Wie ich selbst die Anfänge der Antideutschen erlebte: Die Friedens- und Antikriegsbewegung schien Anfang 1991 in einer Krise, als die USA – übrigens mit UN-Resolution im Rücken – zur Bombardierung der Truppen S. Husseins und zur Invasion Kuwaits, das Hussein besetzt hatte, übergingen. Mitte Januar 1991, zwei Tage vor Ablauf des UN-Ultimatums, organisierten wir, die Graswurzelwerkstatt, gewaltfreie Aktionsgruppen und Antimilitarist*innen sowie Startbahngegner*innen in und um Frankfurt die allererste Kundgebung und Blockade gegen den kommenden Krieg direkt vor der Frankfurter Airbase, der US-Luftwaffenbasis, von der aus auch Bomber in diesen Krieg flogen. Es kamen 10000 Leute – der Auftakt zur massenhaften Anti-Golfkriegsbewegung. Auf die Kundgebung hatten wir u.a. mit Christian Sterzing einen Kriegsgegner des DIAK (Deutsch-Israelischer Arbeitskreis) geladen, der sowohl gegen den US-Krieg wie gegen die Bedrohung Israels durch von deutschen Firmen glieferte Giftgasanlagen an Hussein Stellung bezog. Die Ansagerin zwischen den Redebeiträgen, ein Mitglied der Gewaltfreien Aktionsgruppe Frankfurt sowie Autorin des Schwarzen Faden, wies mindestens fünfmal, bei ihren Ansagen zwischen allen Redner*innen, auf die Bedrohung Israels durch Giftgas und dessen historische Bedeutung hin. Doch was schrieb Eike Geisel seinerzeit in „konkret“ zur Anti-Golfkriegsbewegung? „Bei den ersten Demonstrationen gegen den Golfkrieg kam das Wort Gas nicht vor und erst recht nicht, wen es bedroht.“
Und sicher erinnern sich noch viele von uns an den damaligen Slogan von Hermann L. Gremliza – soeben verstorben – in der legendären, kriegstreiberischen „konkret“-Ausgabe 3/91, wonach beim US-Bombardement „mit falschen Begründungen das Richtige getan zu werden scheint“ (zit. nach Hanloser, S. 18).
Primat der Ideologie über die Wirklichkeit
Mit dieser beispiellosen theoretischen wie praktischen Bankrotterklärung der marxistischen Dialektik war meine Position zu den militaristischen und kriegstreiberischen (Hanloser benutzt in seinem Buch leider durchgängig den schon damals verharmlosenden Begriff „Bellizisten“) Antideutschen für immer geklärt. Leute wie Geisel, Gremliza oder auch Pohrt informierten sich über die herrschenden Medien; sie saßen im Fernsehsessel und guckten ARD oder ZDF, die unsere Inhalte auf der Airbase-Kundgebung natürlich nicht interessierte. Auf die Idee, bei uns selbst nachzufragen, sich seriös vor Ort zu informieren, kamen sie nicht. Ihre Demagogie spricht Bände über ihr Primat der Ideologie über die Wirklichkeit.
Das ist nur eine jener unsäglichen Debatten mit und von Antideutschen, die uns das kurzweilig zu lesende Buch von Hanloser in Erinnerung ruft. Richtig schreibt er von emanzipatorischen Anfängen, direkt nach der Vereinigung und Kohls weltmachtpolitischer Anerkennungspolitik neuer Nationalstaaten im Vorfeld der Jugoslawienkriege. Doch damals nannte sich diese Strömung noch „antinationale Linke“. Mit ihr teilten wir die Hoffnung, dass mit deren Kritik an den nationalen Befreiungsbewegungen auch der dort vorzufindende Militarismus stärker in der Linken kritisiert werde – also nicht nur aus unserem Spektrum des gewaltfreien Anarchismus. Doch weit gefehlt! Der Golfkrieg 1991 war der Wendepunkt zum Antideutschtum; es folgten von ihren bekanntesten Protagonist*innen aberwitzige Kriegslegitimationen aber auch jedes kommenden Krieges, sei es für eine militärische Seite des Jugoslawienkrieges (oft genug die serbischen Milizen), sei es der Afghanistankrieg 2001 (pro USA), sei es die komplette, ungeheuerliche Zerstörung des Irak ab 2003 (pro USA), die bis heute anhält und Millionen Tote gekostet hat (schon der Golfkrieg 1991 forderte 450000 Tote). Innenpolitisch hat das Antideutschtum die gesamte noch übrig gebliebene Linke mittendurch gespalten, die Antifa-Szene zweigeteilt, die Autonomen zweigeteilt – immer in antiimperialistische oder antideutsche Fraktionen.
