Peter Nowak / Matthias Coers (Hg.) Umkämpftes Wohnen. Neue Solidarität in den Städten, edition assemblage, Münster 2020, 141 Seiten, 10 Euro, ISBN 978-3-96042-017-0, http://d-nb.nfo/1120716683
Der Journalist Peter Nowak (konkret, taz, Jungle World) und der Fotograf und Filmemacher Matthias Coers (Mietrebellen, Das Gegenteil von Grau) bieten mit „Umkämpftes Wohnen“ einen knapp 140-seitigen Überblick über den organisierten linksradikalen Widerstand gegen die kapitalistische Wohnungswirtschaft in Deutschland und Europa. Dabei lassen sie die Aktivist*innen vor Ort mit verschiedenartigen Beiträgen in unterschiedlicher Länge und Ausführlichkeit zu Wort kommen. Kurze Statements, längere Interviews, ausgefeilte Selbstdarstellungen, programmatische Entwürfe und detaillierte Erfahrungsberichte – fast alles ist dabei. So authentisch die Texte dadurch sind, das Lesen macht es nicht leicht. Auf jeden Fall zwingt es dazu, selbst inhaltliche Verknüpfungen zu bilden, um zu verstehen, was es mit der im Untertitel benannten „Neuen Solidarität in den Städten“ auf sich hat.
Schnell wird deutlich, dass hier eigentlich verschiedene Solidaritäten zum Thema gemacht werden. Um die drei wichtigsten zu nennen: die Kiez-Solidarität, die geprägt ist vom Bemühen, das angestammte, menschenfreundliche Zusammenleben zu bewahren, die Nothilfe für Menschen aller Herkünfte, Klassen und Milieus, denen – immer häufiger von heute auf morgen – städtischer Wohnraum verwehrt wird und natürlich die antikapitalistische Kampf-Solidarität, die nicht nur persönliches Engagement auf der Straße und in besetzten Häusern verlangt, sondern auch das entsprechende Bewusstsein. Zwar widersprechen sich diese Solidaritäten nicht grundsätzlich, aber für die beteiligten Akteur*innen kommt nicht unbedingt jede Solidarität in Frage – mithin auch nicht ein Mitmachen in jedem Kollektiv von Bewegten. Es gehört zu den Stärken des Buches, dass die Aktivist*innen offen, ehrlich und reflektiert die entsprechenden Probleme und Defizite ihrer Gruppen zur Sprache bringen.
Die meisten Beiträge im Buch folgen einer gemeinsamen Prämisse: Die Wohnungsfrage ist auf das engste mit den sozialen Verwerfungen kapitalistischer Gesellschaften verwoben. Ausgrenzung, Diskriminierung, Ausbeutung, Arbeitslosigkeit und Prekarität hängen unmittelbar mit dem Problem zahlbarer Mieten zusammen; entsprechend müssen diese Themen gemeinsam in den Blick genommen und bearbeitet werden. Prägnante Begriffe wie „Soziale Kampfbaustelle“ oder „Stadtteil-“ bzw. „Mieter*innengewerkschaft“ bringen einige dieser Zusammenhänge auf den Punkt. So thematisch umfassend, wie hier an vielen Stellen argumentiert wird, hätte der Buchtitel auch „Umkämpftes Leben“ heißen können.
Die Frage der neuen Solidarität wiederum stellt sich als die nach Bedingungen und Möglichkeiten von politischen Kollektiven überhaupt. Diese bilden die Grundlage für eine effektive Organisierung und sind für die meisten Gruppen von zentraler Bedeutung. Eine individuelle, bürgerliche Spontan-Solidarität bei monothematischen Demos gegen die Wohnungsknappheit mag wünschenswert sein. Echte Veränderungen können sich aber nur ereignen, wenn sich die Betroffenen einig werden und bleiben, um den Kampf um gerechte Verhältnisse gemeinsam anzugehen.
Von den 16 Beiträgen stammen fünf aus einem nicht-deutschen Kontext (Polen, Spanien, Griechenland und Italien). Auch wenn es Unterschiede gegenüber der deutschen Situation gibt, bestätigt sich grundsätzlich auch woanders in Europa die Notwendigkeit einer thematisch breit angelegten, antikapitalistischen Bewegung. So auch in Barcelona. Die Solidarität fällt im Beitrag von Josep Maria Montaner, Senator für Wohnungsfragen, allerdings etwas aus der Reihe. Als Linker im Amt versucht er, eine sozial gerechte Wohnungspolitik im Spagat gegen die Interessen von Banken einerseits und konservativer Verwaltung andererseits durchzusetzen. Hier zeichnen sich Möglichkeiten und (vor allem) Grenzen einer Solidarität ab, die innerhalb gegebener politischer Strukturen zu wirken versucht.
Der Sammelband bietet einen Weitwinkelblick über aktive linke Gruppen, ihren politischen Kontext und ihre Krisen, aber keine zusammenhängende Analyse des solidarischen Kampfes für das Recht auf Wohnen. Das Buch soll einen „ermutigenden Beitrag zur neuen Solidarität in den Städten“ leisten, so schreiben es die Herausgeber in der Einleitung. Richtig gelesen kann das gelingen, wenn eine übergreifende solidarische Haltung die Textlektüre begleitet. Eine solche vermittelt der Sammelband selbst allerdings nicht.