Das Oberlandesgericht Athen hat am 7. Oktober 2020 die gesamte Führung der neofaschistischen Partei Chrysí Avgí (Goldene Morgenröte) wegen Bildung und Leitung einer kriminellen Vereinigung verurteilt. Direkt nach der Urteilsverkündung griff die Polizei tausende antifaschistische Demonstrant*innen mit Tränengas, Wasserwerfern und Knüppeln an.
Nach fünfeinhalb Jahren Verfahrensdauer und mehr als 450 Verhandlungstagen war in griechischen Medien von einem „historischen Urteil“ die Rede. Ab den frühen Morgenstunden hatten sich im Laufe des Vormittags in den Straßen um das Gerichtsgebäude mehr als 30.000 Menschen zur größten antifaschistischen Mobilisierung seit Jahrzehnten versammelt. Unter dem landesweiten Motto „Sie sind nicht unschuldigt“ demonstrierten auch in Thessaloníki, Pátras, Vólos, Iráklion, Chaniá und anderen griechischen Städten zehntausende gegen die faschistische Mörderbande und ihre Unterstützer*innen in Polizei, Staatsapparat, Parteien, Justiz und Medien. Das Motto der Kundgebungen bezog sich auf die Staatsanwaltschaft, die in ihrem Plädoyer auf unschuldig plädiert hatte, da sie keinerlei Beweise für die Bildung einer kriminellen Vereinigung sah.
Wie nötig der Kampf gegen Faschismus und staatliche Repression weiterhin ist, wurde direkt nach der Urteilsverkündung erneut klar. Noch während die griechischen Medien in Eilmeldungen die Urteile gegen die Führung der Organisation und ihrer wegen Mordes und schwerer Körperverletzung schuldig gesprochenen Schläger als „historisch“ werteten oder als „Stunde der Demokratie“ abfeierten, gingen schwer bewaffnete MAT-Sondereinsatztruppen brutal zum Angriff auf die jubelnden Menschen im Zentrum Athens über.
Von 2012 bis 2019 hatte der Gründer und Vorsitzende Níkos Michaloliákos, der sich selbst als „Führer“ bezeichnet und Adolf Hitler sein Vorbild nennt, mit zuerst 11, später dann 17 Gleichgesinnten im griechischen Parlament gesessen.
Mit Wasserwerfern, Tränengasgranaten und Knüppeln trieben sie die friedliche Kundgebung in Minuten auseinander. Bürgerschutzminister Michális Chrysochoídis, ein ehemaliger Sozialdemokrat, wird laut einer Reportage der genossenschaftlichen Athener Tageszeitung Efimerída ton Syntaktón (EfSyn), „als der Minister in die Geschichte eingehen, der am Tag des größten und wichtigsten Prozesses nach der Diktatur, den Befehl dazu gab, ohne Grund tausende von Demonstrant*innen jeden Alters, unter ihnen Mütter, Kinder, Alte, Schwangere und Gehbehinderte, zu terrorisieren, und durch die Straßen Athens zu jagen.“ Nach den Aussagen hunderter Zeug*innen gegenüber der Zeitung „ein ganz offensichtlich vorgefasster Aktionsplan der Polizei“ mit dem diese versucht habe „einen antifaschistischen Sieg des Volkes in Tränengas zu ersticken“. Bürgerschutzminister Chrysochoídis selbst „war sich nicht zu schade mit zynischen Lügen“ das Gegenteil zu behaupten: „Heute wurde eine historische Entscheidung getroffen, auf der die Demokratie aufbaut. Unter den 20.000, die vor dem Gericht Beifall klatschten, waren 600, die das Urteil mit 150 Molotowcocktails, Steinwürfen und Sachschäden an 10 Polizeifahrzeugen aufnahmen.“
