Louise Michel: Lehrerin, Revolutionärin und Anarchafeministin

Eine Würdigung und kritische Einordnung

| Maurice Schuhmann

In einem noblen Vorort von Paris findet sich das pompöse Grab von Louise Michel (1830-1905). Eine Büste von ihr thront hier und zeigt das Gesicht einer nicht mehr ganz jungen Frau. Die damals 40jährige Lehrerin einer in Montmartre gelegenen Schule, der Dichter wie Victor Hugo („Viro Major“) Gedichte widmeten, nahm am 18. März 1871 – wie viele andere Frauen auch – am Aufstand der Commune teil. Sie trug dabei die Uniform der Nationalgarde, eine damals Männern vorbehaltene Kleidung. Diese scheinbar belanglose Kleinigkeit ist in mehrfacher Hinsicht relevant – einerseits wurde es zum Gegenstand der Verhandlung gegen sie (1), andererseits trug sie sicherlich zu jenem viel zitierten, nicht-unproblematischen Vergleich mit Jeanne d‘Arc bei.

Louise Michel wird heute in vielen Publikationen über revolutionäre Frauen als Beispiel herangezogen. Neben der Stilisierung zur Revolutionärin findet sich aber auch häufig eine Würdigung von Louise Michel als Vorläuferin oder frühe Vertreterin des erst gut 100 Jahre später aufkommenden Anarchafeminismus. (2) Ihre bekannte Reflexion über ihre Hinwendung zum Anarchismus – ein in Bezug auf das Rätesystem der Commune kaum beachteter Kritikpunkt – machte sie hierfür anschlussfähig. „Anarchistin wurde ich während der Deportationsfahrt nach Neukaledonien. […] Für jeden Menschen, der zur Macht gelangt, ist der Staat letztendlich Widerspieglung seiner selbst, er betrachtet ihn wie der Hund den Knochen, den er zernagt, und nur zu seinem eigenen Vorteil verteidigt er ihn. So wie die Macht hart, egoistisch und grausam macht, so erniedrigt Sklaverei, und nur die Anarchie kann es vollbringen, dass der Mensch frei und glücklich lebt. […] Damit das entrechtete Volk nicht länger mit seinem eigenen Blut die trügerischen Schimären – Parteien und Staaten – am Leben erhält, müssen wir für die Verwirklichung der Anarchie kämpfen, und weil ich Zwang und Unterdrückung ablehne, bin ich Anarchistin.“ (3)

Zu Beginn der Commune war sie hingegen noch eine Anhängerin des mit Louis-Auguste Blanqui assoziierten Sozialismus, einer autoritären Spielart des Sozialismus mit Überschneidungen zum Marx‘schen Staatskommunismus. Ihr mythenhafter Wandel vom Saulus zum Paulus erfolgte erst im Rahmen der Commune. Sie begann in der Folge die Werke bekannter Vertreter*innen der Strömung wie Peter Kropotkin zu lesen und stand im Austausch mit anderen namhaften Anarchist*innen wie dem Pädagogen Francisco Ferrer oder der amerikanischen Aktivistin Emma Goldman. Weiterhin gab sie gemeinsam mit Sébastien Faure die Zeitschrift „Le Libertaire“ heraus. Ihre Erfahrungen und Reflexionen über die Commune verarbeitete sie in einer Reihe von Texten – ihren Memoiren (4), einer Studie über die Commune und mehreren, heute kaum noch rezipierten Dramen. Sie prägen allerdings nur rudimentär den anarchistischen Diskurs über die Commune, da zum Zeitpunkt der Publikation (1886) wesentliche Bestandsaufnahmen bekannter Anarchist*innen bereits publiziert waren.

Zu ihrem anarchistischen Engagement gehörte auch die Agitation. Sie hielt Reden gegen den Militarismus und für den Ausbau der Frauenrechte. Beide Themen waren bereits vor ihrer Hinwendung zum Anarchismus ein wichtiger Bestandteil ihres Wirkens gewesen – u.a. organisierte sie kostenlose Bildungsangebote für Mädchen und Frauen.

Ein kritischer Aspekt aus gewaltfreier Sicht ist ihre militärische Funktion und Rolle in der Commune. Sie kommandierte das Frauenbataillon der Commune und drohte im Konflikt mit der Reaktion u.a. mit der Erschießung von Geiseln, was sie selber im Gerichtsverfahren als „hohle Drohungen“ herunterspielte (5). Das tut ihrer generellen Bedeutung für den Anarchismus keinen Abbruch – und eine ähnliche Situation findet sich in Bezug auf die zeitweilige Abkehr vom Pazifismus bei der jüdischen Philosophin Simone Weil im Rahmen des spanischen Bürgerkrieges.

Louise Michel starb 1905 im Alter von 74 Jahren in Marseille, wo lange Zeit an ihrem letzten Wohnort eine Gedenktafel an sie als Kommunardin und aktive Anarchistin erinnerte, ihr Leichnam wurde aber nach Paris überführt. Strömungsübergreifend wird sie heute in Frankreich gewürdigt – u.a. hat die französische Post ihr eine Briefmarke gewidmet und ein kleiner Park in Montmartre ist nach ihr benannt.

(1) Vgl. Louise Michel: Mémoires, Éditions Maspero Paris 1977, S. 319.
(2) Vgl. z.B.: Silke Lohschelder: AnarchaFeminismus. Auf den Spuren einer Utopie, Unrast Verlag Münster 2018.
(3) Louise Michel: Warum ich Anarchistin wurde, in: Bernd Kramer (Hrsg.): Leben, Idee, Kampf. Louise Michel und die Pariser Kommune von 1871, Karin Kramer Verlag Berlin 2001, S. 104.
(4) Anlässlich des 150. Jahrestages der Erhebung der Pariser Commune ist eine Reihe von Neuauflagen ihrer Memoiren in deutschsprachigen Verlagen erschienen.
(5) Vgl. Louise Michel: Mémoires, Éditions Maspero Paris 1977, S. 318.

Mehr zum Thema