Das neue Werk der Regisseurin und Co-Drehbuchautorin Julia von Heinz war einer der meistdiskutierten deutschsprachigen Filme des Jahres 2020 und erscheint jetzt bei Netflix.
Nichts soll in „Und morgen die ganze Welt“ überinszeniert wirken, nichts artifiziell, die Regisseurin verzichtet weitgehend auf Farbfilter und Score, so erinnert der Film ästhetisch fast an einen Dokumentarfilm inklusive der obligatorischen Wackelkamera.
Trotz aller formaler Bemühungen will das mit der links-alternativen Authentizität aber nicht recht hinhauen und es ist schon wirklich erstaunlich, dass von Heinz, die ja angibt, in diesem Film ihre eigene Antifa-Vergangenheit aufzuarbeiten, offenbar während dieser wenig davon mitbekommen hat, dass links-alternatives Engagement zu einem Großteil in politischer Bildung und Diskurs einerseits und tätiger sozialer Hilfe andererseits besteht. Und wer mal ein autonomes Zentrum von innen gesehen hat, weiß eigentlich auch, dass die linke Szene durchaus keine besonders jugendliche ist, sondern hier alle Generationen vertreten sind, auch viele ältere. In „Und morgen die ganze Welt“ sehen wir stattdessen eine wild feiernde und vögelnde Gruppe junger Student:innen, die zwischen „Neonschwarz“-Konzert, Kokshinterzimmer und Kampftraining Nazis angreift, deren Autos zerstört und in einen wilden Räuberpistolen-Plot gerät.
Von Heinz lässt keine Zweifel daran, wo sie steht und dass sie nichts von Hufeisentheorien hält und dieses Insistieren darauf ist auch überzeugend inszeniert.
Dazwischen entgleitet der Regisseurin die Möglichkeit, so etwas wie Erkenntnis hinsichtlich ihrer filmisch aufgeworfenen, durchaus wichtigen Fragen erlangen zu können, weshalb auch die Figuren klischeehaft, die gezeigten Vorgänge unwahrscheinlich und die Auseinandersetzung oberflächlich wirken. Keine brave Studentin aus gutbürgerlichem Haus wie die Protagonistin Luisa (Mala Emde) wird sich mit Nazischlägern anlegen, weil ihr von einer Freundin ein vollgestelltes Hinterzimmer in einer Party-WG angeboten wird. Linkes Engagement, insbesondere antifaschistisches, gründet nicht in erster Linie „auf einem Lebensgefühl“, sondern auf politischen Überzeugungen und die fallen nicht vom Himmel, sondern entspringen intellektuellen Auseinandersetzungen, Reflexionen, Analysen. Wäre es anders, dann wäre der berühmteste aller Kleinbürgerkalendersprüche, wonach kein Herz habe, wer in der Jugend nicht links sei, jedoch keinen Verstand, wer das später nicht ablege, nicht so unsinnig wie er ist.
Von Heinz zitiert diesen Spruch in einer Szene, in der der Schlamassel, in dem der Film steckt, sichtbar wird. Denn der spießbürgerliche Vater der Protagonistin Luisa spricht genau diesen Dummsatz, ohne dass irgendeine angemessene Reaktion seiner Tochter darauf folgen würde. Stattdessen schmiegt sie sich an ihn und bittet ihn, sein Auto leihen zu dürfen. Für die Figur Luisa mag solches Verhalten plausibel sein, in der von dem Film formal verzweifelt beschworenen Realität würde eine Aktivistin, die bereit ist, gefährliche direkte Aktionen durchzuführen und sich mit Nazischlägern anzulegen, dem Spießeropa etwas husten und auf dessen Bonzenauto pfeifen, Erzeuger hin oder her. Das kann von Heinz´ Protagonistin aber nicht, dafür hätte man sie als in erster Linie politisch motivierte und ernsthaft politisierte Figur entwickeln müssen. Dann wäre auch klar geworden, dass der Auseinandersetzung zwischen links und rechts ein politischer Konflikt zugrundeliegt, der letztlich darauf zurückzuführen ist, ob man (fetischistische) Herrschaftsformen wie das kapitalistische Regime des „automatischen Subjekts“, die immer gewaltsam abgesichert sein müssen und die Möglichkeit faschistischer Machtübernahmen in sich tragen, affirmiert, oder sie durch eine freie Gesellschaft und eine Ökonomie mit von der Allgemeinheit demokratisch kontrollierten Produktionsmitteln ersetzen will. Dann hätte auch klar werden können, dass die gesellschaftlichen Frontlinien nicht eine „politische Mitte“ von Links- und Rechtsradikalen trennen, sondern der Faschismus eine Extremform kapitalistischer Ausbeutung ist und der „bürgerlichen Mitte“ entspringt. Dann hätte klar werden können, dass es bei linken Kämpfen um einen Konflikt ums Ganze geht und nicht um das schlechte Gewissen sozialromantisierter Bürgerkinder.
