Hat der Schweizer Autor P.M. unwissentlich das Buch zur Fridays for Future-Bewegung geschrieben? Sein neuer Roman „Das Gesicht des Hasen“ präsentiert eine revolutionäre Gelassenheit und eine „Neue Allianz“, die sich weltweit wie ein Virus ausbreitet und den Kapitalismus zu Fall bringen könnte.
Eigentlich dürfte dieses Buch gar nicht rezensiert werden. Es besteht die Gefahr, dem Buch die Spannung zu nehmen, plötzliche Wendungen zu verraten usw.; aber wer einen echten P.M. erwartet, der wird zwar erst mal auf die Folter gespannt, aber letztlich belohnt. Die Mischung dieses absolut unterschätzten Autors zwischen Sachbüchern („bolo‘bolo“ 1983, „Kartoffeln und Computer“ 2000, u.a.) und Romanen („Weltgeist Superstar“ 1980, „Die Schrecken des Jahres 1000“ 1996-99, u.a.) gehört seit knapp 40 Jahren zu seinem Markenzeichen: Die Kritik am Kapitalismus, ausgehend von den damaligen Häuserkämpfen in Zürich, seine Vorschläge für eine andere Welt – und seine Romane, die meist in den veränderten Verhältnissen spielen bzw. die bestehenden Verhältnisse zum Tanzen bringen.
Auf den ersten 160 Seiten könnte man vermuten, dass einem hier eine Mischung aus Wanderführer, Gourmet-Buch und Krimi erwartet. Veganer*innen seien gewarnt! Die Beschreibungen der Mahlzeiten im Hotel Manor House in den Cheviot Hills im Grenzgebiet zwischen Schottland und England ist ausgesprochen fleischlastig, inklusive des Schießens eines Hasen und im Gegensatz zur englischen Küche (gibt es so etwas überhaupt?) eher mediterran. Der Buchhalter Paul Sandhurst lernt dort die in den Vorruhestand versetzte Lehrerin Ann Dole kennen und lieben. Beide wandern durch die herbstliche Gegend, besichtigen archäologische Kleinode und werden nach und nach in eine kriminalistisch angehauchte Geschichte hineingezogen. Irgendwie wie bei Edgar Wallace – nur ohne Klaus Kinski; oder wie bei „Barnaby“ – nur ohne schönes Wetter.
Der Gesellschaftskritiker P.M. taucht hier nur blitzartig von Zeit zu Zeit auf, wenn er z.B. erklärt, dass Gourmets über Leichen gehen würden und dass Hasen weinen; wenn er aberwitzige Weinkritiken abgibt, oder meint, dass Druckknopfhemden was Anarchistisches hätten. Oder die beiden Protagonisten lernen im Hotel beim Abendessen eine junge Frau kennen, die sich als Resozialisierungsberaterin vorstellt und über die Absurdität des Gefängnissystems referiert, bis Polizisten kommen und sie abführen, weil sie eine entflohene Gefangene ist.
Dann aber treffen die Beiden auf Schloß Glengore, welches ein kleines Museum für Rechenmaschinen beherbergt, auf eine Gruppe „interstellarer Vagabunden“, die durch intergalaktische Wurmlöcher nach intelligentem Leben auf anderen Planeten suchen, und sich reisefertig machen, um die Erde zu verlassen. Vor 9.000 Jahren (unserer Zeitrechnung) haben sie den Menschen die Grassamen und somit die Grundsteine der Zivilisation in Form von Getreideanbau etc. gebracht. Aber das Römische Reich etwa war ein Fehler, dies hätte nicht passieren dürfen. Der Kapitalismus als eine zivilisatorische Krankheit. Sundhurst und Dole werden verbündete der Außerirdischen, die mit einem riesigen Knall die Erde verlassen, und unsere Helden fliehen nach Südfrankreich, ausgerüstet mit Geld und spezieller Technik.
In einem kleinen französischen Dorf treffen sie auf Verbündete, alte und neue Freunde. Sie alle verbindet, endlich die entscheidenden Fragen zu stellen und weniger darauf zu warten, dass die Politik alles für uns richtet: Wie wollen wir leben? Wie wollen wir haushalten? Welche Nahrungsmittel wollen wir wie anbauen? Wie wollen wir miteinander umgehen? usw. Und immer wieder tauchen die drei ineinander verflochtenen Ringe mit den Buchstaben NA auf. Die Menschen beginnen sich zusammen zu rotten, überall, um miteinander zu reden, sich auszutauschen, Fragen zu stellen, und nach Antworten zu suchen. Die „Neue Allianz“ nimmt Form an… (und es wäre kein richtiger P.M., wenn es nicht die dazugehörige Internetseite geben würde, die dies auch in der Realität angeht mit einem konkreten Vorschlag: www.newalliance.earth).
Die Welt wird – auch im Roman – selbstverständlich nicht gerettet, aber es gibt Ansätze dazu. P.M. will keine neue Ideologie, keine neue Doktrin aufstellen. Der Autor selbst ist seit den „Zürcher Unruhen“ (1979/80) politisch aktiv, Mitbegründer von Genossenschaften und Wohnprojekten und sieht unsere Zukunft nur in der gerechten Verteilung unserer Ressourcen und in einem Mehr an Miteinander statt Gegeneinander; ein Fünfsterne-Luxus für Alle, was durchaus möglich ist. Es geht also um eine Bewegung von unten, ein Aufbegehren, bzw. nicht mehr Mitmachen wie gehabt. Also: eine Bewegung, die der Fridays for Future ähnlich ist, die bei der Niederschrift des Romans noch gar nicht existierte, ausgelöst durch eine junge Frau mit einem selbst gemalten Protestschild. Niemand hat damit gerechnet, dass daraus in kürzester Zeit eine weltweite Bewegung entstehen könnte, deren Resultate allerdings noch offen sind. Der Unterschied zu Fridays for Future ist nur, dass hier keine Forderungen an die Regierung mehr gestellt werden. Sie haben ihre Berechtigung verloren. Es gilt, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Aber bei allem, was in der Welt schief läuft, gilt es trotzdem immer wieder einen Ansatz zu suchen, der dies in bessere Bahnen lenken könnte. Der Roman von P.M. und die durchaus ernst gemeinte Internetseite dazu sind Bausteine, Vorschläge… es liegt an uns, die Welt zu ändern.
P.M.: Das Gesicht des Hasen. Ein terrestrischer Roman, Hirnkost Verlag, Berlin 2019, 268 S., 18 Euro, ISBN: 978-3-947380-84-8
P.M. ist im März auf Lesereise in verschiedenen Städte mit seinem neu ca. März 2020 erscheinenden Sachbuch: „Warum haben wir eigentlich immer noch Kapitalismus?“, 100 S., 14 Euro, ISBN: 978-3-948675-12-7
Termine Lesereise von P.M.
16.03.20 Halle
17.03.20 Magdeburg
18.03.20 Kassel
19.03.20 Berlin
20.03.20 Hamburg
30.03.20 Tübingen
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.