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Wohin?

Libertär-marxistische Navigation durchs Corona-Elend oder der Versuch, in verwirrenden Zeiten weder zu stranden, noch zu kentern

| Gerhard Hanloser

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Schiff im Sturm - Wand-Collage: Dirk Sandbaumhüter

Wie reagiert die Linke auf Covid-19? Der folgende Text von Gerhard Hanloser sichtet den linken Diskurs zur Corona-Epidemie. Der Autor fragt, wie es nach Corona weiter gehen soll und stellt die Klassenfrage. Der Text entstand im April 2020. (GWR-Red.)

Zweierlei Wahrheiten

Die Linke scheint sich in zwei Großgruppen aufzuteilen. Die einen argumentieren optimistisch-vitalistisch und dabei anti-staatstragend: Covid-19 sei nicht so dramatisch wie von den Mainstream-Medien behauptet. Der Staat verschaffe sich in kaum geahnter Weise Zugriffsmöglichkeiten auf die Gesellschaft. Betont wird mit dem italienischen linksradikalen Philosophen Giorgio Agamben, dass es dem biopolitisch aufgestellten Souverän um die Durchsetzung von vielerlei Notstandsmaßnahmen geht. Dies betonen auch linksbürgerliche Stimmen aus dem obskurantistischen Alternativmedienbereich („Rubikon“, „Nachdenkseiten“) wie eher anarchistische und linksradikale Positionen rund um die Berliner „Magazin“-Redaktion. Letztere nehmen selbst das Odium der „Verschwörungstheorie“ und die Nähe zum angefeindeten Arzt und früheren SPD-Bundestagsabgeordneten Wolfgang Wodarg auf sich, um gegen die „Panik“ und Angstpolitik eines totalitären Spektakels, wie man in Anlehnung an die Situationisten sagen könnte, zu agitieren. Und tatsächlich findet ja in der Krise und mittels der Maßnahmen gegen die Pandemie ein beispielloser Abbau von Grundrechten statt. Das Demonstrationsrecht ist de facto außer Kraft gesetzt. Das Infektionsschutzgesetz ist in Deutschland der Hebel zur Suspendierung demokratischer Selbstverständlichkeiten. Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren durch den „Amtshilfe“-Paragrafen ist in der Diskussion. Eine parlamentarische Opposition, aber auch eine nennenswerte außerparlamentarische scheint es nicht zu geben. Antirassistische Seebrückendemos werden unter dubiosen Vorwänden zerstreut, biedere Spaziergänge mit Grundgesetz polizeilich schikaniert. Gilt nun, so sagen diese Stimmen, nicht umso mehr die „Pflicht zum Ungehorsam gegenüber dem Staat“? Sie könnten sich darin sogar auf die Allgemeinplätze der angesehenen modernen Soziologie beziehen, wie auf Ulrich Becks „Risikogesellschaft“, worin festgehalten ist: „Die Risikogesellschaft ist eine katastrophale Gesellschaft. In ihr droht der Ausnahmezustand zum Normalzustand zu werden“. Nicht erst ein Blick nach Chile, Ungarn oder Israel mit den dortigen Notstandsregelungen, die fundamentale demokratische Rechte außer Kraft setzen, scheint kritische Stimmen, die aktuell die repressiven staatlichen Maßnahmen beklagen, zu bestätigen.

Andere, eher traditionslinke Marxisten-Leninisten loben China, da dort eine effektive Eindämmung unter anderem mittels eines kompletten „Lockdown“, einschließlich großer Teile der Wirtschaft, durchgesetzt werden konnte und gleichzeitig die Bevölkerung effektiv kontrolliert wurde und in ihren Bewegungsabläufen überwacht werden konnte. Philosophisch an Hegel geschulte Marxisten-Leninisten schwärmen von dem „sittlichen Staat“, der nun die Gesellschaft im Sinne des Allgemeinwohls lenken und leiten sollte. Felix Bartels schreibt in der „jungen Welt“, die Krise erfordere Staatsmachterobern, Zentralismus, Anti-Föderalismus. Eintreten für Bürgerrechte erscheint ihm als antikommunistisch motiviert. Selbst der antiautoritäre Publizist Helmut Höge meinte mit lobendem Blick auf „die Chinesen“ in der gleichen Zeitung, sie hätten „der Welt gezeigt (…)“, dass nur ein Staat unter der Führung der Kommunistischen Partei (und dank Krankenhausblitzbauten) solch eine Pandemie eindämmen kann“. Auch der in der gesamten radikalen Linken als Autorität gehandelte Mike Davis (Autor des Buches „Vogelgrippe“) findet lobende Worte über das aktuelle chinesische Vorgehen. Angesichts der Vogelgrippe hatte Davis unter anderem noch minutiös nachgezeichnet, wie die chinesische Regierung die damalige Seuche verschwieg und bagatellisierte. Die ähnlich gelagerte Politik der chinesischen Regierung angesichts der Covid-19-Pandemie ist Davis sicherlich nicht entgangen. Dennoch kommt er zu diesem vorsichtigen und doch gewagten Urteil: „Heute in einem Jahr werden wir vielleicht mit Bewunderung auf Chinas Erfolg bei der Eindämmung der Pandemie und mit Schrecken auf das Versagen der USA zurückblicken.“ Und tatsächlich – so muss man wiederum einräumen – wäre es vermessen, gegen eine Politik des Staates als Statthalter des Gemeinwesens zu opponieren, der Tote vermeidet und Menschen schlicht vor einer großen objektiven Gefahr schützt. Der marxistische Philosoph Slavoj Žižek widersprach Agamben auch fundamental, betonte in mehreren Texten, dass die Corona-Bedrohung real und einzig die Frage angemessen sei, wie man das humaner gestalten könne, was China in der notwendigen Unterbindung des Virus vorgemacht habe: staatliches konzentriertes Einschränken der Kontakte. Auch diese Haltung hat etwas für sich: Schließlich befinden sich mit dem US-amerikanischen Präsidenten Trump und dem Brasilianer Bolsonaro zwei protofaschistische Staatmänner im Lager jener, die ein „business as usual“ propagierten, keine besonderen staatlichen Maßnahmen ergriffen, die Gefahr des Virus minimierten und damit bewusst oder unbewusst einer Politik der „Triage“, die vor allem die Armen trifft, den Weg bereiten.

