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Die Folgen des Zivilen Ungehorsams

Repression gegen gewaltfreie Aktivist*innen

| Gerd Büntzly

In den Jahren 2010/2011 gab es in der Graswurzelrevolution eine Diskussion über die Folgen Zivilen Ungehorsams: Sollen wir diese Folgen klaglos annehmen oder uns dagegen wehren? Auf der einen Seite stand Wolfgang Sternstein, der Gandhi auf seiner Seite sah (1), auf der anderen ein paar jüngere Aktivisten (2), die sich ebenfalls auf Gandhi beriefen, aber nichts von der Idee hielten, man müsse sich „opfern“.

Diese Diskussion wird gegenwärtig durch eine Reihe von Prozessen gegen Friedensaktivist*innen in die Praxis überführt. Die Vorwürfe der Justiz: Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, Eindringen auf ein Militärgelände. Zwischen Januar und August 2020 waren es zehn Termine, und mehr als ein Dutzend stehen noch bis zum Ende des Jahres an. Die Orte sind Cochem (Amtsgericht), Koblenz (Berufungssachen) und Bonn (Bußgeldsachen). Für die einzelnen Angeklagten ergeben sich die verschiedensten Optionen: Die einen bezahlen Bußgeld oder Geldstrafe, unterstützt von Bekannten oder solidarischen Mitmenschen, denen sie z. B. einzelne Tagessätze „verkaufen“. Andere legen Widerspruch ein und argumentieren vor Gericht und in der Öffentlichkeit gegen die Atombomben und gegen das Militär. Sie stehen ein für die Regelverletzung, die sie begangen haben, aber verlangen Freispruch mit dem Argument, dass die Monstrosität der Atombomben in keinem Verhältnis steht zu dem Zerschneiden eines Zauns und zum Eindringen auf ein Militärgelände. Manche von ihnen haben sich vorgenommen, wegen der Atombomben in Büchel bis zum Bundesverfassungsgericht zu gehen, ja bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, da das BVerfG sich wiederholt geweigert hat, sich mit dem Thema überhaupt zu befassen. Wieder andere haben sich vorgenommen, nicht zu bezahlen, sondern statt dessen öffentlichkeitswirksam ins Gefängnis zu gehen.

In Cochem waren nun erstmals auch Personen aus den Niederlanden und den USA angeklagt. Die Behörden taten sich schwer, Ausländer*innen juristisch zur Verantwortung zu ziehen, da das für sie einen erheblichen Arbeitsaufwand bedeutet. Inzwischen haben sie Klageschriften sogar auf Niederländisch zugestellt, an US-Amerikaner*innen in Englisch nur, soweit sie in Deutschland wohnen. Die Betroffenen haben genau das gefordert: Sie wollen nicht straffrei ausgehen, sondern die Konsequenzen ihres Ungehorsams auf sich nehmen. Das aber eben nicht privat für sich, sondern mit möglichst großer Resonanz in der Öffentlichkeit.

Prozesse

Die Aktionen Zivilen Ungehorsams in Büchel und in der Altmark reihen sich ein in den Widerstand der Menschen, die jetzt die Braunkohle-Tagebaue besetzen, der Schülerinnen und Schüler, die für das Klima auf die Straße gehen und die Schulen bestreiken. Und wer sich nicht zu einer Aktion des Zivilen Ungehorsams in der Lage sieht, kann diesen mit Geld unterstützen. Die bisher feststehenden Termine der Prozesse ab September 2020 findet Ihr im Anhang dieses Artikels. (3)

Solidarität

Bei diesem reichlichen Angebot muss doch für jeden etwas dabei sein! Wer immer die Möglichkeit hat, sollte sie nutzen, einem Prozess beizuwohnen. Nähere Informationen zu den Prozessen, außerdem Kontaktmöglichkeiten wegen Mitfahrt, Übernachtung u. ä., finden sich auf den Seiten der Aktionsgruppen, Kampagnen und Bürgerinitiativen (siehe Anmerkung 4).

Spenden für die Prozesskosten und evtl. die Bezahlung der Strafen sind sehr willkommen! Jede Aktionsgruppe hat ihr eigenes Spendenkonto, das auf der betreffenden Seite zu finden ist.

Gerd Büntzly

Anmerkungen:

1) Siehe: Wolfgang Sternstein, Die gewaltfreie Revolte gegen „Stuttgart 21“, in: Graswurzelrevolution Nr. 354, Dezember 2010

2) Zum Beispiel: Lou Marin: Wir kämpfen nicht für Demokratie, und Besalino: Ziviler Ungehorsam als Leidensideologie? Antwort auf: Wolfgang Sternstein, Die gewaltfreie Revolte gegen „Stuttgart 21“ (GWR 354), beide Artikel in: Graswurzelrevolution Nr. 360, Sommer 2011. Jetzt dank überragender Anstrengungen der Online-Redaktion auch im digitalen GWR-Archiv zu finden. :-)

3) Prozesstermine:

2. 9. Amtsgericht Cochem, Anklage wegen unerlaubten Fotografierens einer Militäranlage

3.9., 9:00 Uhr, Amtsgericht Bonn (Bußgeldsache)

8.9., 10:00 und 11:00, Amtsgericht Bonn (Bußgeldsache), am Vorabend öffentliche Veranstaltung in Bonn zum Thema

14.9., 8:30 Uhr, Amtsgericht Bonn (Bußgeldsache)

20.10., 12:00 Uhr Amtsgericht Bonn (Bußgeldsache)

4.11., 8:00 Uhr, Amtsgericht Cochem: Anklage wegen Hausfriedensbruchs

4.11., 13.30, Uhr, Amtsgericht Cochem: Anklage wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt

11.11., Amtsgericht Cochem: Anklage wegen Hausfriedensbruchs

16.11., Amtsgericht Cochem: Anklage wegen Hausfriedensbruchs

19.11., 8:30 Uhr, Amtsgericht Cochem: Anklage wegen Hausfriedensbruchs

25.11., 8:30 Uhr, Amtsgericht Cochem: Anklage wegen Hausfriedensbruchs

2.12., Amtsgericht Cochem: Anklage wegen Hausfriedensbruchs

16.12., 8:30 Uhr, Amtsgericht Cochem: Anklage wegen Hausfriedensbruchs

4) https://buechel-atombombenfrei.jimdofree.com/prozesse/

https://junepa.noblogs.org/aktionen/widerspruch/texte-aus-dem-gerichtssaal/

https://buechel-atombombenfrei.jimdofree.com/international/international-action-camp/

https://offeneheide.de/vorige_fw2015-18.htm