antifaschismus

Frieden, Freiheit, keine Diktatur

Schlechte Zeiten für Querdenker in Frankfurt

| Nicolai Hagedorn

Beitragidioten
Lautsprecherwagen der Querdenken-Demo - Foto: Nicolai Hagedorn

Die verschwörungsideologische Gruppe "Querdenken69" veranstaltet eine Demonstration in Frankfurt ohne sich um die Corona-Auflagen zu scheren, wird aber von Gegendemonstrant:innen gestoppt. Ein Bericht.

 

Zur Demonstration hatten sich am Hauptbahnhof bis 12:30 Uhr circa 500 bis 1000 Personen versammelt, es gab Transparente und Plakate mit überwiegend absonderlichen Aufschriften wie „Covid19 + 5G = ein Plan?“, „Eure Schubladen sind keine Rettungsboote“ oder „Politiker müssen haften“. Nazisymbole, Reichsflaggen oder ähnliches habe ich nicht gesehen und eine Kompanie Ordner mit gelben Westen hastete durch die Menge mit der Aufforderung, die Abstände einzuhalten.

Auf diesem Foto, das noch vor dem Start der Demo gemacht wurde, sieht man deutlich, dass die Polizei die Maskenpflicht nicht durchsetzt. Die Frau auf dem Lautsprecherwagen trägt keine Maske, genauso wenig wie der Demoanmelder, der Mann mit dem Mantel, der gerade mit ihr scherzt. Ein Polizist, der als „Communicator“ ausgezeichnet war, erklärte mir, die Damen und Herren auf und um den Lautsprecherwagen hätten Atteste, weshalb sie von der Maskenpflicht entbunden seien. Man sieht auf dem Bild, dass die Frau gerade eine Zigarette raucht, ganz arg scheint es mit der Lungenkrankheit also nicht zu sein bei ihr.

Am linken Bildrand die per Attest maskenbefreite Raucherin im heiteren Gespräch mit dem Versammlungsleiter – Foto: Nicolai Hagedorn

Ich habe einige Reden, die vor dem Demostart gehalten wurden, gehört. Keine davon war im eigentlichen Sinne politisch. Merkel und ihre „709 Leute“ (womit offenbar die 709 Abgeordneten des Bundestages gemeint sind) wurden als „korrupt“ bezeichnet, die am häufigsten skandierte Parole war „Frieden, Freiheit, Demokratie“, oder abgewandelt „Frieden, Freiheit, keine Diktatur“. Die Leute forderten das mit großer Inbrunst und teils sehr aufgebracht, während die Staatsmacht neben ihnen stand und jeden Verstoß gegen die Demoauflagen großzügig „übersah“, sie ohne jede Einschränkung reden durften und niemand sie an irgendetwas hinderte. Das lässt einen schon etwas sprachlos zurück. Hier einige  kurze Eindrücke, die ziemlich repräsentativ sind für alles, was zumindest ich da gesehen und gehört habe.

Während die „Querdenker:innen“ auf den Demostart warteten, äußerte ein Polizist, der Beginn der Demo verzögere sich wegen der „Idioten da vorne“,  womit die Gegendemonstrant:innen gemeint waren. Mit einer Stunde Verzögerung konnte der Demonstrationszug gegen 13:20  Uhr dann doch starten. Er bog rechts in die Karlstraße, wo er bald von oben beregnet wurde. Es flogen auch mit Wasser gefüllte Luftballons, wie in dem Video hier zu sehen ist. Da waren sie keine 500 Meter gelaufen. Einige Demonstranten reagierten entsprechend aufgebracht.

Und hier die „Übeltäter“:

Foto: Nicolai Hagedorn

In dem Video sieht man auch den Lautsprecherwagen, der kurz darauf gestoppt wurde. Diesmal wegen der ersten Blockade durch Gegendemonstranten. Bereits kurz vor der Ecke Karlstr. / Mainzer Landstr. war also schon wieder Schluss.

Erst kurz vor der Räumung der Blockade durch die Polizei wurde die „Querdenken“-Demonstration ca. 50 Meter an die Gegendemonstrant:innen herangeführt, offenbar wollte die Polizei den Teilnehmern vorführen, wie sie mit linken Gegendemonstrant:innen verfährt. Hier ein Zusammenschnitt der Situation und des ersten Wasserwerfereinsatzes, der, wie man sieht, nicht erfolgreich war, denn die Straße wurde weiterhin blockiert. Die Demo wurde dann umgeleitet. Während der Räumung sieht man, dass die „Querdenken“-Demonstrant:innen direkt hinter den Polizist:innen die Räumung filmen konnten, einer ruft „Geh Playstation spielen“.

Direkt nach der Räumung ergab sich folgende Situation, das einzige Mal, wo ein Polizist versuchte, die Maskenpflicht durchzusetzen, es ist wirklich eine herzerwärmende Szene. Der Maskenverweigerer, der sich zuvor auch in der Gegendemo bewegt hatte, sagt dem Polizisten, in seiner Sporttasche sei sein Attest. Als er sie öffnen soll, warnt er den Beamten, darin sei auch ein Messer, was diesen jedoch nicht weiter stutzig macht.

Kurz darauf wurde klar, dass die Polizei die Straße nicht geräumt bekommt, zumal jetzt auch viele Teilnehmer:innen der angemeldeten Gegendemos hinzukamen. Dementsprechend wurde der „Querdenken“-Demozug über den François-Mitterrand-Platz und dann in die Niddastraße Richtung Weserstraße weitergeleitet. An der Ecke Nidda-/Weserstraße kam es dann zur zweiten Blockade und Räumung, die ich ebenfalls dokumentieren konnte. Hier waren es schon deutlich mehr Blockierer:innen, wie man sieht.

