Ein Blick auf die Situation der Frauen innerhalb der starken indigenen Bewegung im Cauca bietet ein ambivalentes Bild: Die Bewegung ist für sie ein Ort, in dem sie Emanzipation verwirklichen können, in dem sie andererseits aber auch auf Machismo und Widerstand stoßen. Probleme, aktuelle Themen sowie grundlegende Herausforderungen der indigenen Frauen und ihrer Organisierung wurden exemplarisch auf einem ihrer Treffen deutlich.
Zu Beginn des Treffens feiern die rund 70 Aktivistinnen eine Zeremonie. Angeleitet von Doña Emelda Jiménez wird den für die Bewegung gestorbenen und ermordeten Kämpferinnen gedacht, ihnen Essen und Getränke dargeboten. „Sie sind hier bei uns. Ihr Mut und ihre Kraft sollen uns leiten“, sagt Doña Emelda. Mit dieser inneren Stärkung stimmt sich die Gruppe auf das Treffen ein, kommt zusammen. Auch uns haben sie eingeladen. Doña Emelda erklärt uns, wie für sie als Indigene alles miteinander verbunden, alles belebt ist: Pflanzen, Wasser, Menschen, Luft, Tiere, territorio (Gebiet). Aus diesem Verständnis der Welt sei es wichtig, einen guten Ausgleich zwischen all diesen Elementen zu schaffen, alle als Subjekte zu respektieren, die Verbundenheit miteinander ernst zu nehmen – für Harmonie in sich und der Welt zu sorgen.
Indigene Bewegung
Das Departamento Cauca liegt im Südwesten Kolumbiens. In den Hängen der Zentralkordilleren leben viele indigene Gemeinden. Hier führen (neo)koloniale Ausbeutungsstrukturen zu großer wirtschaftlicher Not. Der bewaffnete Konflikt zwischen kolumbianischem Staat und verschiedenen Guerillas traf die Zivilbevölkerung besonders hart. Drogenkartelle und paramilitärische Gruppen terrorisieren die Bevölkerung bis heute. Besonders Frauen sind von Armut, fehlender Bildung und Gewalt betroffen.
Aufgrund ihrer schwierigen Lage organisieren sich seit 1971 immer mehr der indigenen Gemeinden im Consejo Regional Indigena del Cauca (CRIC, Indigener Regionalrat des Cauca). Gemeinsam kämpfen sie gegen ihre Diskriminierung als Indigene und die Ausbeutung als Kleinbäuer*innen. Mittlerweile sind rund 260.000 Menschen Teil des CRIC. Die Bewegung ist zu einer starken, emanzipatorischen Kraft und zu einem Vorreiter für ganz Kolumbien geworden.
Ihr zentraler Pfeiler sind die 94 Resguardos Indigenas (indigene Selbstverwaltungsgebiete), deren Autonomierechte nach langem Kampf durch die kolumbianische Verfassung von 1991 offiziell anerkannt wurden. In den Selbstverwaltungsgebieten organisieren die Menschen ihre Verwaltung, sowie Teile ihrer Bildung, Gesundheitsversorgung und Wirtschaft nach eigenen Vorstellungen und unter Beteiligung der gesamten Gemeinde. Das Land ist Kollektivbesitz und unveräußerlich.