Der eigene Skeptizismus

Wer hat Recht? Wo könnte sich also ein libertär-kommunistisches Milieu wiederfinden? Ich versuche es essayistisch zu umkreisen.

Zuviel Vertrauen in Bundesregierung und Medien sollten gerade Antimilitarist*innen und Friedensbewegte nicht aufbringen, die sich noch an die medial orchestrierten Kriegsvorbereitungen während des Kosovokriegs 1999 erinnern. Als Vertreter*innen der alternativen Medienszene, aus Stadtzeitungen und freien Radios haben wir immer Marshall McLuhan und Niklas Luhmann von links überholt: „Klar, die Medien bilden die Realität nicht ab, sie erzeugen sie! Und deshalb brauchen wir Gegenöffentlichkeit!“ Dass sich dort auch dissidente, randständige Stimmen artikulieren können und sollen, steht ja außer Frage. Bei Leser*innen von feministischer Literatur zur Hexenverbrennung hat sich ein kritisches Verhältnis zur Herausbildung einer offiziellen Schulmedizin eingestellt, die von Männern dominiert und vom Staat sanktioniert ist. Im Soziologischen Seminar lernten wir Foucaults Kritik der Bio-Macht kennen, an die nun der oben erwähnte Agamben anschließt. Als Atom-Gegner*innen wissen wir, wie interessegeleitet wissenschaftliche Expertisen sind und wir sind gegenüber Expert*innen in Schlips und Kragen oder mit eingeübter habitueller Performanz (der Arztkittel) misstrauisch. Denn blindes Vertrauen in Experten, ja das Herausschälen einer Expertokratie lehnten Anarchist*innen der letzten Jahrzehnte doch stets ab. Den kritisch sich gebenden Dekonstruktivist*innen lauschten wir immer höflich bis andächtig, wenn sie erklärten, es gäbe keine vor-diskursiven Wahrheiten. Und auch wenn wir nicht jeden Materialismus aufgeben wollten, könnten wir aufgrund unserer prinzipiell antiautoritären, kritischen, Autoritäten in Frage stellenden Grundposition, ja dürften wir vor dem Hintergrund unserer skeptischen Sozialisation nicht diesen Aussagen vorbehaltlos zustimmen: „Nicht das Virus bestimmt unser Reden, Denken, Tun, sondern der Diskurs der Macht bestimmt, wie wir über das Virus reden, welche Haltung wir ihm gegenüber einnehmen, unsere Ängste und unsere Handlungen. Der Diskurs der Macht ist zunächst das, was wir aus den Medien erfahren, was wir weiter tragen in alle unsere Beziehungen und Begegnungen.“ Diese Worte eröffnen einen Text des Vorsitzenden der Berliner Neuen Gesellschaft für Psychologie und Schülers von Peter Brückner, Klaus-Jürgen Bruder, der sich damit in die erste linke Großgruppe einsortiert.

