Auch neofaschistische Strömungen in der BRD lassen sich von Bürgerkriegsstrategien ihrer rechten Gesinnungskameraden aus den USA inspirieren. Prepper und Nazis in der Bundeswehr legen Waffenlager für den Tag X an. (GWR-Red.)
Die Corona-Zeit ist auf der Ebene der Protestbewegungen eine Zeit galoppierender Irrationalität. Offensichtlichstes Beispiel dafür ist das Überschwappen aus den USA der kruden QAnon-Ideologie, deren Anhängerzahl in der BRD vom 5. Januar 2020 bis Mitte September um 323% auf 105.000 Personen exponentiell angestiegen war. Der schwäbische QAnon-Gläubige Martin Schmidt wird etwa zitiert, es müsse „bald eine Revolution geben, idealerweise friedlich“. Und wenn das nicht funktioniere? „Dann wird der dritte Weltkrieg ausbrechen. Und das wird der letzte sein.“ (1)
Der „Sturm auf den Reichstag“ und die Kollaboration mit den „Reichsbürgern“
Im Vergleich zur waffenstarrenden und bereits am Rande des Bürgerkriegs stehenden USA hat die gewaltfreie Bewegungskultur der letzten Jahrzehnte dazu geführt, dass der Ausgangspunkt für Gewaltstrategien dieser neofaschistisch-irrationalistischen Tendenzen in der BRD sehr niedrig ist, so dass der Riot, der Bürgerkrieg, der Dritte Weltkrieg im Moment erst noch eher vollmundig angekündigt werden, ohne im Moment eine Chance auf Verwirklichung zu haben. Nicht nur die Explosion von QAnon-Gläubigen seit Beginn der Corona-Pandemie zeigt aber, dass die sorglose Beteiligung und Vermischung vieler Bürger*innen mit solchen Irrationalen einen Faktor der Beschleunigung darstellen. Über die „Reichsbürger“, die am sogenannten „Sturm auf den Reichstag“ mit ihren Reichsflaggen am Rande der Anti-Corona-Demo in Berlin am 29. August 2020 maßgeblich beteiligt waren, ist etwa seit Jahren bekannt:
„Generell spielen Waffen eine große Rolle in der Bewegung. Auch deshalb, weil viele ‚Reichsbürger’ von einem Bürgerkrieg und einer nationalen Revolution träumen, wie aus entsprechenden Internet-Seiten und Flugblättern hervorgeht. Im Jahr 2016 hat ein mutmaßlicher ‚Reichsbürger’ in Bayern auf Polizisten geschossen, die seine Waffen beschlagnahmen wollten.“ (2)
Niemand unter den Anti-Corona-Demonstrant*innen kann sagen, sie/er hätte das nicht wissen können. Und sie können noch so oft betonen, sie seien doch selbst „friedlich“, das ändert nichts an der Tatsache, dass sie auf den Demos faktisch mit nationalistischen Gewalttätern kollaborieren, denn der „Sturm auf den Reichstag“ wurde bereits breit über die enge „Reichsbürger“-Szene hinaus bejubelt. Deswegen ist eine solche Vermischung mit „Reichsbürgern“ nie gewaltfrei, sondern immer eine Kollaboration mit rechter Gewalt. Auch der Boykott jüdischer Geschäfte 1933 war nie „friedlich“ oder „gewaltfrei“. Emanzipative Gewaltfreiheit abstrahiert nie von den Zielvorstellungen einer Aktion, und die der Nazis waren damals wie heute Auslöschungsphantasien. Wenn sich Michael Ballweg, der „Querdenker“-Initiator nachträglich davon distanziert, ist das Kalkül und Taktik. Glaubhaft wäre das nur bei striktem Ausschluss der neofaschistischen Corona-Gegner*innen und bei Nicht-Tolerierung aller nazistischen Fahnen und Insignien auf solchen Demos, wozu Ballhaus niemals bereit ist.
