Filmreview

Zaumzeug für den nächsten Infowar

Aktuell im Stream: The Hunt

| Lukas Münich

Beitragthehunt
©Universal Pictures, (das Bild wurde bearbeitet)

„The Hunt“ ist, laut Eigenwerbung, der umstrittenste Film des Jahres. Doch die beabsichtigte Satire funktioniert nicht wirklich und spielt, im schlimmsten Fall, der erstarkenden Alt-Right-Bewegung in die Hände.

Der Film „The Hunt“ von Craig Zobel (The Leftovers, Westworld) beginnt mit einem Gruppenchat. Über die Schulter einer Chat-Teilnehmerin können wir eine Unterhaltung verfolgen. Es wird über Tier-Gifs gelacht, über den Chef gelästert. Die Frau, der wir über die Schulter gucken, schreibt, dass sie ihren Frust am Wochenende auf ihrem Landsitz rauslässt, wo sie wieder mal „ein paar Menschen abknallen“ wird – ein etwas weit hergeholter „Gag“. Insgesamt strotzt das Drehbuch von Jason Blum und Damon Lindelof vor Handlungslöchern, unmotivierten Entscheidungen der Figuren und austauschbaren Dialogreihen und ähnelt eher der Plotlinie eines Videospiels, als der eines Spielfilms.

Monate nach dem Chat gerät die Gruppenunterhaltung an die Öffentlichkeit, weshalb alle an der Unterhaltung Beteiligten ihre wohldotierten Jobs verlieren. Aus Rachegelüsten entführen die Geschassten die „schuldigen“ Internetaktivist*innen und planen, sie auf besagtem Landsitz hinzurichten.

Der Plan wirkt so absurd wie konstruiert und die Opfer fallen in den ersten Minuten der Jagd ohne Chance auf Gegenwehr wie die Schießbudenfiguren um. Ganz nach dem „Game of Thrones“-Prinzip wird der Blick der Zuschauer*innen dabei von einer Figur auf die nächste gelenkt, nur, um ihr beim Sterben zusehen zu dürfen. Die zum Teil hoch dotierten Schauspieler*innen wie Emma Roberts fungieren dabei als Red Herring an der VOD-Kasse. Eine Figur nach der anderen erliegt brutalen Kopfschüssen, Explosionen oder Fallen.  Ein Versuch innovativer Dramaturgie. Doch der Effekt verbraucht sich schnell, irgendwann ist abgesehen von der Protagonistin Crystal (hölzern gespielt von Betty Gilpin) fast keine der Figuren mehr übrig.

Ihr gelingt als einer der wenigen Gehetzten die Flucht vom Gelände und sie beginnt die Jagd auf ihre Peiniger*innen, die sich feige in ihrem Unterschlupf verschanzt haben. Das läuft nach dem uralten Muster des „Revenge Porn“ ab. So viel zum Thema „Innovative Dramaturgie“.

Langsam jedoch offenbart sich den Zuschauer*innen die Motivation der Mörderbande: Crystal und die anderen Entführungsopfer haben sich mit ihrer „Politischen Unkorrektheit“ für das perverse Spiel qualifiziert. Alle handausgewählten Opfer sind Nationalisten, MAGA-Anhänger, rechte Influencer und Trolle. Die Täter wiederum stellen sich als Liberale heraus mit politisch korrekter Sprache und all dem, was sich Vertreter der Alt-Right-Bewegung so unter liberaler Geisteshaltung vorstellen.

Trailer zum Film – Quelle: Youtube

Schließlich trifft Crystal auf „Endboss“ Athena (Hilary Swank), die ihren Landsitz für die Menschenjagd zur Verfügung gestellt und aus dem Hintergrund die Fäden gezogen hat. Sie fällt der Heldin in einem anständig choreografierten Messerkampf zum Opfer. Durchgespielt.

Bezüge zu Clinton und den Kindern

Die E-Mail-Affäre rund um ihr Wahlkampfteam kostete Hillary Clinton 2016 wichtige Punkte und Glaubwürdigkeit im Rennen um die Präsidentschaftswahl. Damals wurden ihr die Versäumnisse in der Sicherheit ihres Mailservers zum Verhängnis, natürlich war nicht von Menschenjagd die Rede. Doch das Narrativ von „The Hunt“ trifft einen Punkt, der den Neurechten ein selbstzufriedenes Lächeln auf die Lippen zaubern wird.

Denn im Chat bezeichnet Ober-Schurkin Athena ihre Opfer als „Deplorables“ (etwa Verabscheuungswürdige). Einen Begriff, mit dem Clinton einst Trump-Anhänger*innen betitelte.

Für die die Anhänger der QAnon-Theorie ist Hillary Clinton indes Teil eines obskuren Kindermörder-Rings, der seine Reihen aus der Liberalen Elite speisen soll. „Politische Korrektheit“ stelle die ultimative Waffe dar, um Gegener mundtot zu machen und von dunklen Machenschaften abzulenken.

„The Hunt“ bedient sich bei Richard Connells Kurzgeschichte „Das grausamste Spiel“ von 1924, in welcher ein amerikanischer Hobbyjäger auf den russischen Aristokraten „General Zaroff“ trifft, der der Oktoberrevolution und der Rache der Bolschewiki entkommen konnte und sich seitdem in seinem selbstgewählten Exil, einer ansonsten unbewohnten Insel, langweilt, weshalb er regelmäßig Jagd auf schiffbrüchige Menschen macht und schließlich von dem beherzten Amerikaner zur Strecke gebracht wird. Wirklich viel hat das nicht mit „The Hunt“ zu tun. Möglicherweise handelt es sich um eine Marketingstrategie:  „Das grausamste Spiel“ ist eine der meistgelesenen Kurzgeschichten in den USA, Literaturstudent*innen lernen an ihr Spannungsaufbau, Richard Connell wurde durch die Veröffentlichung zum Star und Drehbuchautor in Hollywood. Die Erzählung ist populär und zieht Leute ins Kino, denen das Narrativ des wehrhaften, einfachen Amerikaners gefällt.

Am 3. und 4. August 2019, einen Monat vor Erscheinungstermin von „The Hunt“ wurden in El Paso und Dayton 32 Menschen von zwei Männern ermordet. Die Veröffentlichung wurde auf Mai verlegt.  Man entschied sich für den anspielungsreichen Claim: „Der meistdiskutierte Film des Jahres, dabei hat ihn noch niemand gesehen. Entscheiden Sie selbst.“

Alles nur ein Versehen? Damon Lindelof und Jason Blum (aus dessen Feder auch die Drehbücher zu „The Purge“ stammen, einer Filmreihe, mit der er seit 2013 der, von der NRA propagierten, Selbstbewaffnung des amerikanischen Bürgers einen Gottesdienst nach dem anderen feiert), sehen sich politisch weder rechts noch links.

Fakt ist jedoch, dass sie den Neurechten mit diesem Film das Zaumzeug für den nächsten Infowar in die Hände gegeben haben.

Dies ist ein Beitrag der Online-Redaktion. Schnupperabos der monatlichen Printausgabe zum Kennenlernen gibt es hier