Die linke Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke wunderte sich, dass im aktuellen Bundesverfassungsschutzbericht der Geheimdienst Adbusting (politisch motiviertes Verändern von Werbung) mit Gewalt gegen Polizist*innen in einem Atemzug nennt. Ihre Kleine Anfrage an die Bundesregierung brachte ans Licht, dass sich die Geheimdienste „Bundesamt für Verfassungsschutz“ (BfV) und „Militärischer Abschirmdienst“ (MAD) systematisch mit veränderten Werbeplakaten von Bundeswehr und Polizei beschäftigen. Auch im nachdem bekannt werden der NSU-Morde gegründeten „Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern“ (GETZ) war Adbusting in 2018 und 2019 gleich viermal Thema. Doch warum stört die Kommunikationsguerilla die Behörden so? Darüber sprachen wir mit Klaus Poster von der Soligruppe plakativ und Carolin Überklebdenstuss vom Berlin Busters Social Club. (GWR-Red.)
GWR: Was genau ist Adbusting?
Caro: Adbusting ist eine politische Aktionsform aus dem Bereich der Kommunikationsguerilla. Dabei wird Werbung im öffentlichen Raum mit Kleber, Papier und minimalinvasiven Vandalismus bis zur Kenntlichkeit entstellt. Bundeswehr-Plakate sind dabei z.B. sehr beliebt. Mit einem Überkleber wird z.B. aus der Werbung zum Tag der Bundeswehr 2018 „Neugier auf Technik?“ das antimilitaristische Plakat „Neugier auf Morden?“.
GWR: Warum ärgert die Behörden Adbusting so?
Caro: Der Gag dabei ist, das die Kritik im öffentlichen Raum auftaucht, und nicht nur in den zeckigen Filterbubbles des Internets bleibt. Das macht autoritäre Charaktere nervös.
Klaus: Das wird in Berlin noch verschärft, weil die Kommunikationsguerilla-Szene der Stadt mit großen Erfolg etwas anwendet, was sie Nexus-Taktik nennen. Die Theorie dahinter ist, dass Herrschaft in der Postmoderne für Legitimation Repräsentation braucht. Und das sich diese Repräsentation entlang von Verknüpfungen aus Ort, Zeit und Bedeutung vollzieht: Dem Nexus. Aus dieser Annahme ziehen sie die Erkenntnis, dass es äußerst unterhaltsam sein kann, mit Aktionen an diese sozial-geografisch-kulturell-mentalen Knotenpunkte direkt ran zu gehen. Deswegen hängen die Adbustings in Berlin eher selten in den Wohngebieten, sondern in Downtown rund um die Einheitsfestmeile und kritisieren Nationalismus. Oder entlang Unter den Linden links und rechts der Neuen Wache, wenn sich dort Merkel, Steinmeier, von der Leyen, Bürgermeister Müller und Macron zum Volkstrauertag treffen.
Caro: Der Erfolg dürfte den Chaot*innen recht geben: Wer hätte gedacht, dass man mit beklebten Werbeplakaten das Kunststück schafft, im VS-Bericht [VS, Verfassungsschutz – Red.] zu landen und viermal Thema im Terrorismusabwehrzentrum zu sein?
GWR: Guter Punkt. Wisst ihr, welche vier Aktionen Thema waren?
Caro: Nein, wissen tun wir es nicht. Aber wir haben natürlich Wetten angenommen. Und die Informationen, die die Soligruppe plakativ aus Polizeiakten und parlamentarischen Anfragen zusammen getragen hat, lässt einige Schlüsse zu. So sagt das Bundesinnenministerium, dass sie nicht sagen dürfen, welche Aktionen im GETZ Thema waren, weil Länderbehörden die Information eingebracht hätten. Das macht Berlin wahrscheinlich. Denn dort passiert laut MAD mit Abstand das meiste, und das Berliner LKA [Landeskriminalamt – Red.] hat laut einer Anfrage von Anne Helm und Niklas Schrader, die für die Linkspartei im Berliner Abgeordnetenhaus sitzen, bis zu drei Beamte extra für Adbusting klar gemacht und findet es auch OK, wegen eines entstellten Bundeswehr-Posters gleich drei Hausdurchsuchungen zu machen. Die sind also sehr eifrig dabei.
