„Animal Utopia“ – Gegenbilder zur Tierindustrie

Interview mit dem Maler Hartmut Kiewert über anarchistische Kunst und Tierbefreiung

| Renate Bruckner

Hartmut Kiewerts Malerei zeigt Szenarien eines herrschaftsfreien Mensch-Tier-Verhältnisses. Der in Koblenz geborene Künstler studierte von 2003 bis 2010 Malerei an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle (Saale) und lebt seit 2014 in Leipzig. Das Interview mit ihm führte für die GWR Renate Brucker. (GWR-Red.)

GWR: Hallo Hartmut, wie bist Du dazu gekommen, Dich in Deiner Malerei mit dem Mensch-Tier-Verhältnis auseinanderzusetzen?

Hartmut Kiewert: Als ich als Kind erfahren habe, wo Fleisch herkommt, fand ich das furchtbar und wollte kein Fleisch mehr essen. Ich wollte nicht, dass Tiere für mein Essen sterben. Meine Eltern sagten mir aber, dass ich Fleisch essen muss, da ich sonst krank würde, und dass Fleisch zu essen natürlich und notwendig sei. Leider konnte ich mich damals nicht durchsetzen, bzw. glaubte den Argumenten meiner Eltern und war sehr traurig darüber. Erst viel später, als ich von zuhause ausgezogen war und im Zuge der BSE-Krise im Jahr 2000 mein Mitbewohner vegetarisch wurde, fing ich wieder an, über das Thema nachzudenken und wurde ebenfalls Vegetarier.

2005 wurde ich dann Mitglied in einer Food-Coop (selbstorganisierter Bio-Laden), wo es viele vegane Alternativen wie Haferdrink und Aufstriche gab. Von da an kaufte ich nur noch vegan ein und achtete auch auf vegane Schuhe. Allerdings aß ich noch hin und wieder außer Haus eine Pizza mit Käse. 2008 schließlich begann ich mich intensiv mit dem Thema Tierindustrie auseinanderzusetzen und lebe seither konsequent vegan.

Während meines Kunststudiums wurde ich in verschiedenen sozialen Bewegungen aktiv, wie etwa in der Antimilitarismus-, Antiatom- und Umweltbewegung. Schließlich wollte ich eine Verbindung zwischen meinem Aktivismus und meiner Malerei herstellen. Da mich einerseits das Mensch-Tier-Verhältnis schon seit meiner Kindheit beschäftigte und es andererseits auch seit den ersten Höhlenmalereien in der Bildenden Kunst Thema ist, dachte ich, dass es sich mit den Mitteln der Malerei gut neu verhandeln lässt. So begann ich 2008, das gesellschaftliche Mensch-Tier-Verhältnis zum Thema meiner Malerei zu machen.

GWR: Durch die Debatten um den Klimawandel ist auch die Tierhaltung in den Fokus der Kritik geraten. Kannst Du feststellen, ob dadurch das Interesse an Deinen Bildern gestiegen ist? Welche Rückmeldung bekommst Du zu Deinen Bildern?

H.K.: Es hat sich in den letzten Jahren ein deutlicher Wandel im öffentlichen Diskurs vollzogen. Die Tierfrage ist kein vollkommenes Nischenthema mehr. Damit ist auch die Aufmerksamkeit für meine Bilder gestiegen. Umgekehrt hoffe ich natürlich, dass meine Bilder einen Beitrag zur Verbreitung der Idee der Tierbefreiung leisten.

Insgesamt sind die Rückmeldungen, die ich bekomme, sehr positiv. Von Aktiven der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung höre ich öfter, dass die Bilder Mut und Hoffnung machen, indem sie die Befreiung der Tiere antizipieren. Nicht vegan lebende Menschen fühlen sich oft zum Nachdenken angeregt und zeigen sich dem Thema gegenüber offen und interessiert.

GWR: Kannst Du vom Verkauf Deiner Bilder leben?

