Vor 30 Jahren, vom 17. Januar 1991 bis zu den Waffenstillstands-vereinbarungen am 3./4. März 1991, fand der Zweite Golfkrieg statt. Der Erste Golfkrieg des Irak unter Saddam Hussein gegen den islamistischen Iran wütete weit länger, von 1980 bis 1988, und war ohne Sieger geblieben. Damals hatten die USA und die BRD u.a. mit Waffenlieferungen sowie Lieferungen von Materialien für Giftgasanalgen den irakischen Diktator aufgerüstet. Es folgt eine kritische, zuweilen polemische Erinnerung an den Zweiten Golfkrieg und die Anfänge des Antideutschtums. (GWR-Red.)
Das am 2. August 1990 von irakischen Truppen besetzte Ölförderland Kuwait wurde nach einem schrecklichen Luftkrieg mit massiven US-Bombardements auf irakische Städte „befreit“. Die USA und ihre Verbündeten (u.a. Großbritannien und die BRD mit ihrer Infrastruktur) führten ab dem 24. Februar 1991 einen verheerenden Bodenkrieg gegen bereits im Rückzug befindliche irakische Truppen. Nach einer durch die UN bestätigten Studie von „Medact“, einer Sektion der Internationalen Ärzte-Organisation IPPNW, starben dabei zwischen 142.000 und 206.000 Iraker*innen, davon rund 120.000 Soldaten. (1) Es wurden 74 israelische Bürger*innen durch irakische Scud-Raketenangriffe getötet. Die USA hatten in den Monaten davor rund 580.000 Soldat*innen an den Golf (Saudi-Arabien) verlegt, Großbritannien weitere 55.000. (2) Der Golfkrieg von 1991 war der Auftakt der vom Westen (George Bush Senior) geführten „Menschenrechtskriege“ im Nahen Osten. Es folgten in den Neunzigerjahren von Bill Clinton geführte Bombardements und Embargos mit Hunderttausenden Toten sowie Hungerkrisen incl. riesiger Kindersterblichkeit im Irak, dann die Kriege in Afghanistan ab 2001 und erneut im Irak ab 2003 (3), schließlich ab 2012 der Krieg in Syrien. Seit dem Zweiten Golfkrieg kam der Mittlere Osten nie mehr zur Ruhe.
„Ami stay here!“, Air-Base-Blockade und antideutsche Diffamierung
Bereits im November und Dezember 1990 blockierten gewaltfreie Aktionsgruppen und weitere Antikriegsgruppen die US-Truppenverlegung von der BRD in die Golfregion. Die Blockaden liefen unter dem Slogan: „Ami stay here!“ anstatt dem üblichen antiamerikanischen Slogan: „Ami go home!“ Am 15. Januar 1991 kam es nach Mobilisierung durch die FöGA (Föderation gewaltfreier Aktionsgruppen), kriegsgegnerische Autonome und Reste der Frankfurter Startbahnbewegung zu einer Massendemo mit Blockade der Frankfurter Air Base, über die der Nachschub von Soldaten und Material erfolgte. Diese Antikriegsdemonstration war der Auftakt zu einer Art Renaissance der 1980er-Friedensbewegung, nun jedoch gegen einen realen modernen Krieg. Thematisiert wurde dabei von gewaltfrei-libertären Organisator*innen und Redner*innen (u.a. Christian Sterzing vom eingeladenen Deutsch-Israelischen Arbeitskreis, DIAK, der ebenfalls den Krieg noch verhindern wollte) explizit die Bedrohung Israels durch Giftgaswaffen, die während kriegerischer Handlungen am akutesten sei. (4)
Doch von solcher Sensibilität für Israel von Seiten der Antikriegsbewegung wollte eine erschreckende Reihe von kriegsgeilen und kriegshetzerischen bürgerlichen sowie linken Intellektuellen nichts wissen. Es entstand im Januar und Februar 1991 eine nie dagewesene Hetze gegen diese neue, massenhafte Antikriegsbewegung. Hierfür stehen Namen wie Henryk M. Broder, Wolf Biermann, Hans Magnus Enzensberger (Gleichsetzung des „Wiedergängers“ Hussein mit Hitler; Gleichsetzung der ihren Diktatoren hörigen arabischen Bevölkerung mit der todessüchtigen deutschen Bevölkerung von 1939-1945), Klaus Hartung (taz), Detlef Claussen, Micha Brumlik, Dan Diner und mit ihnen der größte Teil der Zeitschriftenredaktionen der „Links“ (die diese Position nicht lange überlebte und bald einging) und der „Konkret“ (die Massen-Abokündigungen einstecken musste und das Desaster ihrer Kriegspropaganda knapp überlebte). Hermann L. Gremliza sorgte in Konkret 3/91 für die historische Bankrotterklärung der marxistischen Dialektik, indem er den Krieg so befürwortete, dass hier „aus falschen Gründen und mit falschen Begründungen das Richtige getan“ werde.
