Am 30.3. um 6.30 in der Frühe rückte ein Kommando des öffentlichen Stromversorgers (DEI) an, um der selbstverwalteten Fabrik von Vio.Me (Viomichaniki Metalleftiki) in Thessaloniki den Strom abzustellen. Mit dabei zwei Einheiten Bereitschaftspolizei nebst Einsatzfahrzeugen für Gefangenentransport (!). „Männer in Kampfmontur und bewaffnet patrouillieren in der Dunkelheit, nutzen die Ausgangssperre und ziehen ihre Repressionspolitik durch.“ (1)
Die Produktion ökologischer Seifen und Reinigungsmittel, gerade in der Coronakrise von größter Wichtigkeit, war damit lahmgelegt. Ebenso die Filiale der sozialen Klinik auf dem Fabrikgelände und die Lieferung von Seifen nach Moria. Die Mitsotakis-Regierung nutzte die Coronakrise und den von ihr ausgerufenen „Kriegszustand“ in der Absicht, den seit 7 Jahren unter Arbeiterkontrolle geführten Betrieb Vio.Me in die Knie zu zwingen.
Die Fabrik Vio.Me AG in Thessaloniki, Teil der Unternehmensgruppe Filkeram & Johnson , stellte ursprünglich Baumaterialien her. Zu Beginn der Krise 2011 erhielten die Kolleg*innen keinen Lohn mehr und die Geschäftsführung verschwand über Nacht, ohne ihnen zu kündigen oder Erklärungen zu geben. Damit gab es nicht einmal einen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Also besetzte ein Teil der Belegschaft die Fabrik, um Diebstähle an Lagervorräten oder die Demontage der Anlagen zu verhindern und so über ein Faustpfand zu verfügen. Versuche der Polizei, das Gelände zu räumen, wurden regelmäßig durch Versammlungen mit solidarischen Unterstützer*innen am Werkstor verhindert.
Dabei blieb es nicht. Unter der Devise: „Wenn sie nicht können, dann können wir“ beschlossen die Arbeiter*innen, den Betrieb fortan „ohne Bosse“ und in Selbstverwaltung neu zu organisieren und weiterzuführen. Seit 2013 produziert die „neue“ Vio.Me ökologische Seifen und Haushaltsreiniger und vertreibt ihre Produkte in sozialen Zentren und auf informellen Märkten ohne Zwischenhändler. Mehrere Kolleg*innen sind seitdem hinzugekommen. Gemeinsam wurden Regeln beschlossen, die bis heute gültig sind:
Entscheidungen trifft nur die Vollversammlung. Alle erhalten den gleichen Lohn. Arbeitsverträge werden mit dem Belegschaftskollektiv geschlossen. Es gibt keinen Boss. Die Tätigkeiten (Bürojobs, Seifenherstellung, Bestellungen usw.) werden regelmäßig untereinander gewechselt.
Vio.Me ist heute ein Leuchtturmprojekt der Arbeiter*innen-Selbstverwaltung und zugleich ein soziokulturelles Zentrum mit vielfältigen Aktivitäten, unterstützt von einem internationalen Solidaritätsnetzwerk. Auf dem Gelände von Vio.Me finden Tagungen statt (z.B. Euromed Workers Economy Meeting) und CoOpenAir-Festivals mit verschiedenen Kooperativen der alternativen und solidarischen Ökonomie. Seit 2015 beherbergt Vio.Me auch eine Zweigstelle der Solidaritätsklinik, Kiathess, die unabdingbare medizinische Hilfe für Menschen ohne Krankenversicherung und für eine wachsende Anzahl von Geflüchteten leistet.
Vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten besuchte Alexis Tsipras die Fabrik und versprach den Kolleg*innen, sich für ihre Legalisierung einzusetzen. Dies geschah jedoch nicht. Zwar konnte die Belegschaft ihren Betrieb als Sozialkooperative S.E. Vio.Me eintragen und die wenigen Maschinen, die sie brauchten, aus Gewerkschaftsrücklagen und Spendengeldern erwerben. Doch das Gelände gehört ihnen nicht, mit erheblichen juristischen Konsequenzen. Zwar durften sie sich nun auf dem Gelände aufhalten, aber die Justiz eröffnete im Mai 2017 ein Zwangsversteigerungsverfahren gegen Filkeram & Johnson, das die Existenz von S.E. Vio.Me bedrohte. „Unser Versuch, den Betrieb der Fabrik fortzusetzen, ist abgelehnt worden, und ein entsetzlicher Gesellschaftskonkurs ist in Kraft getreten. Nun sollen die Produktionsmittel einer Zwangsversteigerung unterzogen werden. Die Produktionsmittel, durch deren Gebrauch dutzende Familien seit viereinhalb Jahren ein Einkommen bekommen.“ (2)
Seitdem hat es mehr als 20 Zwangsversteigerungsverfahren gegeben, die von der Belegschaft durchgestanden werden mussten, stets unterstützt von einem breiten solidarischen Umfeld. Von Mal zu Mal wurde das Mindestgebot gesenkt, dennoch gab es nie einen potentiellen Käufer. Vio.Me diesem Existenzkampf auszusetzen, war in keiner Weise zwingend. Eine Abtrennung des Vio.Me-Projekts vom Gesamtgelände wäre sowohl formaljuristisch als auch praktisch möglich. Das Betriebsgelände von Vio.Me macht ca. 1/7 des gesamten Grundstücks aus, und der Standort liegt am äußeren Rand. Vonseiten der Tsipras-Regierung und der Justiz gab es keinerlei Anstrengungen in diese Richtung.
Dass sich die Gangart unter der Mitsotakis-Regierung noch verschärfen würde, war zu erwarten. Im Oktober letzten Jahres besuchte Makis Anagnostou, Vio.Me-Urgestein, u.a . eine Veranstaltung in Köln und erklärte, dass die Vio.Me-Belegschaft zu keiner Zeit auf eine direkte Unterstützung durch irgendeine Regierung gesetzt, sondern immer ihre Unabhängigkeit bewahrt habe: „Zeit gewinnen und Widerstand leisten war stets die Devise. Egal, welche Angriffe kamen und noch kommen werden, es gilt die Vereinbarung, den Betrieb niemals freiwillig zu räumen.“ Als eine weitere Existenzbedrohung für Vio.Me nannte er die Möglichkeit einer Stromabschaltung durch die Staatsmacht. Natürlich würde dagegen Widerstand geleistet werden, jedoch liege die mögliche Abschaltstelle nicht unmittelbar auf dem Gelände von Vio.Me, was die Situation erschwere. Makis rief damals schon zu einer internationalen Solidaritätskampagne auf, um Geld für den Kauf eines Generators zu sammeln.
Dass dieser Fall nun eingetreten ist, hat unmittelbar eine Welle des Protests und der Solidarität in Gang gesetzt, mit der Forderung: „Wiederanschluss der Vio.Me ans Stromnetz“. Damit der Angriff auf Vio.Me ins Leere läuft und die Arbeit in der Fabrik so schnell wie möglich weitergehen kann, wird gleichzeitig um Spenden für den Kauf eines Stromgenerators geworben.
Anmerkungen:
(1) Pressemitteilung Vio.Me 30.3.2020
(2) Vio.Me-Erklärung 2017
Unsere Spendenkampagne:
#power2viome – Ein Generator für Vio.Me!
(http://gskk.org/?p=6065)
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.