Klaus: Auch thematisch lässt es sich eingrenzen. Sowohl VS-Bericht als auch die parlamentarischen Anfragen machen deutlich, dass die Schergen sich vor allem über Adbusting mit den angeblichen „Sicherheitsbehörden“ ärgern. Also Militär, Polizei und was sonst noch so alles ganz demokratisch Leute schikanieren, schlagen, überwachen und erschießen darf.
Caro: Und es gibt es noch einen Hinweis. In der Kleine Anfrage ist eine Liste des VS, welche Adbustings diese Bundesbehörde speichert. Dann heißt es: „darüber hinaus haben wir viermal zu Adbusting im GETZ pleniert.“ Die Sachen in der Liste waren also nicht Thema im GETZ, wenn man sich auf die Grammatikkenntnisse im Heimatministerium verlassen kann.
Klaus: Damit dürfte die Nummer eins feststehen. Die Aktion, die im VS-Bericht genannt wird, steht nicht in der Liste, muss aber dem VS bekannt sein, weil sie ja sonst nicht im Bericht auftauchen könnte. Dabei handelt es sich um sehr schöne Adbustings aus 2018 zum Berliner Polizeikongress. Damals hatten die Berliner Cops Imagewerbung geschaltet. Die Originale verkündeten Slogans a la „Da für 5003 Demonstrationen pro Jahr. Und 1 Meinungsfreiheit. Da für Berlin. Polizei Berlin“. Die bis zur Kenntlichkeit entstellte Variante, die auch der VS in seinen Bericht druckte, lautete: „Da für 5003 Schlagstockeinsätze und die beste G20-Party. Da für Gewalt“. Aber auch andere Themen wurden adressiert: „Da für mal mackeriges Auftreten, sexistische Sprüche und Übergriffe. Da fürs Patriachat“ oder „Da für 32200 Einzellfälle von nicht verfolgtem Racial Profiling. Da für Rassismus.“ Hat die ordentlich geärgert, wie man sehen kann.
Caro: Man kann daran auch schon die Wirkung der Nexus-Taktik zeigen. Der Polizeikongress ist eine private Lobbying-Veranstaltung und Waffenmesse. Die Hardliner posen da rum, was sie noch so alles an Lasern, Tasern, Knarren, Panzern und Überwachungstechnik für die Cops brauchen und die Industrie zaubert den passenden Krempel aus dem Hut. Darüber hinaus nutzt die Berliner Polizei das für eine alberne Leistungsshow. Pünktlich eine Stunde vor dem Kongress bauen die die Mega-Überwachung einschließlich Panzer vor der Tür auf. Hinten zum Liefereingang kommt man einfach so. Und bei einer derartigen Inszenierung von Handlungsfähigkeit ist es na klar peinlich, wenn alle Leute, die zum Kongress kommen, an polizei-kritischen Adbustings vorbei latschen…
Klaus: Dass das nicht ganz harmlos ist, sollte klar sein. Wir interpretieren die Datenlage so, dass die „Nicht-Sonderkommission“ beim LKA nach dieser Aktion ein nettes, freundliches, größtenteils zu Konsumkritik arbeitendes Kollektiv mit Gerichtsprozess, zwei Hausdurchsuchungen und 1200 Seiten Akten überzogen hat, einfach weil sie glaubten, da einen Namen zu haben… Dank eines von offensiver Pressearbeit begleiteten Prozesses endete das im Oktober 2019 mit Einstellung. Aber das ist kein Einzelfall: Im September 2019 machte das LKA drei Hausdurchsuchungen wegen eines veränderten Bundeswehr-Posters. Sie begründeten diese absolute Unverhältnismäßigkeit unter anderen damit, dass Adbustings die Bundeswehr „lächerlich“ machen würden.