Es war die Geburtsstunde der sogenannten „antideutschen Strö-
mung“, die ungehemmt ihren Hass auf die Antikriegsbewegung herausbrüllte und für die nächsten zwei Jahrzehnte die marxistische Linke, Autonome und Antifa spalten, schwächen und damit aktionsunfähig machen sollte. Angesichts der bis heute andauernden Kriege im Mittleren Osten wollen die Betroffen nicht gern an ihre früheren Verbrechen als linksautoritäre Schreibtischtäter erinnert werden. Zu peinlich lesen sich im Nachhinein ihre Exzesse. Mit Unterstützung der bürgerlichen Medien nannten sie ihre Position damals verharmlosend „Bellizismus“. In Wirklichkeit waren sie brutale Kriegspropagandist*innen. Stellvertretend für sie alle sollen hier ein Komplex und eine Person als archetypisch herausgegriffen werden: Die Diskussion um „Patriot-Abwehrraketen für Israel“ und der Polemiker Wolfgang Pohrt, der sich in der Debatte als stockreaktionärer Kotzbrocken entlarven sollte.
Der Komplex „Patriot-Lieferung“ als angeblicher Schutz für Israel: Wolfgang Pohrt
Man muss ihn zitieren, um zu begreifen, was autoritäre Linke wie Pohrt damals an reaktionärem Müll absondern konnten. Es ging dabei um die schnelle Lieferung von Patriot-Raketenabwehrraketen der BRD an Israel, nachdem die USA bereits am 19. Januar 1991 ihre Patriots nach Israel geliefert hatten. Das Beispiel Pohrt zeigt auch die autoritäre Selbstherrlichkeit derjenigen, die nicht die geringste Ahnung von den Waffensystemen hatten, die sie wie selbstverständlich als effizienten und wirksamen Schutz für Israel propagierten und jede/n als Antisemiten/in beschimpften, die/der das aus antimilitaristischer Kenntnis heraus bezweifelte. So dekretierte Pohrt in seinem Artikel „Musik in meinen Ohren“ in Konkret Nr. 3/91: „Seit amerikanische Patriot-Abwehrraketen Israel schützen, während die um diese Waffen gebetene Bundesregierung, statt wortlos unverzüglich zu liefern, erklärt, man wolle die Bitte ein paar Tage ernsthaft prüfen, hat ein Deutscher kein moralisches Recht, die USA zu kritisieren.“
Erst die Veröffentlichungen zur brutalen, zynischen US-Kriegsführung durch WikiLeaks 2010 und die arabischen Aufstände gegen Diktatoren im Jahr 2011 widerlegten auch in der breiten Öffentlichkeit die Polemiken antideutscher Kriegstreiber wie Pohrt und Enzensberger. Man erkennt autoritäre Linke wie Pohrt an ihrem strukturellen Manichäismus: Wenn man dem einen Herrschaftssystem nicht zustimmt, unterstützt man automatisch, „objektiv“, den gegnerischen Diktator.
