grenzenlos

Die Pressefreiheit in Ungarn

Ein journalistische Geschichte

| Krisztina Balogh

In Ungarn hat die Regierung den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der staatlichen Medienholding MTVA zentralisiert und zum Sprachrohr der rechtsnationalen Fidesz-Partei gemacht. Missliebige Arbeiter*innen wurden entlassen. Das Beispiel der Journalistin Krisztina Balogh verdeutlicht die Unterdrückung der Pressefreiheit in Ungarn. (GWR-Red.)

Die 25 jährige Krisztina Balogh, geboren im Dorf Nagyar, nahe der ukrainischen Grenze träumte schon als junges Mädchen davon, Reporterin zu werden. Als Krisztina Balogh im Jahre 2016 in Ungarn zu den öffentlich-rechtlichen Medien MTVA (Ungarischer Treuhandfonds der Staatsmedien, genannt „öffentlich-rechtliche“) kam, war sie 23 Jahre jung. Jetzt, nach zwei Jahren, hat sie gekündigt. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte:

Bekanntlich hat die Opposition in Ungarn keine Möglichkeit, ihre Meinung in den öffentlich-rechtlichen Medien zu äußern. Gegen Ende 2018, als einige oppositionelle Parlamentarier eine Petition im Studio vom M1 (erstes Programm des ungarischen Fernsehens) verlesen wollten, wurden sie mit Gewalt daran gehindert. Krisztina fand es unerträglich, dass ihre Chefs diese Leute im Newsroom einsperren ließen. Bei dieser Aktion warf ein Politiker der demokratischen Opposition Krisztina Nachrichtenfälschung vor.

„Mich hat weder mein Vater noch meine Mutter je eingesperrt, geschweige denn, eine sich als ‚verantwortlicher Redakteurʻ bezeichnende Person. Da dachte ich: Das kann man mit mir nicht machen.“

Zu den Aufgaben von Krisztina Balogh gehörte, Nachrichten aus der sozialen oder kulturellen Szene mit Farbtupfern zu versehen. Anfänglich mied sie die Politik, doch musste sie nach einiger Zeit erkennen, dass das nicht möglich ist:

„Wir drehten auf der jährlichen Internationalen Buchwoche, als
mir gesagt wurde, ich dürfe
linke oder liberale Autoren nicht ansprechen.“

Als die Thematik Flüchtlinge in den Staatsmedien immer mehr Bedeutung bekam, verschärfte sich ihre Lage.

„Ich sollte darüber erzählen, welche fürchterlichen Krankheiten die Flüchtlinge nach Europa bringen. Diese Fälle waren aber sehr selten, ich fand nur ganz wenige Angaben, dennoch musste ich solange rumstöbern, bis ein ‚Fachmannʻ mir erzählte, wie gefährlich diese vielen Afrikaner und Araber sind“.

Laut Krisztina wurden Reportern, die sich mit politischen Themen beschäftigten, Vorgaben gemacht, bei welchen Themen wer worüber befragt werden sollte und wie man oppositionelle Politiker provozieren könne.

Bei einigen politisch wichtigen Themen hätte Nachrichtenchef Zsolt Németh die Kollegen sogar persönlich aufgesucht, ansonsten hätten sie die Anweisungen entweder durch die Redakteure oder per Brief bekommen. Ein offenes Geheimnis sei es gewesen, dass Reportern direkt vom Staatssekretariat – zuständig für die Überwachung der Kommunikation der Regierung Orbán –Richtlinien vorgegeben wurden.

„Um ihr Gewissen zu beruhigen haben manche in ihren Reportagen Themen angesprochen, von denen sie genau wussten, dass sie wieder entfernt werden würden. Die Mehrheit kann sich mit dieser Redaktionspraxis nicht identifizieren, sie sind aber aus existenziellen Gründen gezwungen, sie zu akzeptieren.“ – erzählt Krisztina

Dass man ihr Nachrichtenfälschung unterstellte, kränkte sie auch und sie spürte, dass sie immer weniger bereit war das mitzumachen, was in den öffentlich-rechtlichen Medien vor sich geht. Sie sagt, es wäre gegenüber den ungarischen Steuerzahlern nicht fair, für deren Steuergelder solche Programme zu produzieren.

Krisztina Balogh: „Ich bin Ungarin und Roma. Bei den öffentlich-rechtlichen Medien zu arbeiten war für mich das gleiche Stigma geworden, als wenn man mich in der Schule als scheiß Zigeunerin beschimpft hätte“.

