Review

Freiheit auf der Stirn

Neu im Kino: Für Sama

| Michel Nölle

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al-Kateab bei der Arbeit - ©filmperlen

Sie schaut nicht weg, sondern hält extrem nah drauf – der mehrfach preisgekrönte Dokumentarfilm „Für Sama“ erzählt über den Alltag im belagerten Ost-Aleppo.

Die Videoaufnahmen der Aktivistin Waad al-Kateab aus dem umkämpften Ost-Aleppo liefen bereits ab 2011 beim britischen Sender Channel 4. Nun hat sie – zusammen mit dem britischen Filmemacher Edwards Watts – aus ihrem Videomaterial einen Dokumentarfilm gemacht, der seit Donnerstag in den Kinos zu sehen ist. Gewidmet ist der Film ihrer Tochter Sama und den Kindern von Aleppo.

Waad erzählt mit der Kamera, aber ihr Kommentar aus dem Off setzt die Bilder in den Zusammenhang einer Erzählung „für Sama“, die mitten im Kriegsgeschehen geboren wird. Sie soll verstehen, warum ihre Eltern nicht aus der belagerten Stadt geflohen sind. „Ich filme“, kommentiert Waad, „es gibt mir die Rechtfertigung hier zu sein. Die Gräuel scheinen dadurch einen Wert zu bekommen“. Sie fragt sich, ob ihre Tochter ihre Entscheidung später einmal verstehen wird.

Im Mittelpunkt des Films stehen die Erlebnisse einer Gruppe um das „Al-Quds“-Krankenhaus im von der Opposition kontrollierten Al-Sukkari-Viertel während der Belagerung Ost-Aleppos durch die syrische Arme im Jahr 2016. In sehr subjektiven, überwiegend aus der Hand gedrehten Einstellungen zeigt Waad das tägliche Leben der Menschen im Viertel aus nächster Nähe.

In längeren Rückblenden – und diese bilden die zweite Zeitebene des Films – werden die Jahre vor der Belagerung dargestellt: Schon 2011 filmt die damals 20-jährige Wirtschaftsstudentin Waad als Teilnehmerin die Studierendenproteste gegen das syrische Regime. Demonstrierende tanzen und singen in den Straßen. Hier lernt sie auch den jungen Arzt Hamza kennen und gemeinsam mit anderen beschließen sie ein Krankenhaus zu bauen – das „Al-Quds“.

Es ist eine der hoffnungsvollen Sequenzen des Films, die zeigt, wie sich eine Gruppe von Menschen inmitten eines Krieges organisiert und in der gemeinsamen Arbeit zu einer Gemeinschaft wird. „Eigentlich müssen wir Assad dankbar sein“, sagt Waad, diesmal vor der Kamera, „dass er uns zwingt alles neu zu machen. Wir müssen Putzkräfte, Apotheker und Klempner sein.“ Mit schwarzer Wandfarbe schreiben sie sich „Freiheit“ auf die Stirn.

Die Momente der Hoffnung werden allerdings seltener. Ein Anliegen des Films ist es, zu zeigen, wie die unfassbare Grausamkeit der Luftangriffe die Menschen demoralisiert, es aber nie schafft, ihren Widerstand und ihre Entschlossenheit dauerhaft zu brechen. Ein Mittel, das darzustellen, ist, diese Grausamkeit zu zeigen: Waad hält drauf, wenn man wegsehen will und nicht nur einmal wird sie von Umstehenden gefragt, ob sie das wirklich filmen will. So zum Beispiel, wenn die Leichen hingerichteter und gefolterter Männer aus dem Fluss gezogen und am Straßenrand aufgebahrt werden. Ihre Aufnahmen wirken jedoch nie voyeuristisch, nie hat man das Gefühl das gezeigte Leid sei nur Mittel zum Zweck. Ihre aktivistische Perspektive ist erkennbar eine Perspektive von innen heraus.

Hamza, Sama und Waad in Aleppo – ©filmperlen

Die aus dem Fluss geborgenen Leichen sind die ersten Toten des Films aber bei weitem nicht die letzten. In diesem Film sterben viele Menschen vor der Kamera, darunter viele Kinder. Überhaupt sind es oft die Kinder von Al-Sukkari, denen der Fokus der Kamera gilt: Sie baden in gefluteten Bombenkratern, malen einen zerbombten Bus bunt an, sie beweinen ihre toten Verwandten und Geschwister und vermissen ihre geflohenen Freund*innen.

Das alles ist auch auf der Couch schwer mitanzusehen und mit jedem Monat der Belagerung wird es schwerer hinzuschauen, bis ich mir wünsche, der Film möge endlich vorbei sein. „Für Sama” ist eine klare Filmempfehlung für alle, die ihn aushalten können.

Für Sama - Dokumentarfilm - Großbritannien, Syrien 2019 - Regie: Waad al-Khateab, Edward Watts - 95 Min. - Verleih: Filmperlen - FSK: 16

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