H.K.: Glücklicherweise ja. Wobei ich in den ersten zwei Jahren meiner Selbständigkeit mit Harz IV aufstocken musste. Über die Jahre habe ich mir einen sukzessive größer werdenden Kreis von Sammler*innen und Interessierten aufbauen können und arbeite seit 2017 auch mit der Galerie Klaus Kiefer in Essen zusammen. Der Kontakt hatte sich übrigens über Karin Mück vom Lebenshof Hof Butenland ergeben, den ich jeden Sommer für 10 bis 14 Tage besuche, um dort die tierlichen Bewohner*innen zu malen. Außerdem verkaufe ich Drucke und Postkarten meiner Bilder über meinen Onlineshop und auf veganen Straßenfesten.

GWR: Deine Maltechnik ist vegan. Ist es schwierig, Materialien ohne tierliche Inhaltsstoffe zu bekommen?

H.K.: In den traditionellen Maltechniken werden tatsächlich einige tierliche Materialien wie Eier, Tierhaarpinsel, Karminrot, Knochenschwarz oder Knochenleim verwendet. Da die meisten Pigmente und Bindemittel allerdings nicht-tierlichen Ursprungs sind und es auch viele synthetische Alternativen zu Tierhaarpinseln gibt, ist eine vegane Malweise nicht so schwer. Im Zweifel muss mensch natürlich Produktanfragen an die Hersteller*innen machen.

GWR: Ein Hauptthema Deiner Bilder sind die Grenzen bzw. die Aufhebung von Grenzen zwischen Menschen und Tieren. Da sitzen Schweine auf Sofas oder Kälber schlafen auf dem Parkett vor Barocktapeten – also in einer von Menschen für Menschen gemachten schönen Umgebung. Oft malst Du auch friedliche Utopien von innerstädtischen Räumen, in denen Menschen und Tiere sich aufhalten. Manchmal haben sie Kontakt, manchmal nutzen sie die Räume gleichberechtigt oder gehen einfach nebeneinander her, während Deine früheren Bilder oft eine Kritik an Herrschaft, Militarismus und bestimmten Männlichkeitsvorstellungen beinhalteten, z.B. der „Fleischhelm“, die „Fleischpistole“ oder der „Polizist mit Hund“. Wenn dies zutrifft, gibt es Gründe dafür?

H.K.: Als ich 2008 anfing, mich intensiv mit dem gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnis auseinanderzusetzen, fand ich angesichts des unermesslichen Leids der Tiere in der Tierindustrie zunächst gar keine andere Bildsprache, als eine, die diese Gewalt versucht sichtbar zu machen. Dabei ging und geht es mir auch darum, die Wechselwirkungen unterschiedlicher Herrschaftsformen in meine Bilder einzubeziehen. Ich war damals besonders inspiriert von der Arbeit der 2011 leider viel zu früh verstorbenen Aktivistin und Soziologin Birgit Mütherich, die als eine der ersten im deutschsprachigen Raum nicht-menschliche Tiere in die Soziologie mit einbezog und in Anlehnung an die Kritische Theorie der Frankfurter Schule auf die Interdependenzen der Unterdrückung von Tieren und Natur und der von Menschen durch Menschen hinwies.

Was meine Bildwelt betrifft, so habe ich ab etwa 2011 versucht, dem oft gewaltvollen Verhältnis von Menschen zu anderen Tieren positive Ausblicke eines möglichen Zusammenlebens entgegenzusetzen. Also praktisch Gegenbilder zur Tierindustrie zu schaffen und damit die allgemeine Sichtweise auf so genannte „Nutztiere“ zu verschieben. Dabei ist es mir aber wichtig geblieben, andere Formen von Unterdrückung mit zu denken und in meiner Bildsprache zu berücksichtigen.

