Gemeinsam Barrieren brechen!

Inklusiv denken. Die Kampagne „Entschädigung bei Barrieren“ kämpft gegen Ableismus und Diskriminierungen bei der Bahn

| Eichhörnchen

Barrierefreiheit bezeichnet eine Gestaltung der Umwelt dergestalt, dass sie auch von Menschen mit Beeinträchtigungen ohne zusätzliche Hilfen genutzt und wahrgenommen werden kann. Im Mai 2015 hat der UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen in seinen „Abschließenden Bemerkungen zur Staatenprüfung Deutschlands“ unter anderem empfohlen, gezielte, wirksame Maßnahmen einzuführen, um die Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen in allen Sektoren und Lebensbereichen, einschließlich des Privatbereichs, auszubauen. Wie steht es heute, fünf Jahre später, um die Barrierefreiheit in Deutschland? (GWR-Red.)

Die Barrierefreiheit bei der Deutschen Bahn ist mangelhaft. Das bezeugt das durch den Behindertenbeauftragten der Bundesregierung in Auftrag gegebene Gutachten „EU-Fahrgastrechte und die Beförderungssituation von Menschen mit Behinderungen im deutschen Bahnverkehr“ von Rechtsanwalt Oliver Tolmein. Politik und Unternehmen sind verpflichtet, zeitnah auf Verbesserungen hinzuwirken. Betroffene, die sich durch das Gutachten bestärkt fühlen, nehmen es am liebsten selbst in die Hand.

Am 26. August 2020 wurde die Kampagne „Entschädigung bei Barrieren“ gestartet.  Mit einer Straßentheater-Aktion auf dem Washingtonplatz am Berliner Hauptbahnhof machten Betroffene ihre alltäglichen Barrieren im Bahnverkehr öffentlich. Bahnchefin und Zugbegleiterin „LUTZ“ pries die Vorzüge der neuen ICE4-Flotte an. Doch auf die Belange von Menschen mit Behinderung wusste sie nicht einzugehen.

„Sie wollen spontan reisen? Das geht doch nicht, unser Zug hat Stufen, sie müssen sich mit ihrem Rollstuhl zwei Tage vorher anmelden. Außerdem sind die Rollstuhlplätze ja begrenzt, wir verdienen mit Menschen ohne Einschränkungen mehr Geld und die einzige Behindertentoilette im Zug ist leider außer Betrieb. Das tut mir sehr leid. Sie sind blind? Spontan reisen geht auch nicht, sie müssen sich vorher anmelden.“ Eine taube Frau erzählte dann eindrücklich von ihren Schwierigkeiten beim Bahnfahren, wenn Durchsagen nicht in schriftlicher Form vorliegen.

Die Veranstaltung wurde, es versteht sich von selbst, in Gebärdensprache übersetzt. Zahlreiche Passant:innen und Reisende blieben eine Weile zum Zuhören stehen. Eine Angestellte der Bahn erklärte, die Probleme seien ihr nicht bekannt, ob man der Bahn Bescheid gesagt habe? Ob man sich beschwert habe?

Tatsächlich beschweren sich Betroffene schon lange. Doch es verändert sich nichts – oder viel zu wenig. Deshalb wollen sie jetzt, dass die Bahn für ihre ableistische Praxis zahlt. „Enschädigung bei Barrieren“, heißt die neue Kampagne. Aktivist:innen haben mit Hilfe einer Anwältin ein Beschwerdekonzept entwickelt, das vom Unternehmen Refundrebel, das Fahrgäste bei Zugverspätungen zu Entschädigungen verhilft, unterstützt wird. Betroffene können ihren Anspruch prüfen lassen, bei Erfolg erhalten sie eine Entschädigung und das Unternehmen behält eine kleine Provision. Entschädigung kann zum Beispiel angefordert werden, wenn    trotz voriger Buchung kein Bahn-Personal zur Unterstützung beim Ein- und Ausstieg erscheint. Oder auch wenn kein barrierefreies WC zur Verfügung steht. Es kommt immer wieder vor, dass Betroffene eine umständlich geplante barrierefreie Reise kurzfristig absagen müssen, weil der barrierefreie Wagen mit einem Rollstuhlplatz plötzlich fehlt. Dafür soll es künftig auch eine Entschädigung geben.

Die Aktion am Hauptbahnhof war kreativ gestaltet und böte viele Inhalte für Berichtserstattung über die alltäglichen Barrieren und Hindernisse im Bahnverkehr. Es berichteten aber nur kleinere Fach-Medien, wie die Kobinet Nachrichten, über die Aktion und die Kampagne. Ableismus ist auch in den Redaktionen verbreitet.