Barbarisierung und alternative Triage

Da die Linke angesichts der Corona-Krise überfordert ist, verlegt sie sich auf das, was sie am besten beherrscht. Wäre sie ehrlich, würde sie sich eingestehen: sie weiß sehr wenig über Viren, Epidemien, Pandemien. Hätte sie nicht den Setzbaukasten der „erlaubten“ Interpretationen, der jetzt brav aufgeklappt wird, wäre sie verloren. Ein Teil der Linken weiß zur Realität selbst wenig zu sagen, und verlegt sich darauf (wie übrigens auch der Autor dieser Zeilen), zu sichten, was andere schreiben. Eine besonders brave und angepasste Unterabteilung dieser Text-Linken kann gar nichts Wahrheitsfähiges mehr äußern und von sich geben, außer moralisch zu skandalisieren, von wem ein Gedanke ist und wo er veröffentlicht ist. Und so dürfte einigen besonders wachsamen Türhüter*innen bereits der Hinweis genügen, dass Bruders oben zitierter Text im Internet-Portal „Rubikon“ veröffentlicht wurde, das einigen Antifaschist*innen als Querfront-Internet-Projekt gilt.

Tatsächlich ist ein nicht unbedeutendes Arsenal an kritischen Gedanken, Haltungen und Positionen in transformierter Form im medialen Feld des Obskurantismus, nahe bei Verschwörungstheorien und politisch diffusen Positionen gelandet. Ein neuer Medienmarkt rund um „Nachdenkseiten“, „Rubikon“, „Rationalgalerie“, „KenFM“ ist entstanden, der sich von den alten Alternativmedien nach 1968 und zur Zeit der Neuen Sozialen Bewegungen erheblich unterscheidet. An ihrer Spitze stehen mehr oder weniger charismatische Figuren und Aufmerksamkeitshascher, nicht mehr die bunten Truppen der alten linken Gegenöffentlichkeit. Die neuen Alternativmedien markieren ein neues Marktsegment, behaupten tatsächlich, jenseits von links und rechts zu stehen und gerieren sich als verstiegene Wahrheitsverkünder. Hier finden sich all jene Meinungen wieder, die idealtypisch im Sinne liberaler Diskurs- und Kommunikationstheorie gehört und kritisiert werden sollten, aber in den Mainstreammedien marginalisiert sind. Das Stigma der „Verschwörungstheorie“ hängt über ihnen. Bestenfalls kommen sie in den großen Medien in den Genuss des „Faktenchecks“ wie Wodargs Thesen. Dass sie so aus dem offiziellen öffentlichen Gespräch ausgegrenzt werden, steigert nur ihre Attraktivität. Tatsächlich findet sich neben Vernünftigem und Kritischem genauso viel Irrationales bis Verheerendes in diesen alternativen Medienformaten. In einigem erinnern sie an die „Inflationsheiligen“ oder „Barfüßigen Propheten“ der Inflationszeit, nur auf dem Niveau der postmodern-neoliberalisierten Verhältnisse. Und waren in den 20er Jahren unter den Lumpenpropheten auch einige völkische, antisemitische oder nietzscheanisch-vitalistische Verkünder, so findet heute der ein oder andere rabiate Sozialdarwinist hier seinen Platz. So schien sich die Redaktion von „Rubikon“ in ihrer Anti-Notstands-Verve und der damit verbundenen diskursiven Minimierung der Gefahr, die von Covid-19 ausgehe, keinesfalls an einem Text zu stoßen, der von einem Sven Böttcher stammt und unter der Überschrift „Die Pseudo-Krise“, die Behandlung alter, durch das Corona-Virus erkrankter Menschen im Sinne eines sozialdarwinistisch anmutenden Malthusianismus ablehnt. Böttcher schrieb: „Deshalb möchte ich morgen von allen offiziellen Stellen weltweit hören: Über 80-jährige mit drei Vorerkrankungen und frischer Lungenentzündung behandeln wir nicht auf Intensivstationen, die schicken wir zum Sterben nach Hause, denn sterben müssen ja alle. Jüngeren ist es auch wieder gestattet, Sterbenden die Hand zu halten. Und sich zu Trauerfeiern zu versammeln. Auf eigene Gefahr. Alte und gebrechliche Teilnehmer an Trauerfeiern sind auf diese bestehende Gefahr ausdrücklich hinzuweisen. Unsere Intensivstationen und unser medizinisches Personal stehen selbstverständlich jüngeren Corona-Lungenentzündungspatienten weiter offen. Die Mortalitätsrate bei U-80, nicht vorerkrankten Corona-infizierten Patienten liegt derzeit bei etwa 0 Prozent.“