Das Programa Mujer
1993 beschloss die indigene Bewegung die Gründung des Programa Mujer als eigene politische Abteilung innerhalb des CRIC. „Es wurde gegründet, da die Frauen schon lange Teil der Kämpfe zur Verteidigung der Selbstverwaltungsgebiete waren und gleichzeitig speziell von einigen Problemen betroffen waren”, berichtet Maria Anacona vom Programa. „Die Rechte der Frauen sollten bekannt gemacht und verteidigt werden.“
Jedoch treffen Frauen und ihre Anliegen in der Bewegung auch auf viele Widerstände. So erzählt Luciana Velacso, Trainerin des Programa Mujer: „Es war nicht der CRIC, der gesagt hat ‚Hier ist ein Raum für die Frauen‘. Diese Räume wurden nur durch den Kampf von uns Frauen erreicht.“ Und Nelly Valencia, Koordinatorin des Programa, ergänzt: „Wegen des Machismo in der Bewegung war und ist es sehr schwer, sichtbar zu werden. Wir indigenen Frauen mussten Widerstand innerhalb des Widerstands leisten.“
Gewalt gegen Frauen
Die fehlende Unterstützung wird auch beim Treffen der Frauen deutlich. Da das Programa Mujer keine eigenen Räume hat, findet es auf dem überdachten Parkplatz des Gesundheitsprogramms statt. Dennoch wird lange und engagiert diskutiert – zunächst über den Umgang des selbstverwalteten Justizsystems mit der massiven und alltäglichen Gewalt, die indigene Frauen im Cauca erleben. Diese geht von externen Akteuren wie Paramilitärs und Drogenkartellen aus, aber auch von Männern aus den indigenen Gemeinden sowie von Verwandten und Ehemännern. Eingebettet ist sie, so die Analyse der Frauen, in die strukturellen Gewaltverhältnisse von Armut, kapitalistischen Marktstrukturen, fehlender Bildung und Rassismus. Gegenmaßnahmen gegen diese umfassende Gewalt bilden einen der Schwerpunkte des Frauenprogramms.
Das sich im Aufbau befindende eigene Justizsystem wollen die Frauen stärken, da es das rassistische und korrupte staatliche System ablöst. Gleichzeitig kritisieren sie: Frauen, ihre Erfahrungen und Bedürfnisse werden oft zu wenig mitgedacht. Spezifische Verbrechen, die vor allem Frauen treffen, werden nicht angemessen behandelt. Die Frauen fordern daher, dass ihre Perspektive und Sachverstand stärker einbezogen werden, und sammeln dazu viele konkrete Vorschläge. Auch planen sie, Frauenhäuser einzurichten, um Frauen vor der Gewalt durch Ehemänner zu schützen.
Teilhabe
Ein weiteres Thema des Treffens ist die Beteiligung von Frauen in den Strukturen der Bewegung. In der Bewegung sind seit Beginn viele Frauen aktiv, mittlerweile haben einige von ihnen Ämter in den Selbstverwaltungsgebieten und in den verschiedenen Institutionen des CRIC inne. Innerhalb der eigenen Strukturen boten sich indigenen Frauen aus armen, ländlichen Gemeinden erstmals weitgehende Möglichkeiten Ausbildungen zu machen, Arbeitsstellen anzunehmen und politische Ämter zu bekleiden. Viele Frauen erzählen selbstbewusst davon, wie sie sich so trotz Hindernissen weiterentwickeln konnten und etwas erreicht haben.
Dennoch fehlt für eine gleichwertige Beteiligung der Frauen in der Bewegung noch viel. „Die Entscheidungspositionen sind fast ausschließlich von Männern besetzt“, berichtet Nelly. „Im Obersten Rat des CRIC sind momentan acht Männer und nur eine Frau. Von den Koordinator*innen der Abteilungen sind nur zwei weiblich. Unter den 126 lokalen Autoritäten sind lediglich 15 Frauen.“ Rosalba Velasco ist als Ratsvorsitzende der Resguardos im Nord-Cauca eine der wenigen Frauen in hohen Ämtern der Bewegung. Sie berichtet: „Ich habe ermittelt, dass die Beteiligung der Frauen 50 Prozent entspricht. Die Hälfte des Verwaltungspersonals im Nord-Cauca ist weiblich. Aber wir Frauen sind vornehmlich mit Sorge- und Alltagsaufgaben betraut, wie der Krankenpflege, der Erziehung und dem Kunsthandwerk. Das ist zwar ein wichtiger Beitrag. Aber die Frauen besetzen keine Ämter mit Entscheidungskompetenz.“
Ein weiterer Schwerpunkt des Programa Mujer liegt deshalb in Schulungen zur politischen Teilhabe. Die Trainerin Gloria Díaz berichtet: „Wenn wir mit unseren Schulungen zu den Frauen in den Gemeinden kommen, sind sie schüchtern und haben Angst öffentlich zu sprechen. Es ist ein großer Erfolg zu sehen, dass sie im Laufe des Prozesses, nach einem halben Jahr etwa, in den Kommissionen und Versammlungen ihre Stimme erheben, Vorschläge machen, die Sitzung leiten. Viele Frauen übernehmen anschließend Ämter und geben ihr Wissen und Selbstvertrauen an andere Frauen weiter.“
Kampf als Frauen, Kampf als Indigene
Es ist ein komplexes Feld, in dem die Frauen für ihre Rechte und Würde streiten: Einerseits wollen sie zusammen mit den Männern gegen den Rassismus, die Ausbeutung und Vernichtung kämpfen, die sie als Indigene und Kleinbäuer*innen erfahren, andererseits müssen sie sich gegen die Gewalt und den Machismo der indigenen wie der nicht-indigenen Männer wehren. „Wir werden dreifach unterdrückt: dafür Frau zu sein, dafür Indigene zu sein und weil wir arm sind“, fasst Nelly zusammen.
