Stoppt das Leid der Schweine!

Über das Versagen von Behörden, industrieller Landwirtschaft und Politik

| Peter Kistenmacher

Menschenwürde und Tierwürde. Tiere sind keine seelenlosen Objekte. Sie fühlen Schmerz und Leid ebenso wie wir. Was sagt die Art und Weise, wie wir sie behandeln, über uns Menschen aus? Peter Kistenmacher berichtet über den Großbrand eines Schweinezuchtbetriebs am 30. März in Alt Tellin im Landkreis Vorpommern/Greifswald. (GWR-Red.)

500 Meter hoch war die weit sichtbare Rauchsäule an diesem Dienstag Morgen um 9 Uhr. Als die Feuerwehr eintraf, brannten schon vier der 18 Ställe mit jeweils 90 Meter Länge, die alle nebeneinander standen. Die Feuerwehr kam nicht in die Gebäude zum Löschen und hatte zu Beginn nur eine Drehleiter. Sie zog sich bald auf den Schutz der Biogasanlage zurück und konnte die Gebäude nur noch kontrolliert abbrennen lassen. Ein Teil der Ställe wurde geöffnet, aber viele Sauen waren im Kastenstand und mussten einzeln befreit werden. Der Brand verbreitete sich schnell über Lüftungsschächte und andere Verbindungen. Ferkel erstickten wegen defekter Lüftung. Viele Sicherheitsstandards funktionierten nicht, weil keine Wartung stattgefunden hatte. Nur 1.300 Muttersauen überlebten, mehr als 5.000 Muttersauen und ca. 50.000 Ferkel starben. Noch ist die genaue Brandursache unklar. Es gibt den Verdacht der fahrlässigen Brandstiftung. Klar jedoch ist das Versagen des Brandschutzkonzeptes.

Beim Brand des Dämmmaterials und anderer Bauteile entstanden viele giftige Gase, auch Dioxin, aber den Anwohner*innen der Dörfer wurde nur gesagt, die Fenster geschlossen zu halten. Der Brand war noch auf Usedom, 50 km entfernt, zu riechen. Über die Kontamination der Böden wollen die Behörden nichts sagen. Politik des derzeitigen Eigentümers, der LFD-Holding: Eine total trockene Pressemitteilung. Security jagte Fotograf*innen über den blanken Acker, weil keine Bilder vom Leid der Schweine gemacht werden sollten. Und die überlebenden 1.300 Tiere, die nach vielen Stunden abtransportiert wurden, sind vermutlich wegen Belastung mit Keimen aus dem Aufenthalt im Freien und dem möglichen Einschleppen in die geschlossenen Ställe nach der Ankunft bei Cottbus gleich getötet worden. Denn die Schweine müssen ihr ganzes Leben drinnen verbringen und kommen nie mit Natur in Berührung. Deswegen war es auch sehr schwer, einige Schweine überhaupt ins Freie zu bringen.

Erbauer der Anlage, in der pro Jahr ca. 300.000 Ferkel entstanden, war Adrianus Straathof, der nach jahrelangen Verstößen gegen den Tierschutz 2016 ein Tierhaltungsverbot in Deutschland bekommen hatte. Die LFD-Holding hat zwar einen neuen Eigentümer, aber das Personal ist das Alte und Straathof mischt im Hintergrund vielleicht noch mit. Schweinefleisch ist durch EU-Subventionen und den geringen Tierschutzstandart billig, viel geht nach China. Die Arbeiter*innen sind billig, weil sie aus Polen und Rumänien kommen. Der Schweinefleischpreis ist derzeit im Keller, auch wegen Überproduktion. Die Probleme in der Corona-Zeit mit Schlachthäusern und anderem haben den Preisverfall noch verstärkt. Straathof selbst betreibt jetzt Mastanlagen in Ungarn zur billigeren Fleischproduktion mit weniger Auflagen der Behörden.

Nachfrage nach billigem Fleisch als Begründung

Bei der Landtagsdebatte nach dem Brand war nicht erkennbar, dass es wirklich Veränderungen geben wird. Die CDU sprach sich für Tierschutzstandards aus, die aber die Wirtschaftlichkeit der im internationalen Wettbewerb stehenden Betriebe in Deutschland nicht gefährden dürften. Beate Schlupp (MdL/CDU): „Heimische Fleischproduzenten müssen bis zum Anschlag an der Kostenschraube drehen, um die große Nachfrage nach billigem Fleisch, auch gegen die Konkurrenz aus dem Ausland, decken zu können.“

Der langjährige SPD-Landwirtschaftsminister Backhaus ist wieder das Fähnchen im Wind, sagt, er sei schon beim Bau dagegen gewesen, versucht sein Image zu retten, hat die Wahlen im Blick. Die Schuld für die damalige Genehmigung schiebt er auf die CDU, auf das Bundeslandwirtschaftsministerium und den Landeswirtschaftsminister. Doch er ist damals vor dem Bauernverband eingeknickt. Seine 
Behörden hätten viel mehr dagegen machen können. Backhaus will jetzt einen Wiederaufbau in Alt Tellin mit artgerechterer Haltung, einen „Stall 4.0“. Und er fordert jetzt wieder landesweit die „Veredlung“, in diesem Fall die Verarbeitung der pflanzlichen Produkte in der Tiermast mehr als zu verdoppeln auf zwei Großvieheinheiten pro Hektar. Bei den derzeitigen Rahmenbedingungen aus Brüssel und Berlin ist klar, dass dies kaum Verbesserungen für die Tiere bringen wird. Denn es heißt noch mehr große Tieranlagen. Diese Forderung wird leider von Biobetrieben unterstützt.

