Aktionszeitung A-Feminismus

Manifeste, Fanzines, Platten – Revolution Grrrl Style gestern und heute

| Anna Seidel

„WEIL wir mädchen uns nach platten, büchern und fanzines sehnen, die UNS ansprechen, in denen WIR uns mit eingeschlossen und verstanden fühlen“ – dieser Satz bringt die Sehnsüchte der Frauen in der Punk- und Hardcoreszene in den USA Anfang der 1990er auf den Punkt.

Auf der Bühne kommen Frauen selten vor. In Fanzines schwadronieren Typen über Typen und deren Gitarrenriffs, Demotapes und Labels. Auf Shows werden die Ladies eher als Deko-Element verstanden. Der Wunsch nach „platten, büchern und fanzines, die UNS ansprechen“ wird immer drängender, immer lauter und wird schließlich an den Anfang des legendären Riot-Grrrl-Manifestes gesetzt, das die inzwischen zur Riot-Grrrl-Ikone gewordene Kathleen Hanna 1991 erstmals im Bikini-Kill-Fanzine veröffentlicht. Das Manifest wird zum programmatischen Urtext einer ganzen Bewegung, die heute als ein wichtiger Ausgangspunkt der sogenannten Dritten Welle der Frauenbewegung gilt.

Kathleen Hannah, Bikini Kill, Sylvester Park, Olympia, 1991 Foto: Jonathan Haynes – CC BY-SA 2.0

Die Riot Grrrl-Bewegung

Im Manifest listet Kathleen Hanna 18 Gründe für die Notwendigkeit einer neuen Frauenbewegung auf. Es geht um eine von Sexismus geprägte Gesellschaft und um eine sexistische Subkultur, es geht ums Musik machen, um do it yourself und um Solidarität statt Konkurrenz unter Frauen: „WEIL es für uns mädchen einfacher werden soll, unsere arbeiten zu hören/sehen, damit wir unsere strategien teilen und uns gegenseitig kritisieren/applaudieren können.“ Die feministischen Themen der Mütter aus der Zweiten Welle werden mit dem sub- und popkulturellen Interesse der Töchter kombiniert. Sie erfahren eine Aktualisierung und eine Reformulierung in der Subkultur, der Riot Grrrl-Bewegung eben. Angeregt von den Aktivitäten um die Art-Schools in der Stadt Olympia im Staat Washington herum breitet sich die Bewegung aus. Junge Frauen richten Mailing- und Telefonlisten ein und gründen örtliche Gruppen, in denen sie sich regelmäßig austauschen. Sie gründen Bands, veranstalten Konzerte und Konferenzen, sie schreiben Fanzines – also selbstgestaltete und -kopierte Magazine – und rufen eigene Labels ins Leben, auf denen sie die Kassetten und Schallplatten ihrer eigenen Bands veröffentlichen. Die heißen etwa Babes in Toyland, Emily’s Sassy Lime oder Bikini Kill und spielen Punk und Hardcore, Indierock oder Singer-Songwriter-Sounds – es ist weniger ein musikalisches Genre als ein Mindset, eine Denkweise, was alle zusammenhält. Riot Grrrl-Gruppen touren in ihren Vans selbstorganisiert durch die USA und tragen die Ideen weiter und weiter.

 

Die eigene Stimme selbstbestimmt hörbar machen

Die Bewegung entwickelt eine Wucht, die ihre Protagonistinnen so wohl nicht antizipieren konnten. Riot Grrrl wird nicht nur auf Kellerkonzerten und in Plattenläden ein Thema, sondern auch auf den Titelseiten der großen amerikanischen Tageszeitungen. Die Berichterstattung findet nicht auf Augenhöhe statt. Aus den radikalen Frauen werden in USA Today und Co. bloß nervige Biester. Die Bewegung verweigert sich der Sensationslust der Medien fortan konsequenterweise komplett und konzentriert sich wieder darauf, die eigene Stimme selbstbestimmt hörbar zu machen: „WEIL wir die produktionsmittel übernehmen müssen, um unsere eigenen Bedeutungen zu kreieren“, so steht es ja schon im Manifest.

Das tut den Zielen der Bewegung gut. Riot Grrrl hat nachhaltig Schlagkraft! Aus Fanzines werden etablierte Magazine (Bitch und Bust etwa, Vorbilder für das deutschsprachige Missy Magazine), aus frühen und späteren Szene-Protagonist*innen werden weit über die Grenzen der Szene hinaus hörbare Aktivist*innen, wie eben Kathleen Hanna oder auch Beth Ditto.

Und obwohl Riot Grrrl inzwischen allerorten archiviert und historisiert wird, ist Riot Grrrl quicklebendig. Künstler*innen wie die Choreographin Olivia Hyunsin Kim oder die Musikerin Ilgen-Nur schreiben die Geschichte aktiv weiter. Die Agenda von 1991 gilt auch 2020 noch: „WEIL ich absolut 100%ig davon überzeugt bin, dass mädchen eine revolutionäre kraft haben, die die welt wirklich verändern kann und wird.“