UND MORGEN DIE GANZE WELT – Kinotrailer from THE SCREENERS on Vimeo.
Der Zusammenhang entgeht dem Film aber weitgehend.
Luisa kommt in das oben beschriebene linke Wohnprojekt, schließt sich bald antifaschistischen Aktionen an, erlebt auf einer Demo (sexualisierte) Gewalt, wird von dem Andreas Baader-Verschnitt Alfa (der junge Mann, gespielt von Noah Saavedra, heißt im Film wirklich so) vor einem weitergehenden Übergriff eines Nazischlägers bewahrt und kann dabei ein Aktionshandy der Rechten klauen, wodurch die Gruppe Informationen über einen bevorstehenden rechten Pogrom erhält, den es nun zu verhindern gilt. Sie verfolgen die Nazis, finden in deren Unterschlupf Sprengstoff, entwenden diesen und geraten – offenbar gehörte das Dynamit V-Leuten des Verfassungsschutzes – ins Visier des staatlichen Repressionsapparates. Bald stehen existenzielle Fragen für die eigene Karriereplanung auf dem Programm.
Auch wenn das eigentliche Anliegen des Films wie gesagt daran scheitert, dass er radikal linkes Engagement nicht nachvollziehbar als radikal politisch motiviert, bekommt er im dritten Akt in mancher Hinsicht doch die Kurve.
Luisa gerät in einen rechten Liederabend zwischen eine Horde Nazis, die, wo sie sich unter sich wähnen, gemeinsam ihr Lieblingslied schmettern: „Das ist kein Mensch, das ist ein Jud, frag nicht lang nach, mach ihn kaputt“ und in einer anderen Zeile über Schwarze: „Das ist kein Mensch, das ist ein Aff, denk nicht lang nach, mach einfach baff“, wobei die feinen Herrenmenschen auf das „baff“ johlend Schläge und Kopfstöße simulieren. Dagegen schneidet von Heinz ein paar Minuten später das linke „Neonschwarz“-Konzert mit einem Song, in dem die Band über Freiräume, Solidarität und sogar die Eigentumsfrage singt und Menschen miteinander tanzen und feiern. Bis sie von der Polizei gewaltsam abgeräumt werden. Von Heinz lässt also keine Zweifel daran, wo sie steht und dass sie nichts von Hufeisentheorien hält und dieses Insistieren darauf ist auch überzeugend inszeniert.
Genauso die Diskussionen um die Gewaltfrage. Die Menschen, die hier über Gewalt diskutieren, sind fühlende, sensible, ganz und gar nicht gewalttätige Figuren, ausdrücklich auch Alfa, der, obwohl ihm die gewaltsamen Aktionen sichtlich auch Spaß und Adrenalinkick bereiten, durchaus kein Schläger ist. Sie wollen auch keine Gewalt anwenden, sehen sich aber aus verschiedenen Gründen dazu gezwungen, wägen Vor- und Nachteile ab und streiten darüber. In dieser Frage sind die Figuren auch plausibel, denn um dieses Handeln zu erklären, genügt es, zunächst klarzumachen, dass sie in ihrer kleinbürgerlichen Welt auf verständnisvolle Eltern gestoßen, in einem gewaltfreien, zugeneigten Umfeld aufgewachsen sind und grundsätzlich friedvolle, zärtliche Menschen sind. Dass sie also darüber emotional diskutieren, ob die Nazis über ihre Gegendemos „nur lachen“ und man deshalb zu anderen Aktionsformen greifen sollte und zu welchen, ist gut verständlich und diese zu seltenen Szenen gehören zu den stärksten des Films.
Dies ist ein Beitrag der Online-Redaktion, Schnupperabos der Druckausgabe zum Kennenlernen gibt es hier.