Zwar steht Tierschutz seit 2002 im Grundgesetz, aber es gibt immer noch kein Verbandsklagerecht für den Tierschutz, wodurch gegen den Bescheid einer Behörde niemand im Namen der Schweine Klage erheben kann. Einziger Lichtblick ist die europäische Rechtsprechung von 2017, nach der die Umweltverbände dies tun könnten, weil Tiere Teil der Umwelt sind. Aber das ist in Deutschland noch nicht umgesetzt worden. Der bis jetzt einzige Gerichtstag war 2017 gegen die Betriebsgenehmigung der Ferkelproduktion in Alt Tellin und wurde wegen „Komplexität“ vertagt. Die Fortsetzung wurde danach vom Investor immer wieder verzögert. Viele Bedenken wurden nur zu den Akten genommen. Vor Gericht mit über 100 Anwält*innen, Expert*innen und Zuhörer*innen sagte der Brandschutzexperte vom Landkreis, die Anlage sei so gebaut, dass sie nicht brennen könne. Nur Glas, Beton und Metall. Deswegen wurde keine Sprinkleranlage eingebaut. Die billige Dachdämmung der Brandschutzklasse 1 verstärkte die Probleme beim Brand und erzeugte giftige Gase. Bis jetzt wurden Baugenehmigungen für Riesenställe meist juristisch durch das lokale Baurecht oder über die Begrenzung der Stickstoffeinträge in FFH-Gebiete (critical loads) gestoppt. Es braucht aber den Protest der Anwohner*innen und Verbände, damit diese Möglichkeiten überhaupt zur Anwendung kommen.

Gut vernetzter lokaler Protest

Ein Jahr nach dem Bekanntwerden der Baupläne entstand 2007 die Bürgerinitiative „Rettet das Landleben am Tollensetal“, die sich aktiv gegen den Bau der Ferkelproduktion wehrte und dabei auf Konstruktionsfehler hinwies. 2007 waren auch schon Aktivist*innen von Aseed aus den Niederlanden während des G8-Gipfels in Heiligendamm vor Ort. 2009 gab es eine Besetzung der alten kleineren DDR-Tierproduktionsanlage auf dem selben Gelände. Ein Wochenende lang wurde mit 200 Menschen eine andere Perspektive aufgezeigt. Das war ein Impuls für ein größeres Netzwerk, durch das dann „Wir haben es satt“ entstand. In Mecklenburg-Vorpommern (MV) vernetzten sich die BIs gegen die Massentierhaltung und hatten einige Erfolge. Lokal gab es jeden Montag in Alt Tellin eine Aktion direkt vor der Anlage. Die meisten BIs in MV lösten sich leider nach wenigen Jahren wegen Erfolg oder Misserfolg auf. In Alt Tellin ging der Protest durchgängig jeden Montag mit einer Mahnwache weiter. Ständig wurde dem Veterinäramt, Umweltamt und anderen auf die Finger geschaut. Die Ämter zogen keine wirklichen Konsequenzen aus den vielen Skandalen um die Anlage, egal ob beim Bau der Anlage ab 2011 oder im Sommer 2019, als in der Alt Telliner Schweinezuchtanlage mehr als 1.000 Ferkel wegen einem technischen Defekt erstickten. Daneben gab es Schäden wegen der Überdüngung, der Nitratbelastung und aufgrund von Baumängeln.

Ein weiterer Skandal ist, dass trotz wichtigem bundesweiten Gerichtsurteil von 2015 die Kastenstände immer noch die alten sind. Die aktuelle Zucht der Tiere ist auf Kapitalmaximierung ausgelegt – das Wohl der Tiere ist nachrangig, eine Qualzucht. Die Muttersauen sind heutzutage viel größer geworden, aber die gesetzliche Mindestnorm ist nicht angepasst worden. Bei anderer Haltung bräuchte es sie gar nicht. Die Tiere leiden noch dazu am Futter, das nicht artgerecht und nur auf schnelles Wachstum ausgelegt ist und zum Teil aus aller Welt angekarrt wird, wo es zu Lasten der Umwelt angebaut wird. Die Schweine haben in solchen Ställen zu wenig Beschäftigung, zu wenig Platz und leiden die ganze Zeit. In der Tierproduktion sind Tiere eine Kapitalinvestition, nach BGB nur eine Sache, im Falle eines Brandes oft Brandlast, ohne Chance zu entkommen. Und es gab in den letzten Jahren viele Ställe, die wegen schlechtem Brandschutz abgebrannt sind.

„Fukushima Norddeutschlands der Agrarindustrie“

Alle sind entsetzt über den großen Brand – aber gibt es wirklich eine Änderung? Eigentlich braucht es einen Aufschrei nach einen anderen Umgang mit den Tieren, die die Menschen essen wollen. Aber jetzt, ein paar Wochen später, sieht es nicht danach aus. In den Medien ist das Thema nur noch lokal. Die Petition* von BUND und Tierschutzbund bekommt nicht die Massen an Unterschriften. Der Bauernverband muss vermutlich keine Angst haben, dass die Hühnerställe mit hunderttausenden Tieren und geplante große Schweinemastanlagen nicht genehmigt werden.

Doch die Betriebsgenehmigung der Schweine-Anlage in Alt Tellin muss komplett entzogen werden. Konsequenz müsste weniger Fleischkonsum sein und das Achten auf die Haltungsbedingungen der Tiere, was beim Bioladen um die Ecke schon lange möglich ist. Noch besser ist eine vegane Ernährung, um das Tierleid zu beenden. Vor einigen Jahren stand in Deutschland die Frage im Raum, warum die Menschen in Indien jetzt zwei Mal am Tag Fleisch wollen – das sei nicht gut für das Klima. Aber alle sollten sich zuerst an die eigene Nase fassen.