Wie umgehen mit dem Schmerz, der ohnmächtigen Wut, den Frustrationen, Rückschlägen, Gefühlen der Verunsicherung, des Fremdseins und Scheiterns, die wohl jede*r kennt, dem/der das Leid der – menschlichen und nicht-menschlichen – Anderen nicht egal ist?
Der Untertitel des Sammelbandes von Essays, anderen Prosatexten und Gedichten „Wer zur Welt kommt, den bestraft das Leben“ deutet einen Weg an: „Von der Betrachtung zur Verachtung zum Trotz“.
Neo C.s Betrachtung durchstößt die angesehenen Oberflächen, „die Mauern des Schweigens“, „die Betonwände der Tötungsindustrien“. „Ich gehe mit offenen Augen durch die Gegend und wer das tut, findet viele Gründe, seine Augen schnell wieder zu schließen. Doch genau davor, denke ich, müssen wir uns hüten. Gerade weil die Leiden in der Welt eben echt sind und sich auch nicht weg- oder weichphilosophieren lassen, ist es so wichtig, sie anzuerkennen“, schreibt der Autor im Vorwort. Und entlarvt z.B. den Zynismus von Werbeplakaten, die lachende Tiere zeigen, um sie zu vermarkten. Um Selbstbestimmung geht es Neo C., und so macht seine kritische Betrachtung auch nicht Halt vor Einrichtungen wie Schulen, Zoos und Gefängnissen, der parlamentarischen Demokratie, Religion und eigenen Denk- und Verhaltensmustern: Ausgrenzung und Chauvinismus, Untertanengeist, Borniertheit, Falschheit, Doppelmoral, nur instrumentelle Vernunft und Ignoranz sind überall zu finden.
Wo der Autor dem Zerstörerischen nicht (mehr) vor allem mit Entsetzen und Grauen begegnet, da mit Verachtung. Die zeigt sich überspitzt in der satirischen Fiktion „Misanthropisches Manifest. Warum es die Menschen nicht geben sollte.“ Diese Behauptung wird schmerzhaft stringent philosophisch hergeleitet. Auch wenn Neo C. betont, die Radikalität habe therapeutische und stilistische Gründe, bleibt es herausfordernd, seiner Argumentation etwas entgegenzusetzen.
Was der Autor selbst dem Zerstörerischen und der Verzweiflung (und der eigenen Kontingenz) entgegensetzt, ist Trotz. Als jemand, der vernimmt, was so gerne verleugnet, klein-interpretiert oder verdrängt wird: „menschliche Schreie, nichtmenschliche Schreie, Schreie um Hilfe, Schreie der Verzweiflung“, nimmt er auch den darin liegenden Auftrag wahr und an: „Leben ist in dieser Welt kaum möglich, außer im Kampf für das Leben selbst.“
„Die Ohnmacht kann mich mal kreuzweise“, heißt denn auch sein „Gedichtzyklus im Geiste des Widerstands“. Neo C. nennt ihn im Vorwort „eine lyrische Aufarbeitung verschiedener Befreiungskämpfe, an denen ich als Aktivist aktiv beteiligt bin“, und ein kreatives Umgehen mit seiner Erfahrung, „einen Großteil des gesellschaftlich Konformen absolut abstoßend“ zu finden.
Der Autor schreibt einfallsreich, mit klarem – auch an philosophischen Vordenkern geschultem – Verstand, der sich nie vom (empathischen) Fühlen löst, mit Humor und Selbstkritik; er formuliert treffend und kommt vielfach zu überraschenden Ergebnissen, etwa wenn er im Scheitern auch Erfreuliches sieht.
Einzelne Zeichnungen – z. B. der „Industriemaschinerie“ – verdeutlichen die Aussage. Eine punktuelle Nachlässigkeit des Lektorats wirkt eher sympathisch als störend.
Neo C.s Hoffnung, allen, „die sich entscheiden, nicht passiver Teil des Verderbens, sondern aktiver Teil der Veränderung zu sein“, mit diesem Büchlein „Mut zu machen“, hat gute Chancen, erfüllt zu werden.
Aktivist*innen und allen, die es werden und bleiben wollen, möchte ich es ans Herz legen.
Neo C.: Wer zur Welt kommt, den bestraft das Leben, animot-Verlag, Lengerich/Westf. 2019, in der Reihe „befreit“, 106 S., 7 Euro, ISBN: 978-3-948157-04-3
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.