Prepper bereiten sich mit Waffenhorten auf den Bürgerkrieg vor
Die Vermischung von bürgerlichen Milieus mit nazistischen Organisationen und ihren Bürgerkriegsszenarien ist besonders intensiv in der sogenannten „Prepper“-Szene zu beobachten, offiziell ebenfalls unbescholtene, besorgte Bürger*innen, die „sich auf Ausnahme- und Notfallsituationen wie Stromausfälle oder Naturkatastrophen vorbereiten, Wasser und Nahrung horten, für einen sogenannten Tag X gerüstet sein wollen“. (3) Neonazistische Gruppen wie etwa „Nordkreuz“ schwammen nun jahrelang im Fluss dieser „Prepper“-Szene und verstanden aber unter „Tag X“ etwas anderes, keine Naturkatastrophe, sondern zum Beispiel einen neuen „Herbst 2015“, also die massive Aufnahme einer neuerlichen „Geflüchtetenwelle“. „Nordkreuz“ wird inzwischen von den staatlichen und juristischen Behören verfolgt. Bei Durchsuchungen der Hauptverdächtigen in ihren Prepper-Bunkern wurden neben Nahrung auch massenweise Munition und Waffen gefunden, des Weiteren „sogenannte Feindlisten, auf denen sich 25000 Namen befinden. (…) Am Tag X, den die Verdächtigen selbst definiert hätten, sollten auf den Listen aufgeführte Personen abgeholt, in ausgewählten Bundeswehrkasernen interniert und ermordet werden.“ Das sei in einer Gruppe des Nordkreuz-Chats namens „Vier gewinnt“ vorbereitet worden. „Ende Juni 2019 veröffentlichte Medienberichte über eine von mutmaßlichen Nordkreuz-Mitgliedern angefertigte Bestellliste, auf der unter anderem 200 Leichensäcke und Ätzkalk verzeichnet waren, scheinen das zu belegen.“ (4) Nordkreuz ist nur ein Beispiel von mehreren für die Kollaboration von angeblich besorgten Bürger*innen mit Neonazis, die sich mit Waffenlagern auf den Tag X, d.h. den Bürgerkrieg vorbereiten.
Großangelegter Waffenklau für den Tag X bei Polizei und Bundeswehr: Hannibal und das KSK in Calw
2017 plante eine neofaschistische Gruppe in Mecklenburg-Vorpommern, Lagerhallen zu requirieren, in denen sie an einem möglichen „Tag X“ ihre politischen Gegner*innen internieren wollten. Ein Gruppenbeteiligter, „Horst S. hat über Jahre eine aktive Reservistenkompanie in Mecklenburg-Vorpommern geführt. Er hat als Kommandant darüber mitbestimmt, wer hinein durfte und wer nicht.“ Er hat einen Bunker im Garten und ist Prepper. Im Zuge der Ermittlungen gegen die Gruppe wurde ein Ordner gefunden „darin Namen, Adressen, Fotos von Politikern und Menschen überwiegend aus dem linken Spektrum“. Ein Zeuge sagte dazu aus: „Die Personen sollten gesammelt und umgebracht werden.“ Und kurz darauf wurde bestätigt: Die „Personendaten stammen aus dem polizeilichen Informationssystem selbst, entwendet von Staatsdienern – in Vorbereitung auf jenen Tag X“. (5)
Von diesen norddeutschen Nordkreuz-Zusammenhängen führt eine direkte Verbindung zur Chat-Gruppe „Nord“ von „Vier gewinnt“, geleitet vom Elitesoldaten André S., Pseudonym „Hannibal“, der seinen Dienstsitz in der Graf-Zeppelin-Kaserne des Kommandos Spezialkräfte (KSK), der Eliteeinheit der Bundeswehr im süddeutschen Calw hatte. Es ist inzwischen bestätigt worden, dass die Bürgerkriegs-Prepper im Norden Teil eines Netzwerkes sind, das von Hannibal aus Calw aufgebaut wurde. Investigative Journalist*innen fanden heraus: „Es gibt nicht nur im Norden und Süden entsprechende Gruppen, auch im Osten und Westen sind sie damals im Aufbau, ebenso in Österreich und der Schweiz. Ein ehemaliges Mitglied erzählt uns: Das Territorium dieser Gruppen verlaufe analog zu den vier traditionellen Distrikten der Wehrbereichsverwaltung der Bundeswehr.“ (6)