GWR: Deine Bilder enthalten viele anarchistische Elemente: Lebewesen befreien sich oder genießen ihre Freiheit auf den Trümmern ihrer früheren Gefängnisse, Gebäude großer Fleischmarken verfallen und werden samt ihrer Firmenschilder und Reklametafeln von der Natur zurückerobert, in Stadtszenen finden sich entsprechende Schilder oder Graffiti wie „Refugees welcome“. Würdest Du Deine Kunst als anarchistisch bezeichnen und wie siehst Du den Zusammenhang zwischen Anarchismus und Tierbefreiung?

H.K.: Meine Bildwelten haben, wie Du sagst, durchaus anarchistischen Charakter. In ihnen sind die Herrschaftsverhältnisse gegenüber nicht-menschlichen Tieren aufgesprengt. Die Fleischindustrie ist ruiniert, Kühe, Schweine und andere Tiere eignen sich menschengemachte Umgebungen an, die Kategorien der ideologischen Legitimierung von Tierausbeutung sind aufgehoben.

Ich versuche, eine Welt zum Vorschein zu bringen, die durch speziesübergreifende Empathie, Inklusion und Solidarität geprägt ist. Eine Welt, in der die auf der Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur beruhende Profitmaximierung des warenproduzierenden Patriarchats überwunden ist, welche ja blind gegenüber dem stofflichen Reichtum und den Bedürfnissen menschlicher und nicht-menschlicher Tiere ist.

Tierbefreiung und Anarchismus gehören für mich logisch zusammen. Auf der einen Seite muss, wer Herrschaft überwinden will, auch die Herrschaft über nicht-menschliche Tiere überwinden und auch die Art in Frage stellen, wie menschliche Gesellschaft Natur beherrscht.
Denn, wie u. a. die oben erwähnte Birgit Mütherich herausgestellt hat, Naturbeherrschung und die Beherrschung von anderen Tieren stehen mit den Herrschaftsstrukturen zwischen Menschen in Wechselwirkung. Die unterschiedlichen Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse stabilisieren sich gegenseitig. Oder um es mit Tolstoi zu sagen: „Solange es Schlachthäuser gibt, wird es auch Schlachtfelder geben.“

Auf der anderen Seite kann eine wirkliche Befreiung aller Tiere, auch der Menschen, nicht in den Formen der aktuellen gesellschaftlichen Strukturen stattfinden, welche durch Ausbeutung, Grenzen, Käfige, Gefängnisse, soziale Ungerechtigkeit und diskriminierende Diskurse gekennzeichnet sind. Das reflektiert und transportiert der Begriff Tierbefreiung mit, indem er über das Konzept der Tierrechte hinausweist und auf eine Befreiung aller Lebewesen abzielt. Während das Rechte-Konzept auf eine das Recht durchsetzende Autorität/Gewalt angewiesen bleibt und seine Wurzeln in westlich patriarchalen Denkstrukturen hat, wie etwa die queerfeministisch-antispeziesistische Aktivistin Pattrice Jones brillant aufzeigt. Trotzdem halte ich Tierrechte als Zwischenziel innerhalb der jetzigen gesellschaftlichen Konstellation für sinnvoll.

GWR: Dann verstehst Du Dich selbst also als Anarchisten?

H.K.: Ja, seit ich 1999 das Buch „Freiheit pur“ von Horst Stowasser über die Geschichte und Theorie des Anarchismus gelesen habe, verstehe ich mich durchaus als Anarchisten. Ich möchte in einer Welt leben, in der Platz für viele Welten ist, ohne Herrschaft, Ausbeutung und Umweltzerstörung. Dies ist nur jenseits von Markt und Staat machbar.

GWR: Gab es noch andere politische Bewegungen oder Positionen, die Dich beeinflusst haben?

H.K.: In den letzten Jahren bin ich vor allem in der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung aktiv, aber über das Rhythms of Resistance–Netzwerk, ein transnationales Netzwerk von Aktionstrommelgruppen, auch unterstützend in diversen anderen Kämpfen wie Antirassismus oder Feminismus. Neben der Beschäftigung mit Anarchismus und den Human-Animal-Studies habe ich mich seit der Krise 2008/09 auch viel mit auf Marx basierenden Analysen und Kritiken an Staat, Demokratie und Arbeit, wie etwa der Wert-Abspaltungskritik beschäftigt.

