit ihren kleinen Geschäften zu beschäftigen und zu bezahlen. Eine durchaus kritische Idee, da Habibi.Works „non Profit“ arbeitet. Auch stellt sich die Frage, ob man auf solche Weise mit viel Aufwand einigen Wenigen auf die Beine helfen soll, oder ob es nicht besser sei, Viele ein wenig zu unterstützen. Auch hier wurde mir wieder bewusst, dass die Anforderungen an die Flüchtlingshilfe sich zum Teil erheblich unterscheiden zu denen in Deutschland.

Zu guter Letzt noch der Hinweis, dass sowohl Habibi.Works auf Spenden angewiesen ist (habibi.works/donate), als auch das Home.Work-Projekt vom Thomas (2).

Peter Oehler, November 2019

Anmerkungen:

1) soupandsocks.eu/de/habibi-works, habibi.works

2) habibi.works/home-work, Stichwort Home.Work