Pohrt sprach immer völkisch-nationalistisch von allen Deutschen, für ihn konnte niemand aus der Volksgemeinschaft ausbrechen. Er arbeitete mit dem pauschalen Antisemitismus-Vorwurf. Die Kriegsgegnerschaft, so Pohrt, bezeuge „in Deutschland nur das Ressentiment von Leuten, die es dem Weltpolizisten USA verübeln, dass er ihren Eltern per Krieg das friedliche Massenmorden ausgetrieben hat.“ Als Zeichen der Kriegsgegnerschaft wurden von der Antikriegsbewegung damals weiße Tücher in die Fenster gehängt. Pohrt suchte angeblich gegen die Infamie solchen Antikriegswillens Trost – „und den findet man bei der Vorstellung, dass der Staat die vielen weißen Friedenstücher als Kapitulationserklärung anderer Art begreifen und darin eine Einladung sehen werde, das ganze Pack [!] hinter Gitter [!]zu verfrachten [!].“ Man hört förmlich, wie Pohrt aus seinem Kettenraucher-Mund sabbert: „Die Fenster mit weißen Tüchern rufen alte Reflexe in mir wach, unruhig schweift mein Blick herum auf der Suche nach dem nächsten Pflasterstein [!]. Zu gern würde ich den Friedenswillen, der dort oben herrscht, mal auf die Probe stellen, aber ich bin zu alt für diesen Spaß.“ Zu alt für die folgende Verherrlichung der bürgerlichen, kriegstreiberischen Blätter fühlte er sich aber nicht: „Seit der Geist ihrer Ahnen in die Deutschen fuhr, sind die politischen Verhältnisse hier umgepolt, die ‚FAZ’ kann man lesen, die besten [!] – und übrigens hervorragend [!] geschriebenen – Kommentare findet man in ‚Bild’ [!!!]. Das Wort vom Linksfaschismus [!] stellt sich als Untertreibung [!] dar, weil man sich die Vorsilbe ‚Links’ sparen kann, und die Regel lautet: Je weiter links einer stand, ein desto engagierterer Nazi [!] ist er nun.“ (5)
Scud und Patriot – beide seit langem als ungenau bekannt
Nun war aber uns Antimilitarist*innen schon lange klar, dass den Militärs weder Versicherungen zu „chirurgischen Schnitten“, d.h. Bombardements ohne zivile Opfer, noch zur Zielgenauigkeit von Abwehrraketen ungeprüft geglaubt werden dürfen – im Gegensatz zum krachend naiven Pohrt, der den Militärs jede Fake News blind abnahm. In einem Artikel „Durch die Praxis widerlegt“ hieß es damals in der GWR Nr. 155 vom April 1991, bei Pohrt sei „…gleich alles falsch: Die Bundesregierung bzw. die Bundeswehr hatte gar nicht dieselbe Patriot wie die USA, sondern die deutsche Patriot ist eine Flugzeugabwehrwaffe, war also für Israel in der konkreten Bedrohung durch Raketen unbrauchbar. Sie wurde zumindest von israelischen Militärs auch keineswegs für nötig befunden, haben diese doch genug eigene Flugzeugabwehrsysteme. Nichtsdestotrotz überlegte die Bundesregierung nicht etwa lange, ob die Israelis diese Waffe überhaupt brauchen, sondern drängte sie ihnen geradezu auf. Dazu verkaufte sie gleich noch Spürpanzer und NVA-Material; schließlich schenkte sie Israel zwei seit langem gewünschte U-Boote, die ja nun wirklich schwerlich als reine Verteidigungswaffen zu verkleiden sind. So ganz nebenbei war mit diesem Verkaufsschlager die Kritik an allen Rüstungsexporten mundtot gemacht und jeder weitere Export von Rüstungsgütern in der Zukunft legitimiert.“ (6)
Zur angeblichen Effizienz, zum „Schutzfaktor“ der US-Patriot-Raketen, zitierte die GWR eine ernüchternde Bilanz sowohl von Saddams Scud-Raketen als auch der US-Patriot: „Von den über 80 Scuds, die Saddam gegen Israel und Saudi-Arabien abschießen ließ, seien 50 angegriffen und 49 getroffen worden, berichteten stolz die Militärs. Dazu sind nach Expertenmeinung etwa 160 Patriots abgefeuert worden. Die meisten dieser Antiraketen-Raketen hätten sich während der vergeblichen Suche nach ihrem Ziel selbst zerstört, berichtete jetzt William Safire in der ‚New York Times’, und nicht einmal die Treffer waren annähernd so erfolgreich, wie Raketenabwehrfreunde glauben machen wollen. Die meisten Killer trafen nur den unförmigen Scud-Rumpf, zerstörten aber nicht den mit mehreren hundert Kilo Sprengstoff gefüllten Kopf der Rakete. Der explodierte dann doch noch am Boden. Da die ungenauen Scuds nur gegen ausgedehnte Flächenziele gerichtet werden können, war oft nicht einmal hilfreich, dass der Sprengkopf gelegentlich durch Patriot-Treffer abgelenkt wurde: Eine Scud traf nach dem Zusammenprall mit einer Patriot ein US-Lagerhaus in Saudi-Arabien und tötete 28 GIs – es war der verheerendste Scud-Treffer des ganzen Krieges.“ (7)