Uns als Graswurzelrevolutionär*innen und gewaltfreie Anarchist*innen hat das allerdings keineswegs gespalten: Wir blieben jenseits dieser aufgebauschten Dichotomie; wir hatten dritte, vierte, fünfte Positionen; der gewaltfreie Anarchismus verlief jenseits dieser Dichotomie. Wir hatten noch 1989 den autonomen Slogan auf den Häusern der Hafenstraße „Boykottiert Israel! Waren, Kibbuzim und Strände!“ kritisiert und uns trotzdem 2008 mit dem Buch „Barrieren durchbrechen!“ (hg. von Sebastian Kalicha) mit israelischen Kriegsdienstverweigerer*innen und palästinensischen Gewaltfreien, die gegen den Barrierenbau kämpften, solidarisiert. Schon die Dichotomie der damaligen Diskussion Antiimps gegen Antideutsche – bist du nicht für mich, so gehörst du der anderen Fraktion an – war grundfalsch und strukturell autoritär.
Erschreckende Karrieren nach rechts – viele kleine Elsässers
Gerhard Hanloser, bereits Autor eines ähnlich antideutsch-kritischen Buches („Sie warn die Antideutschesten der deutschen Linken“, 2004), bricht in seinem Buch nicht wirklich aus dieser Dichotomie aus, stellt sie aber durch seinen eigenen politischen Weg infrage, der mit autonomem Antiimiperialismus begann, durch die Krise der Antiimps aber auch selbst erfrischend unabhängige, zuweilen libertäre Wege einschlug. Gemäß dem Beispiel des Werdegangs des Allerschlimmsten der Antideutschen, dem ehemaligen KB-Mitglied, konkret-Redakteur und heutigem Vollnazi Jürgen Elsässer spürt Hanloser sehr informiert und im Urteil meist überzeugend den Karrieren ehemals prägender Antideutscher nach, seien es Leute wie Joachim Bruhn vom ISF Freiburg, sei es die antideutsche Wendung der Dritt-Welt-Zeitschrift „iz3w“, seien es Leute wie Pohrt, Mathias Küntzel, Henryk M. Broder, Ivo Bozic, Justus Wertmüller oder die Zeitschriften „Jungle World“ oder „Bahamas“ – „konkret“ sowieso. Nicht in jedem Einzelfall, aber doch erschreckend oft stellt Hanloser eine späte Wendung von deren Biografien in eine „andere Querfront“ fest, ins bewusste oder unbewusste Bündnis mit scharf-rechts. Bei manchen wie Elsässer und „Bahamas“ geht das direkt durch ins Neonazistische und Identitäre, manche wie Küntzel oder leider auch Deniz Yücel machten grade noch bei staatsapologetischen Herrschaftsmedien wie Springers „Welt“ Halt in ihrer Karriere.
Aus den libertären Zeitschriften berücksichtigt Hanloser für seine Analysen den „Schwarzen Faden“ und „Wildcat“ – leider ignoriert er gänzlich die Positionierungen der „Graswurzelrevolution“, wie das früher tpyischerweise Antiimps machten, die uns für irrelevant hielten. So entgehen leider auch Hanlosers guten Analysen wichtige Begründungen zum Thema, die von unserer Seite kamen und in seinem Buch nicht besprochen werden: z.B. die Position, dass wir innerhalb der BRD die BDS-Boykottkampagnen aufgrund der besonderen Rolle des Boykotts bei der Judenvernichtung in der deutschen Geschichte tatsächlich ablehnen müssen, uns aber international in Zusammenhängen wie der War Resisters’ International bewegen, deren gewaltfreie BDS-Position wir genauso respektieren wie Hanloser die von Roger Waters explizit gewaltlose Boykott-Begründung (vgl. S. 266f.). Auch die Solidarität nur mit explizit gewaltfrei kämpfenden Palästinenser*innen sorgt eben qua Kampfmittel dafür, dass israelische Bürger*innen nicht befürchten müssen, wortwörtlich „ins Meer geworfen“ zu werden, weil das gewaltfrei eben nicht, sondern nur bewaffnet möglich wäre. Dabei haben wir bei dieser Solidarität die Palästinenser*innen nicht etwa von Deutschland aus „auf Gewaltfreiheit verpflichtet“ (Geisel, zit. S. 282), sondern ein Teil ihrer selbst wählte den explizit gewaltfreien Kampf, wie das in anderen Weltregionen auch der Fall ist, im Moment etwa in Algerien, Armenien oder im Sudan – doch das wollen autoritäre Linke generell nicht wahrnehmen, dass es im Trikont massenhaft selbstbestimmte gewaltfreie Kämpfe gibt. Die Apotheose der antideutschen Phobie vor Gewaltfreiheit und Antimilitarismus ist die absurde Wendung, das sei von deutschen Gewaltfreien den Trikont-Kämpfer*innen vorgeschrieben worden (s. oben Eike Geisel). Wie dies, so ist vieles, das die Antideutschen in 30 Jahren erfolgreicher Spaltung der deutschen Linken vollbracht haben, nur peinlich. Mit ihren theoretischen und praktischen Bankrotterklärungen haben Antideutsche zur politischen Bedeutungslosigkeit dieser Linken in der Gegenwart entscheidend beigetragen.
Gerhard Hanloser: Die andere Querfront. Skizzen des antideutschen Betrugs, Unrast Verlag, Münster 2019, 343 S., 18 Euro, ISBN: 978-3-897-71-273-7
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.