GWR: Und die weiteren Tipps für Adbusting-Aktionen, die Thema im GETZ waren?
Caro: Oh, ja, danke. Die Hausdurchsuchungen im September haben auch einen Anlass. Am Tag der Bundeswehr 2019 hing die Stadt voll mit Bundeswehr-Adbustings. Die Cops schreiben im Antrag für die erwähnte Hausdurchsuchung ganz offen, dass sie deshalb mal was tun müssen, und die Aktion steht auch nicht in der VS-Liste.
Klaus: Mein Tipp ist außerdem der erwähnte Volkstrauertag 2018. Da hingen links und rechts der Neuen Wache veränderte KSK-Poster [KSK, Kommando Spezialkräfte – Red.]. Dem abgebildeten Bundeswehr-Dude war ein Totenkopf mit Wehrmachtsstahlhelm übers Gesicht geklebt und der neue Slogan lautete „Volkstrauer heißt Krieg und Diktatur verherrlichen. Kämpfe nie für Volk&Nation“.
Caro: Ich würde außerdem den Tag der Einheit 2019 in die engere Auswahl nehmen. Damals war zwischen Kanzler*innenamt, Reichstag und Tiergarten große Deutschland-Party. An den Eingängen, am Brandenburger Tor, Unter den Linden und am Hauptbahnhof hing entstellte Veranstaltungswerbung: „Das größte Fest des Nationalismus. Grenzen, Rassismus, Abschiebungen: Hier hübsch verpackt“ und „Nur mit Ertrinken im Mittelmeer. Wer von Nationalismus spricht darf von Rassismus nicht schweigen“ und „Das größte Fest der Staatsgewalt. Ob Räumung oder Krieg: Nationalstaaten basieren auf Gewalt“. Das hat die so geärgert, dass die aus blauen Müllsäcken so Ganzkörperkondome gebaut haben um damit die Werbevitrinen zu verhüllen.
GWR: Ist Adbusting eigentlich schwer?
Caro: Nö, eher nicht. Wer kreative und methodische Inspirationen sucht, findet die anhand von ganz vielen Aktionsfotos z.B. in unserem Buch „Unerhört: Adbusting gegen die Gesamtscheiße.“ Im Buch ist auch eine Anleitung, die erklärt, wie man seine eigene Werbevitrine mit Sachen aus dem Baumarkt öffnen kann, falls man den Schlüssel verloren hat. Die Nachahmung im eigenen Wohnzimmer oder Vereinsheim sollte dann nicht mehr all zu schwer sein.
GWR: Danke für das Interview!
Klaus Poster ist Sprecher*in der Soligruppe plakativ. Die informelle Gruppe vereint Menschen, die sich für politische Streetart interessieren und hat sich im Herbst 2019 ad hoc zusammen gefunden, um eine wegen Adbusting angeklagte Person beim Führen des Gerichtsprozesses zu unterstützen. Weil im Gerichtsprozess allerlei wirre Nummern beim LKA ruchbar wurden, überzeugten sie Abgordnete* parlamentarische Anfragen zu stellen und verbreiteten die Ergebnisse mit Pressearbeit. Ein Auswertungstext dazu findet sich hier:
https://de.indymedia.org/node/73960
Caro Überklebdenstuss ist Gründungsmitglied* des Berlin Busters Social Club (BBSC). Der BBSC ist ein Club von Enthusiast*innen, die Geschichten, Mythen und Legenden zu mehr oder weniger erfolgreichen Kommunikationsguerilla-Aktionen sammeln, tauschen, kuratieren und editieren. Im März 2020 veröffentlichte der bbsc im Unrast-Verlag das Buch „Unerhört: Adbusting gegen die Gesamtscheiße“. Das pdf der alten Ausgabe von 2019 findet sich unter Downloads kostenlos auf dem Blog der Gruppe:
https:/www.bbsc.blackblogs.org