Heute ein neuer Dokumentarfilm über die bayerische Räterepublik? Sind die Zeitzeug*innen denn nicht alle tot? Ja! Doch der Film wurde ursprünglich schon 1989, als sie noch lebten, veröffentlicht und ist 2018/19 mit dem restaurierten und digitalisierten Material von Regisseurin Uli Bez neu überarbeitet worden. Und dafür dürfen wir ihr dankbar sein.
Benno Scharmanski, früher Mitglied der „Freien Sänger“ in der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD), nach dem 2. Weltkrieg weiter aktiv, zunächst in der Föderation Freiheitlicher Sozialisten (FFS), dann in der 1977 wieder gegründeten FAU, hat die Filmemacherin beim Widerstand gegen die WAA in Wackersdorf kennengelernt. So enstand die Idee zum Dokumentarfilm. Bedeutsam war weiterhin Ruth Jakusch, 1965 erste Leiterin der KZ-Gedenkstätte in Dachau. Sie hat für den Film weitere Kontakte geknüpft, vor allem zu kommunistischen Revolutionär*innen der Revolutionszeit.
Trailer zum Film – Quelle: Youtube
Von Anita Augspurg und den Frauen in der Revolution
Der erste Teil des Films beschäftigt sich mit der „unblutigen“, gewaltfreien Absetzung des bayerischen Königtums durch den legendären Umzug am 7. November 1918, angeführt durch den freiheitlichen Sozialisten Kurt Eisner unter Beteiligung von Erich und Zenzl Mühsam. Sie zogen von der Theresienwiese aus an den Kasernen Münchens vorbei, und die Soldaten des Regimes liefen scharenweise über. Um die Monarchie war es geschehen.
Sehr beeindruckend im Film sind die Darstellungen von Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, Initiatorinnen von Frauendemos ab 1916. Beide waren Frauenrechtlerinnen der ersten Stunde, und zudem ein lesbisches Paar. Zusammen mit Fanny zu Reventlow waren sie Teil der Münchner Bohème und propagierten Lebensreform, Vegetarismus oder den freien Ausdruckstanz. 1918 forderte Augspurg die Errichtung von Frauenräten, das wurde von den Männern jedoch abgelehnt. Zusammen mit Heymann gründete sie den „Bund sozialistischer Frauen“. In den Schulen galt noch das Zölibat für Lehrerinnen, das sie in ihren Gemeinschaftsschulen abschaffen konnten. Beeindruckend auch die kurze Erwähnung von Sarah Sonja Lerch, eine Pionierin des Rätegedankens, die bereits die Russische Revolution von 1905, woher die Räte stammen, mitgemacht hatte. Sie überlebte – wie so viele – die bayerische Räterepublik nicht und starb im Gefängnis Stadelheim unter bis heute ungeklärten Umständen.
Viele Jugendliche, etwa auch Scharmanski, wurden durch die Ermordnung Eisners Mitte Februar 1919 politisiert; der Trauerzug umfasste 100.000 Menschen. In dieser Zeit wurde Hedwig Kämpfer als erste Frau Richterin im „Revolutionstribunal“ und setzte dort die Maxime „Todesurteile werden nicht verhängt“ durch.
Die beiden Münchner Räterepubliken
Im Film geht es dann weiter mit der eine Woche dauernden ersten Räterepublik vom 7.-14. April 1919, dem Palmsonntagsputsch und der Übernahme der Macht durch die gerade gegründete KPD unter Eugen Leviné. Es werden Gustav Landauer und Ernst Toller erwähnt; ebenfalls der beeindruckende Erfolg der dazwischen tretenden Frauen bei der Verteidigung Dachaus gegen die Weißen, die die Soldaten durch verbale Anwürfe und Diskutieren vom Angriff abbrachten. Toller war im Gegensatz zur KPD abgeneigt, gegen eine bewaffnete Übermacht militärisch zu kämpfen.
Im weiteren Verlauf berichten dann Kommunist*innen wie Hugo Jakusch, Minna Dittenheber, Peter Lichtinger oder Emil Maier. Es geht dabei vor allem um den militärischen Abwehrkampf am Ende der zweiten, kommunistischen Räterepublik am Stachus Anfang Mai 1919, der von einem Häuflein von 800 Leuten geführt wurde, eher symbolischen Charakter mit Sandfässern als Barrikade hatte und militärisch aussichtslos war. Die Repression der Weißen war dann furchtbar, wie wir wissen.
Mir wurde beim Ansehen deutlich, dass Anarchismus und Parteikommunismus damals einerseits noch eng beieinander lagen, andererseits schon anfingen, sich zu unterscheiden, gerade im Hinblick auf diese Aussichtslosigkeit. Ich möchte daher zusätzlich zum im Film Gezeigten noch erwähnen, dass Toller eher auf eine Verhandlungslösung als auf eine Abwehrschlacht drängte, um sinnlos durch die Rache der Weißen Ermordete zu vermeiden. Und von Landauer wissen wir inzwischen durch die Biografie von Tilmann Leder: „Für den Fall militärischer Aktionen gegen München soll Landauer geplant haben, einen Zug von Frauen und Kindern zu bilden, um auf diese Weise im gegebenen Falle ein Blutbad zu verhindern“ (Leder: Die Politik eines „Antipolitikers“, Bd. 2, Edition AV, S. 840). Es ist nur nicht historisch belegt, ob er das im Wissen des Erfolges der Frauen von Dachau vorschlug oder ohne dieses Wissen.
Wie dem auch sei: Es ist der Regisseurin, Uli Bez, sehr zu danken, dass sie uns durch diese überarbeitete Filmdokumentation noch einmal hautnah in diese Revolutionszeit eintauchen lässt.
Es geht durch die Welt ein Geflüster. ZeitzeugInnen der bairischen Revolution und Räterepublik 1918/19 berichten - Deutschland 1989/2019 - Buch, Regie & Schnitt Uli Bez, DVD, 80 Min.
Homepage zum Film: www.esgehtdurchdiewelteingefluester.de
Dies ist ein Beitrag der Online-Redaktion. Schnupperabos der monatlichen Printausgabe zum Kennenlernen gibt es hier