Es ist diese Brutalisierung gegenüber der Realität, die irritiert und abstößt. Es sind die gleichen Leute, die für Wodarg schwärmen und die in einem Komplementärverhältnis zu den „Qualitätsmedien“ und der Mehrheitsmeinung, die Wodarg ablehnen, dem Robert-Koch-Institut und den offiziellen Virologen jegliche Wahrhaftigkeit in den Aussagen absprechen. Diese nicht kleine Gruppe der sich zu Wort meldenden Corona-Leugner*innen, die privat über Telegram- und WhatsApp-Gruppen Verbreitung finden, verhärten sich vollständig gegenüber den Bildern aus Italien, dem französischen Elsass oder der USA. Sie wollen oftmals nicht wissen, welche Folgen das Virus hat, stößt es auf eine Region wie Italien mit einem kaputtgesparten Krankenhauswesen und wegen Umweltverschmutzung angegriffenen Lungen. Sie nehmen den Tod der ja in ihren Augen ohnehin sehr alten Menschen recht achselzuckend in Kauf. Für sie liegt es nicht nahe, in Solidarität mit potentiell Betroffenen (Kranken, Alten, Menschen mit Vorerkrankungen) die schlimmstmöglichen Szenarien auch hierzulande zu antizipieren. Denn in der Einsicht, an einer Unterbindung selbst mitzuwirken und vernunftgeleiteten Verzicht zu üben, der schmerzlich ist (Unterbindung physischer Kontakte, räumliche Isolation), wäre man plötzlich nichts weiter als gehorsamer Staatsbürger – zumindest im bundesrepublikanischen Arrangement.

Über die Sozialdemokratie hinaus!

Anpassung an die Realität ist also angesagt, nimmt man das Virus ernst, doch diese Anpassung ist tückisch. Was die Querulant*innen bekämpfen und zurückweisen, ist nämlich auch eine Zumutung für Anarchist*innen und kritische Marxist*innen. Denn wo angepasstes Verhalten nicht der Logik der Verhältnisse und der Gravität der Materie selbst folgt, kann sie zu unkritischer Demutshaltung oder einem großen falschen Einverständnis führen. Sicherlich zeigt Corona, was die Klimafrage schon längst hätte lehren sollen: Der Mensch als Gattungswesen ist den von ihm selbst hervorgerufenen Gefahren ausgesetzt, die vor-diskursiv sind. Doch wie man diesen begegnet, ist wiederum eine eminent politische Frage. Das zeigt sich nicht nur im Wissenschaftsverständnis, sondern auch im Staatsverständnis. Welche Rolle des Staates zeigt sich 2020 anlässlich der Corona-Krise? Die alt-anarchistische Vorstellung der staatlichen oder überstaatlichen Verschwörung „der Herrschenden“ oder irgendwelcher „Herrscher“ ist tief im antisemitischen Sumpf der Netz-Verschwörungstheorien angekommen, wo von „Rothschilds“, „Rockefellers“, „Bill Gates“ und der „New World Order“ geraunt wird, von rechts wohlgemerkt. Die meisten Anarchist*innen haben sich ja ohnehin abgewöhnt, die „Herrschenden“ als verschworene Clique zu betrachten. Anstelle des großen bösen Bildes „Staat“ hat sich eine Kakophonie von Staatsverständnissen breit gemacht und der Anarchismus partizipierte vom Marxismus oder akademischen Debatten. So hat sich ein neo-anarchistisches Verständnis vom Staat entwickelt, das vom unkritischen „der Staat sind wir alle“ bis zum neo-reformistischen „der Staat als Verdichtung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse“ im Anschluss an Antonio Gramsci und Nicos Poulantzas reicht. Mit den volksfürsorglichen Manövern der Bundesregierung, die mit Angela Merkel wieder die passende Vertreterin des semi-autoritären Appells an Demut und Vernunft gefunden hat, dürfte auch das gedankliche In-Erinnerung-Rufen der „linken Hand des Staates“ (Bourdieu) früher oder später dazu treten. Schon jetzt träumen einige von einer grazilen Mischung aus Staatsinterventionismus, Grundeinkommen, Helikoptergeld und volksgemeinschaftlicher Solidarität. Der Staat scheint in all diesen Varianten nicht „Staat des Kapitals“ zu sein, und diese affirmativen Urteile können mit dem fürsorglich erscheinenden, staatlich verordneten wirtschaftlichen Lockdown eine Bestätigung erfahren. Sind wir nun alle in der Hand von dem Gemeinwesen verpflichteten Volksvertretern, die auf den Rat neutraler Experten hören und dabei sogar die Wirtschaft düpieren? In der Bundesrepublik haben wir es mit einem auf Vernunft und Wissenschaft sich beziehenden volksgesundheitlichen Maßnahmenstaat zu tun, der in erster Linie mittels Konsens und Überzeugungskraft autoritär wirkt. Negativfolie sind ihm die in der Unvernunft verharrenden oder einen irrationalen Zick-Zack-Kurs einschlagenden Populisten wie Johnson, Trump und andere, die ihr eigenes populistisches Versprechen, das Volk zu schützen, gar nicht umzusetzen in der Lage sind. Können wir uns also hierzulande in Sicherheit wiegen, unseren Anarchismus aufgeben und die staatlich organisierte Gesellschaft wie im politikwissenschaftlichen Lehrbuch beschrieben sanftmütig betrachten?

Nichts wäre verkehrter als dies. Das fängt bereits damit an, dass in der Krise deutlich wird, dass dem öffentlichen Blick entzogene harte staatliche Institutionen Problem und nicht Lösung sind.