Minutiös beweist die EfSyn vom 8.10. in der Folge durch Zeugenaussagen dass Chrysochoídis´ Stellungnahme „von hinten bis vorne erstunken und erlogen“ ist: „Um 11:39 Uhr hört man den ersten Applaus nach der Bekanntgabe des Urteils zum Mord an Pávlos Fýssas. Neun Minuten später wird über Megaphon das Urteil des Gerichts bekanntgegeben. Chrysí Avgí ist eine kriminelle Vereinigung. Es folgt ein unbeschreiblicher Ausbruch der Freude und des Jubels. Nur 20 Sekunden später beginnt der erste Wasserwerfer die feiernden Demonstrant*innen von
der Kreuzung Loukáreos/Alex-ándras zu schießen. (…) Die Menschen weichen zurück nach Exárchia. Dort werden in der Folge ganze Straßenzüge mit Tränengas eingenebelt. (…) In nur 20 Minuten haben die Polizeitruppen die Kundgebung aufgelöst. Bis dahin war kein einziger Molotowcocktail geflogen.“
Klar ist mit dem Urteil, dass Chrysí Avgí der Status einer politischen Partei entzogen ist. Von 2012 bis 2019 hatte der Gründer und Vorsitzende Níkos Michaloliákos, der sich selbst als „Führer“ bezeichnet und Adolf Hitler sein Vorbild nennt, mit zuerst 11, später dann 17 Gleichgesinnten im griechischen Parlament gesessen. Michaloliákos, der seine Wohnung mit einem Porträt seines Idols Hitler dekoriert hat, hatte sich immer ausdrücklich auf seine ideologische Übereinstimmung mit dem faschistischen Diktator Ioánnis Metaxás (1936 bis 1941), und der Militärdiktatur (1967 bis 1974) bezogen. Bei den Wahlen 2019 war Chrysí Avgí knapp an der 3%-Hürde gescheitert. Als neue rechtsradikale Formation sitzt seitdem die Ellinikí Lýsi (Griechische Lösung) mit 3,7 % im Parlament.
Der Faschismus wird auf der Straße zerschlagen
Im Dezember 2019 hatte Staatsanwältin Adamantía Oikonómou nach über fünf Jahren Prozess im Plädoyer mit der Behauptung überrascht, der im September 2013 von der faschistischen Parteisektion des Stadtteils Níkaia und letztendlich vom Chrysí Avgí-Mitglied Giórgos Roupakiás auf offener Straße begangene Mord am antifaschistischen Musiker Pávlos Fýssas – einem der Anklagepunkte – sei nicht im Rahmen mehrerer, „zentral von der Parteiführung organisierter“ Verbrechen zu beurteilen, sondern ein normaler Mordfall. Dem folgte das Athener Gericht nicht. Es sprach nahezu alle der insgesamt 68 Angeklagten wegen Mordes, Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Waffenbesitz schuldig und verwies auf die vielfach im Prozess nachgewiesene hierarchische Befehlsstruktur der Organisation. Vor allem antifaschistische Gruppen und Journalist*innen der Efimerída ton Syntaktón hatten im Laufe des Prozesses immer wieder die generalstabsmäßig durchgeführten Überfälle auf anarchistische Zentren, kommunistische Gewerkschafter*innen oder ausländische Arbeiter nachweisen können. Durch die Veröffentlichungen interner Dokumente von Chrysí Avgí war es EfSyn darüber hinaus gelungen, das in der Organisation geltende und von der NSDAP übernommene so genannte Führerprinzip gerichtlich zu beweisen.
Für die hohe Akzeptanz von Chrysí Avgí in der griechischen Gesellschaft trug darüber hinaus die wahlweise Verharmlosung oder Propagierung ihrer menschenfeindlichen Theorie und Praxis in den Massenmedien und die Übernahme ihrer Themen durch die bürgerliche Rechte bei. Jahrelang wurden die brutalen Überfälle der faschistischen selbsternannten „Sturmtruppen“ auf Ausländer*innen, Kommunist*innen, Anarchist*innen und linke Treffpunkte verharmlost, als „Auseinandersetzung rivalisierender Gruppen“ bezeichnet oder die so genannte Hufeisentheorie bemüht, um zu behaupten links und rechts seien die beiden zu bekämpfenden Extreme.