Sie erzählte, dass einige Redakteure in den öffentlich-rechtlichen Medien den Reportern die zu stellenden Fragen in den Mund legen würden. Es wird erwartet, dass linke und liberale Politiker lächerlich gemacht werden. Man hätte selbst bei den kulturellen Sendungen von ihr etwas Negatives in Bezug auf Flüchtlinge erwartet. Selbst in Programmen mit reinem Unterhaltungscharakter durften Leute, die die Regierung kritisieren, nicht zu Wort kommen.

„So wie ich haben Viele gekündigt. Andere bleiben wegen ihrer Beziehungen. Es gibt auch welche, denen gefällt, was dort vor sich geht. Die Mehrheit hat keine andere Wahl, sie stellen sich aus purer Existenzangst in den Dienst dieser Propaganda. Die wahren Strippenzieher des Systems sieht man nie auf dem Bildschirm.“

MTVA versucht die ehemalige Reporterin wegen ihrer Aussagen einzuschüchtern

Krisztina Balogh wurde aufgefordert, ihr Verhalten, welches das MTVA als juristische Person verletzte, aufzugeben. In einem persönlichen Brief sollte sie es bedauern und sich bei MTVA entschuldigen. Sie sollte sich damit einverstanden erklären, dass MTVA ihren Brief veröffentlicht. Andernfalls würde die Leitung der öffentlich-rechtlichen Medien gegen ihre ehemalige Angestellte einen Prozess anstrengen.

Daraufhin hat sich Krisztina Balogh entschieden, zu den Anschuldigungen ihres Arbeitgebers mit einem eigenen, öffentlichen Brief auf sarkastische Weise Stellung zu nehmen. Er wird hier in voller Länge auf Deutsch wiedergegeben:

„Sehr geehrter Herr Generaldirektor Dániel Papp,

es tut mir leid, wenn ich den Anschein erweckt habe, dass es sich im Fall des Fernsehkanals M1 nicht um einen objektiven, neutralen Nachrichtensender handelt, sondern um ein Propagandawerkzeug der regierenden Fidesz-Partei.

Ich muss zugeben, dass dieses Gefühl falsch ist, denn neben den sachlich vollkommen richtigen Informationen von MTVA zolle ich Anerkennung für das unermüdliche Recherchieren meiner Kollegen bei den Geschichten, die nach Korruption riechen. Getreu dem Maßstab eines unparteiischen Senders haben sie u.a. aufgedeckt, wie der ehemalige Heizungsmonteur des Ministerpräsidenten, Lörinc Mészáros oder sein Schwiegersohn István Tiborcz zu ihren märchenhaften Vermögen gekommen sind.

Es freut mich, dass in den öffentlich-rechtlichen Medien nicht nach zweierlei Maß gemessen wird, es wird mit der gleicher Vehemenz über Prozesse gegen regimekritische Politiker, wie auch über Prozesse gegen Mitglieder der Regierungspartei Fidesz berichtet. So kann man M1 mit Fug und Recht im gleichen Atemzug mit den für ihre Wahrheitstreue und Unabhängigkeit international bekannten öffentlich-rechtlichen Kanälen von Nordkorea, Venezuela und Saudi Arabien nennen. Ich kann bezeugen, dass ich während meiner Zeit bei MTVA mit Zensur nie in Berührung kam, ja, ich konnte immer über Tatsachen berichten, die den Richtlinien der Orbán-Regierung entsprachen. Im Weiteren schätze ich, dass M1 weiterhin schwerwiegende gesellschaftliche Probleme thematisiert, wie Kinderarmut, Wohnungsmisere oder die Entvölkerung ungarischer Dörfer.

Mein allergrößter Respekt gilt MTVA, dass in ihren Sendern bei Themen des öffentlichen Lebens statt ständiger Wiederholung von Fidesz-Parolen, politische Analysten mit großem Sachverstand eingeladen werden.

Man ist besonders bemüht die Zuschauer mit möglichst vielen unterschiedlichen Meinungen zu versorgen, statt ständig nur Botschaften der Regierung nach zuplappern. Das wäre wirklich langweilig.

Ich entschuldige mich bei meinem früheren Arbeitgeber in gleichem Maße wie er sich aufrichtig bemüht, die Grundprinzipien der öffentlich-rechtlichen Medien einzuhalten.

Mit freundlichen Grüßen

Krisztina Balogh und ihr Freund arbeiten jetzt im Gastgewerbe in Österreich.

 

Übersetzung: Gabor Szasz

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.