Sie betont, dass sie aus dieser Situation heraus einen anderen Weg als den europäisch und urban geprägten Feminismus eingeschlagen haben. Ihre Probleme sind mit denen der Gemeinden insgesamt verbunden. Ihre Forderungen stehen nicht für sich alleine und können nicht durch reine Opposition gegen die Männer erreicht werden. Viele Frauen betonen daher, dass sie sich eine Allianz mit den Männern der Bewegung wünschen. „Lasst uns gemeinsam gehen, Männer und Frauen, und uns gegenseitig unterstützen! Das haben wir indigenen Frauen immer wieder gesagt. Nur so können wir das Gewicht dieser jahrhundertelangen Diskriminierung der indigenen Gemeinden tragen”, so Nelly.
Der gemeinsame Kampf als Indigene wird stärker, so der Appell der Frauen, wenn die Frauen gleichberechtigt teilhaben und respektiert werden. Diesen Appell betten sie in das indigene Weltverständnis ein, das eine zentrale Ressource der Bewegung darstellt. Die Frauen bauen darauf auf, wenn sie von den Männern fordern, die indigenen Wahrnehmung der Welt wirklich zu leben. In dieser werden Männer und Frauen als gleichwertige, aufeinander bezogene Teile eines Ganzen gesehen. Passend dazu steht auf einem Poster im Restaurant des Frauen-Programms: „Für die Befreiung der Mutter Erde braucht es Frauen frei von Gewalt“ und „Sex ist eine Umarmung mit Respekt, Zärtlichkeit mit Liebe – Respekt für meinen Körper, mein Land, mein territorio”.
Kaffeekollektiv Aroma Zapatista
Zur Autor*in: Das Kaffeekollektiv Aroma Zapatista handelt solidarisch mit Kaffee politischer Bewegungen. Es besteht aus je drei weißen Frauen und Männern.
Kaffee von Frauen der Bewegung
Die Kooperative der indigenen Bewegung im Cauca CENCOIC und das Hamburger Kaffeekollektiv Aroma Zapatista haben gerade gemeinsam den Espresso „Tierra y Luna“ („Land und Mond“) auf den Markt gebracht. Dieser wird aus Kaffee geröstet, der von Frauen der Kooperative angebaut wurde. Die Frauen sind eigenständige Mitglieder der Kooperative. Alle haben ihr eigenes Feld, tragen die wirtschaftliche Verantwortung und verfügen über die Einnahmen. Neben der Förderung ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit soll die neue Kaffeesorte die Sichtbarkeit der indigenen Frauen und ihres Beitrags für die Bewegung erhöhen. Darüber hinaus kommt ein fester Teil der Verkaufserlöse dem Programa Mujer, der Organisierung der Frauen in der Bewegung, zugute.
Lesetipp: zwischenzeit e.V. (Hg.), Land, Kultur und Autonomie. Die indigene Bewegung im Cauca (Kolumbien), Münster 2019.
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.