Antifaschistische und anarchistische Organisationen hatten in den Tagen vor der Urteilsverkündung darauf hingewiesen, dass es unabhängig vom Urteilsspruch „vor Gericht nie um die vielfältigen politischen und sozialen Verbindungen zwischen den staatlichen Repressionskräften, den Massenmedien, Parteien und Justiz einerseits und den Faschisten der Chrysí Avgí andererseits gegangen sei“. Das Urteil könne insofern bestenfalls ein Schritt im Kampf gegen den Faschismus sein, der ansonsten „auf der Straße und im Widerstand gegen kapitalistische Ausbeutung“ weiterzuführen sei. So hatte der Journalist Dimítris Psarrás (EfSyn) dokumentiert, dass Polizisten, die nach griechischem Recht in speziellen Wahllokalen abstimmen müssen, bei den Wahlen 2012 und 2015 zu mehr als 23 Prozent die Faschisten von Chrysí Avgí gewählt hatten. In den Nachbarbezirken war die Partei lediglich auf fünf bis sechs Prozent gekommen.
Ein Beweis für den existierenden strukturellen Faschismus im Polizeiapparat des Landes. Für die hohe Akzeptanz von Chrysí Avgí in der griechischen Gesellschaft trug darüber hinaus die wahlweise Verharmlosung oder Propagierung ihrer menschenfeindlichen Theorie und Praxis in den Massenmedien und die Übernahme ihrer Themen durch die bürgerliche Rechte bei. Jahrelang wurden die brutalen Überfälle der faschistischen selbsternannten „Sturmtruppen“ auf Ausländer*innen, Kommunist*innen, Anarchist*innen und linke Treffpunkte verharmlost, als „Auseinandersetzung rivalisierender Gruppen“ bezeichnet oder die so genannte Hufeisentheorie bemüht, um zu behaupten links und rechts seien die beiden zu bekämpfenden Extreme.
Im von der vorhergehenden Syriza-Regierung beigelegten Namensstreit mit dem Nachbarland Nordmazedonien, setzte die konservative Néa Dimokratía (ND) auf gemeinsame nationalistische Straßenmobilisierungen mit den Faschisten. In ihrer rassistischen Hetze gegen Geflüchtete übertrifft die ND noch immer oftmals Nazis und rassistische Organisationen. Der momentane rechte Ministerpräsident Kyriákos Mitsotákis (ND) schließlich, berief 2019 zwei ehemalige Anführer rechtsradikaler Gruppen in seine Regierung, die seit anderthalb Jahren eine offen rechtsradikal-neoliberale Politik vor allem über den Ausbau des Repressionsapparats und freie Hand für die Polizei betreibt. Stellungnahmen der parlamentarischen – (KKE, Syriza, Mera25) und außerparlamentarischen Linken sahen in den strengen Urteilen der Athener Richter*innen deshalb auch einen Hinweis darauf, „dass Chrysí Avgí ihre Aufgabe“ für die Rechte und das Kapital erfüllt habe und deshalb „nun verschwinden muss“.
Kurz vor Redaktionsschluss der GWR wurde am 14.10.2020 das Strafmaß für die einzelnen Angeklagten verkündet. Michaloliákos und die komplette Führungsspitze von Chrysí Avgí wurde zu 13 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Der Mörder von Pávlos Fýssas, Giórgos Roupakiás, zu lebenslänglich, die 15 anderen an dem Überfall beteiligten Nazis zu Strafen zwischen sieben und zehn Jahren Haft. Auch für andere brutale Überfälle und Mordversuche wurden Strafen zwischen sechs und zehn Jahren verhängt. Einfache Mitglieder müssen je nach Beteiligung an anderen Straftaten zu ein bis fünf Jahren in Haft.
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.