Solche, zum Sujet ihrer Kritik völlig ahnungslose Typen wie Pohrt hat die antideutsche Linke von Anfang an hervorgebracht! Ihre politische Sozialisation war immer leninistisch-militaristisch, wieso hätten sie sich je kritisch mit Waffen auseinandersetzen sollen, wie es Antimilitarist*innen taten? Pohrt muss man mal erlebt haben; ich habe ihn an der Uni Heidelberg im vollbesetzten Hörsaal erlebt. Er hatte seinen Vortrag noch nicht begonnen, da bat eine Frau im Publikum, doch bitte ein Fenster zu öffnen, sie könne den Zigarettenrauch der vielen Leute nicht vertragen. Damals haben noch alle hemmungslos gequalmt. Pohrt hielt dann gar nicht seinen Vortrag, sondern beschimpfte die Frau und alle Gegner*innen des Rauchens eine Stunde lang als faschistische und Nazi-Gesundheitsfanatiker, die sich mit dem Hitlerschen Gesundheitsverständnis „Gesunder Geist in gesundem Körper“ identifizieren würden. Das muss man sich mal vorstellen: Übertragen auf Corona-Zeiten hieße dies, alle, die ein Interesse an Rücksicht auf Kranke und die Überwindung der Pandemie hätten, wären demgemäß Nazis und Faschist*innen – und die auf die Gesundheit der Anderen pfeifenden Corona-Leugner*innen wären die ideologisch Normalen und einzigen Nicht-Nazis! So war Wolfgang Pohrt. Sein marxistisches Hauptwerk hieß „Theorie des Gebrauchswerts.“ Angesichts dieser Positionen fällt mir dazu nur ein, dass seine Theorie offensichtlich keinen Gebrauchswert hat.
Erst die Veröffentlichungen zur brutalen, zynischen US-Kriegsführung durch WikiLeaks 2010 (siehe Assange-Artikel in dieser GWR) und die arabischen Aufstände gegen Diktatoren im Jahr 2011 widerlegten auch in der breiten Öffentlichkeit die Polemiken antideutscher Kriegstreiber wie Pohrt und Enzensberger. Man erkennt autoritäre Linke wie Pohrt an ihrem strukturellen Manichäismus: Wenn man dem einen Herrschaftssystem nicht zustimmt, unterstützt man automatisch, „objektiv“, den gegnerischen Diktator. Das mag auch auf manche Antiimps damals zugetroffen haben – ich habe selbst in einer Veranstaltung im Heidelberger Friedensforum erlebt, wie Stalinisten und frühere RAF-nahe Antiimps Saddam Hussein verharmlosend als „Sozialdemokraten“ bezeichneten. Aber auf gewaltfreie Anarchist*innen, Antimilitarist*innen und die unabhängigen Friedensgruppen
traf das niemals zu. Für sie gab es nie nur zwei Seiten, sondern dritte und vierte Seiten, sie wandten sich gegen alle kriegsführenden Mächte und lehnten marxistische Objektivierungen ab.
(1) Vgl. Medact-Bericht: Collateral Damage. The Health and Environmental Costs of War on Iraq, London, 12. November 2002; siehe Tabelle: Iraqi deaths attributable to the Gulf War, S. 2 unten links.
(2) Wikipedia-Eintrag in Deutsch: Zweiter Golfkrieg, eingesehen 7.1.2021.
(3) Vgl. dazu Brigitte Kiechle: „Das Kriegsunternehmen Irak. Eine Zwischenbilanz“, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2006.
(4) Vgl. genauer: Lou Marin: „Viele kleine Elsässers“, Rezension des Buches von Gerhard Hanloser: „Die andere Querfront. Skizzen des antideutschen Betrugs“, in: GWR März 2020, Nr. 446/447, libertäre Buchseiten, S. 29.
(5) Wolfgang Pohrt: „Musik in meinen Ohren“, in: Konkret 3/1991, hier zit. nach: Israel & Palästina. Extranummer: Der Golfkrieg, Israel und die deutsche Friedensbewegung. Dokumentation einer Kontroverse, Deutsch-Israelischer Arbeitskreis (DIAK), April 1991, S. 53-54.
(6) Gustav Wagner: „Durch die Praxis widerlegt. Hitler-Vergleiche und Patriot-Verkäufer haben es im Frieden schwer“, in: GWR Nr. 155, April 1991, S. 7.
(7) Vgl. Der Spiegel vom 11. 3. 1991, S. 182.