Die Epoche der Sozialdemokratie, des generalisierten Keynesianismus war auch die Epoche der einschließenden Institutionen. Diese sollten zwar zivil gemanagt werden und wurden auch ab den 70er Jahren in Gefängnisreformen, Psychiatriereformen und mittels des Einsatzes verständnisvoller Sozialarbeit modernisiert. Doch als einschließende Institutionen blieben sie immer erhalten. Nichts hat die vor allem arme Menschen tangierende Gefährlichkeit dieser Orte so drastisch aufgezeigt wie die Corona-Krise. Knäste und Abschiebegefängnisse wie -Lager sind Ballungszentren von Infektionen, die nicht dem Staat, sondern den Menschen selbst zur Gefahr werden. Deshalb sind Knäste, Abschiebegefängnisse und alle einschließenden, auf Strafe und Wegsperrlogik basierenden Repressionseinrichtungen aufzulösen.

Die meisten Toten in Deutschland gab es in Altersheimen. Altersheime sind je nach finanzieller Ausstattung und Klassenzugehörigkeit der Bewohner sehr unterschiedlich aufgestellt. Soziale Isolation alter Menschen als modernes Phänomen spitzte sich in der Coronakrise zu. Ein vielbeachtetes, auch medial prominent behandeltes Thema stellt die Zunahme von häuslicher Gewalt angesichts der Zurückgeworfenheit aufs Kleinfamiliäre in Zeiten eines Ausgehverbots dar. Aber besonders die Situation von Kindern, die einer Alleinerziehenden und deren Zugriffsmacht unterworfen sind, hat sich dramatisch verschlechtert. Sowohl das Elend der Alten, die unter der sozialen Isolation besonders leiden und in den abgeschlossenen Institutionen der Wohnheime der Pandemie in besonderer Weise ausgesetzt sind, als auch die Frage der patriarchalen Gewalt, die durch das geschlossene Sexarbeitsgewerbe zusätzlich negativ befeuert wird, oder der Gewalt, die als Herrschaft übers Kind oft Frauen von Männern verliehen wird, verweisen darauf, dass Realität wie Ideal der Kernfamilie selbst zuweilen dysfunktional sind, die Menschen nicht schützt und ihnen keine Geborgenheit offeriert. Die Ausweitung und Verbreitung von Großprojektwohnen und von Kommunen, in denen natürlich in gesundheitlichen Krisenzeiten auf besondere Verhaltensweisen geachtet werden muss, liegt also auf der Hand.

Die großen Fragen

Generell zeigt sich jetzt die heutige kapitalistische Gesellschaft in ihrer privatwirtschaftlichen Organisiertheit als hoch gefährdet und gefährdend. Es ist zum Allgemeinplatz geworden, dass sich nun das Zusammensparen im Gesundheitssektor und die Ausrichtung auf den Profit im Gesundheitswesen als tödlich erweist. Die bisherige Form der Gesellschaft ist den globalen Gefahren nicht gewachsen, das merken selbst die Herrschenden, die mit ihren politischen Entscheidungen an das äußerste Ende dieser Form gehen, um die Krise zu meistern. Dieses äußere Ende heißt Sozialdemokratisierung: Verstaatlichungsvorschläge und Finanzspritzen sollen den Laden zusammenhalten. Unternehmerische Kapazitäten sollen dadurch erhalten bleiben. Dabei werden auf der propagandistischen Ebene, wie die Reden von Bundeskanzlerin und Bundespräsident verdeutlichen, alle im großen „Wir“ mitgenommen. Volksgesundheit geht vor Privatinteresse – deswegen muss in der Zeit der Pandemie auch die Wirtschaft ruhen. Der wirtschaftliche Shutdown ist eine bislang unvorstellbare Entscheidung in einer Gesellschaft, in der Wachstum alles ist. Er zeigt aber auch, dass die Form dieser kapitalistischen Gesellschaft und ihre konkrete neoliberale Ausgestaltung absolut überdehnt sind.

