Aktionszeitung A-Feminismus

Alle gleich – oder nicht oder doch?

| Elisabeth Voß

Ob Politgruppe, Soliprojekt oder selbstverwalteter Betrieb: Wo „wir“ das Sagen haben, da sind alle gleich. Da gibt es keine Hierarchien, Macht sowieso nicht, und das Patriarchat bleibt draußen. Aber leider, leider gibt es keinen Automatismus, der garantiert, dass dieses ganz Andere, das Morgen im Heute, sich von selbst einstellt, wenn es keine Funktionär*innen, Leiter*innen oder Chef*innen gibt.

Menschen sind verschieden – ein Glück auch, wer wollte ständig in den Spiegel schauen müssen. Aber diese Verschiedenheit bringt auch unterschiedliche Befähigungen mit sich, im kollektiven Miteinander die eigenen Interessen einzubringen. Es ist ja keineswegs so, dass alle immer das Gleiche wollen. Da kommen unterschiedliche Erfahrungen und weltanschauliche Überzeugungen zusammen, nicht selten auch das Bedürfnis nach Gemeinschaft, oder auch Kalkül, oder eine Mischung aus all dem, vielleicht um Erkenntnisse für die eigene akademische Laufbahn zu sammeln oder für einen Job oder Auftrag, aus Lust am Reisen oder aus dem Wunsch, auch mal in der Öffentlichkeit zu stehen.

 

Darüber spricht mensch nicht?

Um die eigenen Motive offen zu legen, ist es zunächst erforderlich, sie selbst überhaupt zu erkennen, und dann auch das Vertrauen zu haben, sie in der Gruppe sagen zu können. Dieses Vertrauen kann sich entwickeln, aber nicht eingefordert werden. Und so handelt auch in kollektiven Zusammenhängen zunächst jede*r für sich selbst, manche schneller oder lauter als andere, mit mehr oder weniger Ausdrucksfähigkeit und Überzeugungskraft ausgestattet. So stellen sich gerade in nicht-hierarchischen, oft recht unstrukturierten Gruppen schnell informelle Machtstrukturen entlang gesellschaftlich üblicher Dominanzen her.

Diese Dominanzen machen sich nicht nur an sozialer Herkunft, Bildung oder finanzieller Absicherung fest, sondern oft auch an Geschlecht, geografischer Herkunft oder körperlicher Leistungsfähigkeit. Intersektionale Verschränkungen solcher eher objektiven Privilegierungen bzw. Diskriminierungen mischen sich mit subjektiven Faktoren wie Durchsetzungsfähigkeit oder – auf keinen Fall zu vernachlässigen – persönlicher Nähe und Beliebtheit in der Gruppe. Auch die Unterschiede zwischen Gründer*innen und neu Hinzugekommenen gleichen sich im Zeitverlauf nicht automatisch aus. Und wer macht, hat oft die Macht, während, wer vorsichtiger und fragender unterwegs ist, mitunter auf der Strecke bleibt.

In nahezu jeder Gruppe gibt es (eher wenige) Macher*innen und (eher viele) Mit-macher*innen. Das ist so lange kein Problem, wie sich alle entsprechend ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten einbringen können. Viele Gruppen gäbe es nicht, wenn nicht Einzelne vorangegangen wären und einfach losgelegt hätten. Oft geht jedoch die Schere zwischen Macher*innen und Mitmacher*innen immer weiter auf, wenn dem nicht entgegengewirkt wird. Kommen dann noch (mitunter nur vermeintliche) Sachzwänge und Zeitdruck hinzu, kann auf beiden Seiten Unzufriedenheit entstehen. Die einen fühlen sich überfordert und halten den anderen ihre Passivität vor, während die anderen sich abgehängt fühlen und sich grollend zurückziehen.

 

Geschützte Räume

Unzufriedenheiten mit dem Miteinander anzusprechen erfordert Mut, je mehr, desto stärker der Anspruch ausgeprägt ist, dass alle gleich sein sollen. Leicht schleicht sich der Glaube „wir wollen keine Hierarchien, darum gibt es sie bei uns nicht“ ein, und der kann sich anfühlen wie ein Verbot, anders Empfundenes überhaupt zu äußern. Stattdessen wäre ein feministischer Ansatz von Selbstorganisation, nicht nur dem WAS – den gemeinsamen Zielen und Aktivitäten – Raum zu geben, sondern auch dem WIE des Miteinanders. Zum Äußern von Unbehagen könnte beizeiten freundlich eingeladen werden – beispielsweise in regelmäßigen Befindlichkeitsrunden. Manchmal ist schon mit dem Aussprechen der Druck raus, manchmal sind Verabredungen zur Abhilfe nötig. In jedem Fall geht anschließend die Zusammenarbeit leichter von der Hand, wenn sich alle voll darauf konzentrieren können, ohne ständig etwas runterschlucken zu müssen.

Selbstorganisierte Gruppen können sich geschützte Räume schaffen, in denen sie gemeinsam Sorge tragen für das Miteinander und für jede*n Einzelne*n darin. Dort kann zumindest im Kleinen die Ahnung von einer Gesellschaft entstehen, in der Verschiedenheiten solidarisch lebbar sind.01