Im September 2017 wird die Kaserne in Calw erstmals durchsucht, doch es wird nichts gefunden. Inzwischen wird davon ausgegangen, dass Hannibal gewarnt worden ist, um die Kaserne schnell zu „säubern“. Doch dies ist nur die Vorgeschichte für den handfesten Skandal um die Bundeswehr in Calw, der jüngst öffentlich wurde. Nachdem ein Offizier dort im Juni 2020 in einem Brief an die Behörden vor lange ignoriertem Rechtsextremismus, „Willkür, ‚Kadavergehorsam’ und einer ‚toxischen Verbandskultur’“ gewarnt hatte, wurde bei neuerlichen Ermittlungen in Calw inzwischen festgestellt, dass „beim KSK 48000 Schuss Munition und 62 Kilogramm Sprengstoff verschwunden“ (7) sind. Das führte zu halbherzigen Versprechungen der Verteidigungsministerin AKK, das KSK umzubauen bzw. teilweise aufzulösen, wofür der Elitetruppe jedoch bis Ende Oktober Zeit eingeräumt wurde.
Auch Insurrektionalist*innen ebnen über Riotphantasien den Weg zum Bürgerkrieg
Auf linksradikaler Seite verschränken sich diese neofaschistischen Tendenzen für den Bürgerkrieg mit dem zunehmenden Aufkommen von Zeitschriften der sogenannten insurrektionalistischen Strömung des Anarchismus, einem theoretisch unausgegorenen und sozial rücksichtslosen Milieu, das alle Aktivität darauf anlegt, weitere Riots à la Hamburg 2017 – nur schärfer – auszulösen. Lange Zeit hat diese Strömung, seit Jahren in den USA, in Frankreich oder Italien verbreitet, im Anarchismus der BRD nicht Fuß gefasst, weil die von ihnen bekämpfte Kultur der gewaltfreien Aktion und des zivilen Ungehorsams eine Art kulturelle Hegemonie auf Protestaktionen ausüben konnte. Doch nun nehmen deren DIY- und Ad-hoc-Publikationen der Insurrektionalist*innen auch in der BRD zu. Dabei sind sich einige ihrer Aktivist*innen nicht zu schade, die Anti-Corona-Demos zu unterstützen und dort vor allem jede Tendenz zu Gewalt: „Schön, dass die bürgerliche Presse mal wieder eins aufs Maul bekommen hat“, wird etwa in der insurrektionalistischen Zeitung „Zündlumpen“ gejubelt, nachdem ein Team der ZDF-Satiresendung „heute-show“ bei einer Corona-Demo im Mai mit Metallstangen angegriffen wurde. (8) Die oft sehr individualistische Propaganda für einen Riot und jedweden militanten Angriff auf Polizist*innen stellt sich durch deren Beteiligung an den Corona-Demos als kompatibel mit anti-sozialen Bewusstseinslagen heraus, in denen rücksichtslose Egozentik im Vordergrund steht. So wird im „Zündlumpen“ Nr. 57 aus München zu Corona infolge der Propaganda einer „intuitiven antiautoritären ‚Jede*r-kann-für-sich-selbst-entscheiden-Lösung’“ geschlussfolgert: „Sollte das medizinische System dabei überlastet werden, Pech gehabt.“ (9) Solch anti-sozialer und anti-mutualistischer Zynismus ist wiederum phänomenologisch ähnlich der rechts-libertären Anti-Polizei-Riot-Strategie der „Boogaloo“-Boys in den USA (siehe Artikel in dieser GWR).