Ein libertär-kommunistischer Pol sollte sich in dieser Situation nicht in Demut zurücklehnen, sondern die ganze Bäckerei thematisieren. Zuerst ist darauf hinzuweisen, dass auch das Corona-Virus ein Element des Klassenkampfs beinhaltet, nicht als bewusst eingesetztes Kriegsmittel des Kapitals, nicht in Form des „Klassismus“, ein untauglicher Begriff, der oft nur eine abwertende Sprache bemängelt, also sich im lärmenden Tummelfeld des Diskurses bewegt. Das Virus wirkt ganz materiell auf die gestaffelte Klassengesellschaft ein und vertieft die Klassenpositionen. Reiche ziehen sich wie bereits bei älteren historischen Seuchen in ihre abgezirkelten Bereiche zurück. Das Virus ist für Arme und proletarisierte Menschen weit tödlicher, weil sich diese nicht der Arbeit entziehen oder bequem in soziale Isolation zurückziehen können. Das Virus verschärft also die proletarische Existenzsituation in so dramatischer Weise, dass selbst die vorherrschenden Medien dies in den Blick nehmen müssen und die Politik sich herausgefordert sieht. Auf den ersten Blick erscheinen die Maßnahmen des Staates wie eine Neuauflage des Keynesianismus oder der alten Sozialdemokratie. Doch so wenig die partiellen Verstaatlichungen 2008 einen „Bankersozialismus“ oder „Katastrophensozialismus“ markieren, wie einige meinen, so wenig wird es nun von selbst einen in der und durch die Katastrophe herausgebildeten Sozialismus durch Hyperkeynesianismus oder Verstaatlichungsoffensiven geben. Was wir aktuell erleben, ist und bleibt Katastrophenkapitalismus, der eine gigantische Staatsverschuldung auf sich nimmt, die allerdings auch wieder vor dem Hintergrund einer in der Krise intakt gebliebenen Klassengesellschaft abgebaut werden wird. Konjunkturpakete oder ein 50er Jahre-Kriegsgesetz zum Umbau der Produktion, das von Trump gegen General Motors in Anschlag gebracht wurde, machen noch keinen „Sozialismus“. Die Verwechslung von „Verstaatlichung“ und staatlichen Eingriffen mit Sozialismus verwirrte bereits einige Sozialist*innen und Marxist*innen während der 30er und 40er Jahre, diese Fehler sollten nun nicht wiederholt werden.

Wir kommen also zu den großen Fragen. Tatsächlich scheint es so, als werde ein anvisierter kommunistischer Commune-Umbau der Gesellschaft immer drängender. Rätekommunisten wie Paul Mattick senior wie junior setzten darauf, dass nicht über bessere Aufklärung und Einsicht, sondern aufgrund einer fundamentalen Krise die Arbeiterklasse zu einer neuen Form der Gesellschaft – jenseits des Kapitalismus – finden wird, weil sie gezwungen sein wird, etwas neues herauszubilden. Wann, wenn nicht jetzt ist dieser Zeitpunkt erreicht? Einige Marxist*innen erinnern sich des Satzes von Karl Marx, „daß jede Nation verrecken würde, die, ich will nicht sagen für ein Jahr, sondern für ein paar Wochen die Arbeit einstellte, weiß jedes Kind“, wie er im Juli 1868 an Kugelmann schrieb. Auch die International Labour Organisation (ILO) rechnet mit der schlimmsten globalen Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Dramatische Auswirkungen auf die Arbeitskräfte werden in Aussicht gestellt. Von Massenentlassungen, Kürzungen von Löhnen bis hin zu Hungerepidemien ist die Rede.

Die aktuelle Situation stellt libertäre Kommunist*innen vor die alte Frage, die bereits in den frühen Dreißiger Jahren die Holländischen Rätekommunisten umtrieb: Wie kann Produktion und Verteilung in einer Situation wie jetzt und generell mittels einer Planwirtschaft bewerkstelligt werden? Sie sollte natürlich nicht wie in China mit deren autoritärer Zentralverwaltungswirtschaft aufgebaut sein, sondern als Erhebung des Bedarfs, einer koordinierten Ermittlung dieses Bedarfs, einer weitgehenden Transparenz, was wo wie benötigt wird. Die internationale Community der Gesundheitsexpert*innen versuchen bereits, global zu diskutieren und dezentral erworbene Ergebnisse auszutauschen. Natürlich entfaltet sich im dynamischen Kapitalismus nicht nur eine neue Zeitstruktur und enormes Bewusstsein, sondern auch Kooperationsfähigkeit und Schnelligkeit von kommunikativen Prozessen. All dies umfasst meines Erachtens den Begriff der Produktivkräfte. Diese sprengen aber nicht von alleine die sie hemmenden Formen. Und vor allem entsteht nicht von alleine, als immanente Bewegung, eine postkapitalistische Gesellschaft. Politisch wie ökonomisch wird diese Kooperation von den Einzelstaaten mit ihren nationalen Egoismen und den unternehmerischen Profitinteressen sabotiert. Die Bourgeoisie und die herrschende Klasse sind keinesfalls anachronistische Kategorien. Sie garantieren Profitinteressen und sorgen für die Durchsetzung der Eigentumsrechte. Was also diese Krise der linken, radikalen Diskussion aufdrängt, ist die politische Frage als Machtfrage. Ohne Zerschlagung dieser vorgegebenen politischen Formen und der sie reproduzierenden und von ihnen profitierenden Klassen macht die ganze Frage des radikalen Umbaus keinen Sinn. Es ist dieses „leninistische Moment“, dem man mit John Holloway („Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen“) gerne im libertären Milieu ausweicht, das sich aber durch die Krise in aller Deutlichkeit denjenigen, die an einer Aufhebung der Verhältnisse interessiert sind, aufdrängt.

Wie? Was steht an?