Bei dieser zweiten Räumung kam es zu einigen Fällen übertriebener Polizeigewalt, unter anderem zu diesem brutalen Tritt gegen eine Gegendemonstrantin. Triggerwarnung hier wegen Gewalt gegen Menschen.

Damit war die Kreuzung frei, kurz darauf, kaum 500 Meter weiter,  wurde aber bereits die nächste Blockade errichtet, diesmal mit Barrikade.

Die Querdenken-Demo wurde daraufhin, drei Stunden nach ihrem Beginn, aufgelöst, es war schlicht unmöglich, als Demonstrationszug das Bahnhofsviertel zu verlassen.

Die Teilnehmer versuchten dann über die Taunusstraße in die Innenstadt zu gelangen, wurden aber am Taunustor bereits von der nächsten Blockade empfangen, wie man hier sieht.

Foto: Nicolai Hagedorn

Die Maskenpflicht wurde weiterhin nicht befolgt, ebenso wenig die Abstandsregeln. Auch jetzt, nachdem der Demonstrationszug bereits aufgelöst war, ließ die Polizei die Pandemieregelnverweigerer:innen gewähren.

Am Taunustor – Foto: Nicolai Hagedorn

Gegen 15:45 verlief sich die Versammlung langsam.

Später kam es noch zu weiteren Auseinandersetzungen zwischen Gegendemonstranten und Polizei, laut Augenzeugen erneut mit gewalttätigen Übergriffen durch Polizist:innen.

Schließlich konnten sich auf dem Goetheplatz, dem eigentlichen Kundgebungsort, noch ca. 500 „Querdenken“-Demonstrant:innen versammeln. Da die angemeldete Zeit für die Demonstration aber abgelaufen war, erklärte die Polizei die Versammlung für beendet. Da sich die Demonstrationsteilnehmer:innen allerdings nicht von dem Platz entfernen wollten, wurde schließlich gegen 16:50 Uhr von der Polizei geräumt. Dabei kam erneut der Wasserwerfer zum Einsatz, wie man auf dem Video sieht.

Fazit: Die Polizei hätte jede Möglichkeit gehabt, die Versammlung wegen massiver Verstöße gegen die Auflagen frühzeitig zu stoppen oder sie gar nicht erst loslaufen lassen. Stattdessen ignorierte sie die fortwährenden Verstöße großzügig. Der Demonstrationszug hatte in der Polizei also einen beflissenen Partner. Bei der ersten Blockade auf der Mainzer Landstraße hieß es vom „Querdenken“-Lautsprecherwagen, man müsse kurz anhalten wegen illegaler Aktionen „der Antifa“. Und in schier grenzenloser Zuversicht auf die Unterstützung durch die Staatsmacht: „Die Polizei arbeitet jetzt.“

Und das tat sie wie üblich, räumte zweimal die antifaschistischen Blockaden mit Wasserwerfern und körperlicher Gewalt ab, sichtlich zur Freude der angetretenen Staatskritiker.

Dennoch konnte der „Querdenken“-Demozug nicht einmal das Bahnhofsviertel verlassen.

Den Tag über konnte ich vonseiten der Gegendemonstrant:innen und Blockierer:innen keine über das Blockieren; Schieben und Drücken bei den Räumungen hinausgehende Gewaltanwendung erkennen. Einige warfen am Abend herumstehende E-Roller auf die Straßen. Auch vonseiten der „Querdenker:innen“ konnte ich keine gewalttätigen Übergriffe beobachten.

Die „Querdenken“-Demo war im Grunde keine politische Demonstration, eher eine Art Auflauf seltsamer und sehr verspäteter Hippies und verschwörungsgläubiger durchgedrehter Kleinbürger, wie es jemand kürzlich bezeichnete. Einer, ein junger Mann, rief den nach dem Wasserwerfereinsatz anrückenden Polizeiketten immer wieder aufgeregt zu, er habe das ARD-Fernsehteam beobachtet und die hätten ihr Equipment geladen und man habe mit dem Wasserwerfereinsatz genau gewartet, bis die bereit seien, jedenfalls sei „das“ inszeniert und er habe „es“ nun endlich einmal selbst mit eigenen Augen sehen können und in wilder Verzweiflung schrie er immer wieder „Verarscht mich doch! Verarscht mich doch!“ Ich habe ihn leider nur ganz kurz aufnehmen können.

Mehr als diesen Unsinn zu blockieren und zu verhindern, dass diese Leute andere anstiften, das Virus mutwillig zu verbreiten, kann dem nicht entgegengesetzt werden. Die Irrationalität der vorgebrachten Beschwerden macht eine politische Auseinandersetzung damit  unmöglich und mir taten die Leute zwischenzeitlich fast ein bisschen leid, weil viele von ihnen mit traurigen oder wütenden Gesichtern durch die Stadt stapften, Liebe und Freiheit forderten, in voller Überzeugung gegen eine eingebildete Diktatur protestierten und dadurch einen recht schönen Herbstsamstag verpassten.

Der ursprüngliche Titel "Die Idioten da vorne" wurde nach Intervention einer Mitherausgeberin nachträglich geändert.

Dies ist ein Beitrag der Online-Redaktion. Schnupperabos der monatlichen Printausgabe zum Kennenlernen gibt es hier