In der insurrektionalistischen Zeitschrift „In der Tat“ wird in Nr. 6, in der vor allem die Militanz der jüngsten Riots in Chile abgefeiert wird, propagiert: „Die Revolte braucht alles, Zeitschriften und Bücher, Waffen und Sprengsätze, Überlegung und Blasphemie, Gifte, Dolche und Brandstiftungen. Die einzige interessante Frage ist, wie sie kombinieren.“ (10)
Nicht einmal ansatzweise ist dabei eine Analyse gesellschaftlicher Tendenzen und Kräfteverhältnisse zu entdecken, es wird so getan, als gebe es eine anarchistische Massenbewegung mit Millionen Gleichgesinnter, quasi wie am Vorabend der Spanischen Revolution, während in Wirklichkeit neofaschistische Gruppen den angestrebten Riot nur begrüßen, als Vorbote des von ihnen verfolgten Tages X, dem angestrebten Bürgerkrieg und nicht ohne Grund glauben, schon jetzt für den Bürgerkrieg besser vorbereitet und bewaffnet zu sein.
Während den Insurrektionalist-*innen die Frage nach dem Danach – „Was folgt nach dem Riot?“ – schlicht egal ist, bereiten sich die Neonazis systematisch darauf vor, nach dem Riot die Macht zu übernehmen.
Es kommt heute für gewaltfrei-emanzipatorisch vorgehende Massenbewegungen wie den größten Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung, der Frauenbewegung und der antimilitaristischen Bewegung, die zivilen Ungehorsam als radikale und illegale Aktionen einsetzen, darauf an, diesem neuen Hang von Rechten und Insurrektionalist*innen zur unreflektierten Gegengewalt nicht nachzugeben, sondern den Kampf um kulturelle Hegemonie der Bewusstseinslagen nicht aufzugeben, dass andere Kampfmittel zugleich ethischer und effizienter sein können als solche, die zum Bürgerkrieg führen. Das „Unsichtbare Komitee“ in Frankreich hat die gewaltfreie Phase der arabischen Aufstände 2011/12 seinerzeit scharf kritisiert, sie seien nur gewaltfrei, eine Revolution müsse aber die Gesellschaft durch einen bewaffneten Bürgerkrieg umwälzen. Seit den katastrophalen Ergebnissen des Bürgerkriegs in Ägypten, in Syrien und Libyen haben sie ihr aufgerissenes Maul wieder etwas schließen müssen.
(1) Zit. nach „Spiegel“-Titel „Unter Gläubigen“, Nr. 39, 19. September 2020, S. 18.
(2) Zit. nach: „Was führen die ‚Reichsbürger’ im Schilde?“, NDR Aktuell Info, 26. November 2018.
(3) Robert Kiesel: „Vorbereitung auf den Tag X“, in: Matthias Meissner, Heike Kleffner (Hg.): Extreme Sicherheit. Rechtsradikale in Polizei, Verfassungsschutz, Bundeswehr und Justiz, Freiburg/Basel/Wien 2019, S. 39f.
(4) Robert Kiesel, zit. nach ebenda, a.a.O., S. 40.
(5) M. Kaul, C. Schmidt, S. Erb, A. Nabert: „Hannibals Netz“, in: Meissner, Kleffner (Hg.): Extreme Sicherheit, a.a.O., S. 248ff.
(6) M. Kaul et al., ebenda, a.a.O., S. 250.
(7) Aleksei Makartsev: „KSK in Calw wird teilweise aufgelöst – 62 Kilo Sprengstoff verschwunden“, in: Badische Neueste Nachrichten, 1. Juli 2020, siehe: https://bnn.de/nachrichten/politik/ksk-in-calw-wird-teilweise-aufgeloest-62-kilo-sprengstoff-verschwunden-kramp-karrenbauer .
(8) Ewgeniy Kasakow: „Sozialdarwinistische Rebellion“, in: ak, Nr. 662, 18. August 2020, S. 22.
(9) Zündlumpen. Anarchistische Zeitung aus München, Nr. 57, 16. März 2020, hier zit. nach: Ewgeniy Kasakow, ebenda, a.a.O.
(10) Zit. nach: „Perspektiven, Projektualität und konkrete Kämpfe“, in: In der Tat. Anarchistische Zeitschrift, Nr. 6, Winter 2019/20, S. 14.
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.