Zerschlagung klingt nach Kampf und militant. Welche Vorstellung haben wir davon? Genoss*innen verklebten das Plakat „Wer hortet plündert nicht!“ Sicherlich: Horten ist Aufschließen des bürgerlichen Bewusstseins zum Avantgardebewusstsein des Preppers. Der Prepper ist eine widerwärtige Figur, er ist eben auch die krisenhaft zugespitzte kapitalistische Konsummonade im Zustand panischer Angst, die sich jeglicher Zivilität entkleidet. Er ist auch ein wenig der hässliche Bruder des von Thoreau entworfenen „Walden“-Einsiedlers, der in einem naiven Rousseauismus aus der Natur gewinnen kann, was er zum Leben braucht und seinen alternativen und ausgewogenen Lebensstil gegen jeden äußeren Zugriff zu schützen weiß. Der/ die Horter*in ist dahingegen tendenziell Massenwesen und staatstreu. Der Prepper (er ist meist männlich) ist wie der anarchische Einsiedler der Literatur staatsfern bis antistaatlich eingestellt. Dass zu Beginn der Pandemie die Reichsbürgervereinigungen in der Bundesrepublik kriminalisiert und verboten wurden, die dem bundesrepublikanischen Staat weit mehr als der durchschnittliche Autonome der 80er Jahre die Existenzberechtigung absprechen, dürfte kein Zufall sein.

Ist der Rioter, der Plünderer, die positive anarchistische Gegenfigur zum Prepper? Kann er gar eine neue politische Form im Riot generieren, wie das anarchistische Plakat suggeriert? Hatte der Polemiker Wolfgang Pohrt im mittelschichtsautonomen Hausbesetzer der 80er Jahre den zukünftigen Hausbesitzer erkannt, so ist es jetzt keine schwere Aufgabe, in der Hamster-Käuferin von heute auch die ein oder andere Autonome von gestern wieder zu erkennen. Doch bleiben wir ernsthaft: Die alte autonome Theorie der 80er Jahre trug als ein neuer Antiimperialismus Materialien aus der ganzen Welt zusammen, um Unruhen, Sozialrevolten und „Riots“ wie bereits in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts als hoffnungsvolle Zeichen eines neuen unmarxistischen Klassenkampfes auszugeben. Eine solche Haltung wurde ungeachtet der Kritiken, wonach historisch in diesen Unruhen des 19. Jahrhunderts antisemitische Übergriffe ihren beständigen Platz hatten und die Riots beispielsweise im nahöstlichen Raum des späten 20. Jahrhunderts nur dann fortschrittlich blieben, wenn sie Teil von Klassenkämpfen waren. Sehr oft blieben sie nur das Vorspiel für den Durchmarsch islamistischer Organisationen, an deren Spitze eine fromme Mittelschicht stand, die die revoltierende Jugend als Rammbock ihrer Macht benutzte. Ungeachtet dessen wurden anlässlich der „Riots“ in Hamburg zum G-20-Gipfel, die nicht mehr als eine Repressionswelle und rechtsradikale „Linksextremismus“-Propaganda hervorriefen, diese Riot-Theorien wieder aufgelegt unter Bezug auf den Theoretiker Joshua Clover, der diese Aktionsformen als neue Form des Klassenkampfs der Außerkursgesetzten wertet. Dabei war das französische neoanarchistische „Unsichtbare Komitee“, das bislang eine solche Strategie propagierte, abgerückt davon, die reine Straßenmilitanz als probates Mittel auszugeben. In ihrer Schrift „An unsere Freunde“ schrieben sie, dass sowohl die reine Lehre der Militanz wie jene des Pazifismus falsch sei. Letztere beinhalte eine heuchlerische Position, denn kein angeblich siegreicher Pazifismus – wie Gandhi‘s nationaler Befreiungskampf gegen England – konnte sich nur aufgrund des reinen Gewaltverzichts durchsetzen, erstere sei im Kern wenig hilfreich und ende oft in einem erschreckenden Gewaltfetisch. Stattdessen müsse man sich der Produktion und den Produzent*innen zuwenden: „Was den Arbeiter ausmacht, ist nicht seine Ausbeutung durch einen Chef, die er mit allen anderen Lohnabhängigen teilt. Was den Arbeiter positiv ausmacht, ist sein technisches Können, verkörpert in einer bestimmten Produktionswelt. Niemand kann individuell die Gesamtheit der Techniken beherrschen, die dem gegenwärtigen System erlauben, sich zu reproduzieren. Das kann nur eine kollektive Kraft (…). Wir müssen wieder eine akribische Forschungsarbeit aufnehmen. Wir müssen in allen Sektoren, in allen Gegenden, die wir bewohnen, auf diejenigen zugehen, die über strategisches technisches Wissen verfügen. Nur dann werden es die Bewegungen wirklich wagen, ‚alles zu blockieren‘.“