GWR: Deine Bilder sind stark von deiner politischen Haltung geprägt. Droht dadurch nicht die Autonomie der Kunst verloren zu gehen? Wie siehst du das Verhältnis von Kunst und Aktivismus?

H.K.: Der Inhalt muss natürlich durch die Form getragen werden, damit die Bilder nicht ins Plakative oder Kitschige abdriften. Das ist tatsächlich die Herausforderung, der ich mich permanent gegenüber sehe. Was das grundsätzliche Verhältnis von Kunst und Aktivismus bzw. Kunst und Politik angeht, ist die von der Situationistischen Internationale geprägte Idee der Aufhebung der Kunst im Alltag interessant. In der Sphäre der Kunst sahen die Situationist*innen das Utopische vorweggenommen. Wenn sich also die Sphäre der Kunst ausbreitet, breitet sich das Utopische aus und verdrängt die Realpolitik mit ihren als Naturgesetze erscheinenden Sachzwängen. Die Situationist*innen bezogen sich in ihrer Theorie auf die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie. Im Kapitalismus sind die Menschen durch die Formen von Lohnarbeit, Ware, Geld und Politik von der direkten Bestimmung über die Produktion und Lebensverhältnisse abgeschnitten und entfremdet. Die Trennung der Sphäre des Polit-Ökonomischen und der Sphäre des alltäglichen Lebens sollte durch die Kunst, durch die „Herstellung von Situationen“, durchbrochen werden, um schließlich den Kapitalismus aufzuheben, hin zu einer freien Gesellschaft.

GWR: Was sind Deine Pläne für die nächste Zeit, gerade auch angesichts der Corona-Krise?

H.K.: Durch die Corona-Krise sind erst mal viele Termine auf Eis gelegt worden, sowohl was die Kunst als auch den Aktivismus angeht. Aktuell hängt schon meine nächste Einzelausstellung „Animal Utopia II“ in der Galerie Klaus Kiefer in Essen, die inzwischen geöffnet ist und voraussichtlich noch bis Ende Juni läuft. Ansonsten sind auch schon weitere Einzelausstellungen für 2021 im Essenheimer Kunstverein, der Kleinen Galerie in Döbeln, der Leipziger Galierie KUB für Herbst 2020 sowie eine Ausstellung „Animal Transition“ zusammen mit der Leipziger Bildhauerin Dana Meyer vom 7. Juni bis 16. August 2020 in der Städtischen Galerie Ehingen geplant. Dafür werde ich natürlich weitere Bilder malen. Inhaltlich möchte ich dabei versuchen, das Thema Verkehrswende und Tierbefreiung zusammen zu denken, und auch einen neuen Bildstrang zu beginnen, der sich mit dem Thema Ausbeutung von Wasser-/Meerestieren beschäftigt.

Ich werde auch weiter unmittelbar politisch aktiv bleiben. Denn auch wenn die Herausforderungen von ökologischer, wirtschaftlicher und politischer Krise schier überwältigend sind, müssen wir gerade jetzt den Krisenreaktionen von Rechts, dem Autoritarismus, Nationalismus und Faschismus entgegentreten und solidarische, postkapitalistische Alternativen jenseits von Markt und Staat aufbauen. Für eine Welt, in der die Entfaltung der Einzelnen die Entfaltung aller befördert, eine Welt freier Menschen in freier Vereinbarung, in der auch Tierausbeutung abgeschafft ist.

GWR: Danke für das Gespräch!

Nähere Infos über die aktuellen

und künftigen Ausstellungen:

hartmutkiewert.de

Kataloge:

mensch_tier“ (2012)

ANIMAL UTOPIA (2017)

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