Genau in diesem Sinne rückten nun während der Corona-Krise notwendige Arbeitsabläufe ins Zentrum aller, tauchte die Frage auf, welche Arbeit Gebrauchswert für alle hat und welche nicht. Die Arbeit einer Verkäuferin, einer Krankenschwester, einer Chefärztin, einer LKW-Fahrerin und einer Logistikangestellten bekam eine Sichtbarkeit und erfuhr eine Würdigung, wie davor kaum absehbar und denkbar. Auch sind bereits in der Krise wie von selbst mannigfaltige Strukturen gegenseitiger Hilfe entstanden, die aufzeigen, dass sie das Bild des wilden Mobs und des wölfischen Stärkeren, das der autoritäre Leviathan stets benötigte, um sich zu rechtfertigen, konterkarieren. Diese Kropotkin bestätigende Beobachtung von Kooperation und wechselseitiger Hilfe wird ergänzt durch die Sichtbarkeit eines weitverbreiteten, spontanen „Verhaltenskommunismus“ (David Graeber), der bislang auf Familien und Nahbeziehungen beschränkt war und in der Krise eine lokale Ausweitung erfuhr.

Doch nicht alle leben im selben Jetzt. Während sich die Berliner Hipster darüber Sorgen machen mussten, wie mit dem geschätzten OKCupid-Dating-Verhalten weiter zu verfahren ist in Zeiten des Infektionsschutzes und sich die Selbständigen unter ihnen freuen konnten, wenn sie vom Land 5000 Euro nach Onlineanmeldung und unbürokratisch überwiesen bekamen, zeigt das Virus anderswo ganz andere, weit heftigere Auswirkungen. In Indien droht schlicht der Ausfall der basalen Versorgung für die Ärmsten. Während global die einen sich im Homeoffice befinden und sich über Telefonkonferenzen weiter kommunikativ austauschen, droht den Tagelöhner*innen des globalen Südens schlicht der Hunger, werden sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. In der Krise werden wir auf den „imperialen Lebensstil“ verwiesen, den es aufgrund der nach wie vor bestehenden globalen Nord-Süd-Spaltung gibt. Insofern sind die hierzulande sprichwörtlich gewordenen hortenden Klopapieraufkäufe nicht nur Anlass variantenreicher Witze, sondern bitterer Vorgriff auf eines: auf trotziges Weiterkonsumierendürfen wie bisher. Man hat ja nach der Pandemiekrise – ob in ein paar Monaten oder Jahren – die Urlaubsreisen nachzuholen und die Sau rauszulassen. Auch darin ist der Proletarisierte des Nordens und besonders der Bundesrepublik Deutschland Teil der „imperialen Lebensweise“. Denn dies ist der auf der Zirkulationsebene sich abspielende konsumentenideologische Widerschein der verallgemeinerten Ideologie des Kapitals und der Einzelstaaten: Nach der Krise muss es wieder weitergehen wie bisher. Auf diesen Konsens kann Herrschaft vertrauen. Wachstum muss aufgeholt werden. Klimakrise? Kein Thema, so steht zu befürchten.

Allerdings existiert auch kein homogener Block einer Dritten Welt, die einer Ersten Welt entgegenzustellen wäre und vice versa. Denn die Lebenslagen selbst sind hochgradig von der Klassenstruktur der Gesellschaften durchzogen. Ein Mittelschichtslehrer einer deutschen Großstadt konnte sich ins bequeme Homeoffice zurückziehen, nebenbei an der beschleunigten Digitalisierung des Bildungswesens durch Google mitwirken und die Tiefkühltruhe mit tendenziell teurem Bioessen auffüllen, eine Supermarktkassenangestellte eben nicht. In den USA sind es vor allem die schwarzen arbeitenden Armen, die vom Virus tödlich getroffen werden. Die libertären Impulse von System-change-not-climate-Change müssen also unbedingt wieder aufgenommen und vertieft werden, ohne dass die Klassenstrukturen aus dem Blick geraten und ein falsches großes Verzichtskollektiv propagiert wird.

Die ökologische Frage als Teil der Klassenfrage müsste in die bald anstehenden Verteidigungskämpfe, die nach der Krise zu erwarten sind, eingespeist werden, wenn es von Seiten der Herrschenden heißt: „Packt an, baut auf, wir haben viel aufzuholen, mäkelt nicht rum.“ Dann wird sich auch zeigen, ob die Ergebnisse der Einübung in den Notstand den Herrschenden wie faule Früchte in den Schoß fallen, oder ob gattungsbezogene Selbstverantwortung und Verantwortung gegenüber dem Anderen beziehungsweise vernunftgeleiteter Verzicht in Zeiten der gebotenen physischen Distanz dominierend waren und ob die gegenseitige Hilfe und das partielle Sabotieren sinnloser Arbeit sich zu einer harten Alltagsopposition gegen das Post-Krisen-Management verdichten lassen.

Gerhard Hanloser

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

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