Findus: Kleine Geschichte der Protestmusik. Von Katzenmusik bis K-Pop. Graphic Novel. Verlag Graswurzelrevolution, 52 Seiten, 8,90 Euro, ISBN 978-3-939045-43-4
Mit der „Kleine[n] Geschichte der Protestmusik. Von Katzenmusik bis K-Pop“ betritt Comic-zeichner Findus Neuland und hat dennoch gute Aussichten, den Erfolg seiner bisherigen Bände wie der „Kleine[n] Geschichte des Anarchismus“ zu wiederholen. Wie? Musik erzählt und gezeichnet anstatt gehört, was soll das bringen, und geht das überhaupt? Nun, zumindest mit Findus geht das nicht nur, sondern bringt überraschende Eindrücke, eine gute Übersicht und macht dazu noch Spaß.
Hören, Fühlen, Tanzen sind natürlich subjektiv, aber man kann, setzt man Einfluss und Reichweite der Musiker*innen als Maßstab, objektiv feststellen: Die Auswahl ist gut. Die Protestlieder von Joan Baez, Bob Dylan, Bob Marley oder John Lennon – wie die vieler anderer – haben den Kampf für eine anarchistische Gesellschaft beseelt und beflügelt. Findus gliedert nicht nur zeitlich, sondern auch geographisch und macht so die ungeheure Vielfalt der Protestmusik greifbar. Deutschland, USA und UK behandelt er ausführlicher. Einblicke gibt er in die Musik Afrikas, Chiles, Frankreichs bis hin zum „K-Pop“ Südkoreas. Nicht nur dies ist für mich überraschend und Horizont erweiternd.
Bei einer „kleinen“ Geschichte bleibt natürlich die „große“ Gefahr, die Fans derjenigen zu enttäuschen, die nicht mit dabei sind. Das sagt Findus im Vorwort selbst und grenzt seine Schwerpunkte ein. Unendlich ist zudem das Feld aller Musiker*innen, die in einigen ihrer Lieder widerständige Inhalte gegen Klassengesellschaft, Rassismus, kapitalistische Verwertung oder Patriarchat vermittelt haben – zum Beispiel die wundervolle ZAZ, Herbert Grönemeyer oder Prinz Pi, einer der besten Lyriker seit Dylan. Sie alle zu behandeln wäre schlechterdings unmöglich. Aber mir fehlt sehr die düster poetische Kraft von New Model Armys Justin Sullivan genauso wie u.a. Everlast (Stone in My hand), Imany (There were tears), Sarah Lesch (Testament) oder das beeindruckende „Nein, meine Söhne geb ich nicht!“ von Reinhard Mey. Und der in seinen Büchern versunkene Historiker mag den Uranfang vermissen, den „Pauker von Niklashausen“, Hans Böhm, der 1476 zu seinen Predigten für eine soziale Revolution im Namen der Jungfrau Maria fleißig getrommelt haben soll.
Mitreißend und passend ist jedoch, wie Findus mit den hungrigen Frauen von Ulm beginnt, die am 1. Mai 1847 mit ihrer „Katzenmusik“ gegen die Brotteuerung protestierten. Überhaupt die Frauen: Von Violeta Parra über Nina Hagen bis hin zu den Pussy Riot und ihren Priesteraustreibungen in russischen Kirchen wird klar, wie wesentlich ihre Kraft hier war und ist. Ganz gleich, ob mit oder ohne Männer gegen den Männlichkeitswahn. Weiter geht es für Deutschland über Hans Eisler und seine Vertonung von Brechts Texten bis hin zu den entrückten Dadaisten, dem unermüdlichen Konstantin Wecker (Sage Nein!) oder Bettina Wegner (Sind so kleine Hände). Natürlich sind Ton, Steine, Scherben mit ihren anarchistischen Hymnen und Sänger Rio Reiser prominent dabei. Der einzige König, den wir je geliebt haben! Dann folgt mit But Alive der Soundtrack zur autonomen Revolte. Auch wenn der in seinen Texten Löcher in Zäune schneidende junge Sänger Marcus Wiebusch sich heute wohl kaum mehr wiedererkennen würde, besteht hier akute Kultgefahr, genauso wie bei EA 80 „Hexenjagd“ oder Slime mit „Deutschland muss sterben“ und „Viva la muerte“. Und dann gibt es ja immer noch mehr: So waren in den 1990er Jahren in Norddeutschland wenige Punkbands so angesagt wie die Grauen Zellen aus Rendsburg. Politischer geht’s nicht und trotzdem geile Musik mit Jan Jetters unerreichten Life-Auftritten. Bis heute halten auch Turbostaat eine eigene Klasse.
Diese „Kleine Geschichte“ ruft also bei etwas Älteren eigene kleine Geschichten wach. Jeder und jede wird da ein Highlight haben. Irgendwann in den 1990er Jahren bin ich einmal als Akkordeonspieler mit der kurzlebige Band „Voll auf Zero“ vor den Rostockern Dritte Wahl in der legendären Husumer Diskothek Dornbusch aufgetreten. Das Lied ging über die „Schwarze Sau“, die einer alten Sage nach am „Grönne Keel“ in Flensburg einen Brunnen aufbuddelt und so die Stadt-oberen in Angst und Schrecken versetzt. Als Melodie haben wir „A las Barricadas“ geklaut. Die Leute, dicht an dicht, flippten aus und diesmal nicht nur, weil sie endlich die Hauptband sehen wollten.
Für die Gegenwart malt Findus die kämpferische Sängerin Sookee und die Antifa Combo Feine Sahne Fischfilet mit hohem Coolheitsfaktor. Über letztere gibt es auch eine sehenswerte Doku: „Wildes Herz“, die sogar im ZDF lief. Wenn uns das jemand vor 30 Jahren vorhergesagt hätte, wir hätten‘s nicht geglaubt.
Bei der Länderauswahl fehlt noch (!) die Türkei. Grup Yorum erleidet dort nicht erst seit 2016 massive Verfolgung. Viele Mitglieder sind seit Jahren eingekerkert und Helin Bölek und İbrahim Gökçek 2020 nach langem Hungerstreik für die Freiheit und gegen das Regime in Ankara gestorben! Und auch Irland, die Insel sowohl der Musik als auch der Rebellion gegen England, muss noch aufgenommen werden: Mit Phänomen Sinéad O’Connor (Black Boys on Mopeds), ihrem liebenswerten „Engel“ Shane MacGowan (Paddy Public Enemy Nr. 1), dem fabelhaften Damien Dempsey (Colony oder seine Version von „Where is our James Connolly“) sowie Christy Moore (Viva la Quinta Brigada über die Irische Antifa im Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939). Gut also, dass ein zweiter Band der Protestmusik bereits angedacht ist, ein dritter nicht ausgeschlossen.
Findus wertet wenig. So gelingt ein unverstellter Blick auf die Sängerinnen und Sänger, ihre musikalische Entwicklung und gegenseitige Beeinflussung. Anstatt sich zu verzetteln, was hier ja leicht geschehen könnte, behält er inhaltlich und sprachlich den schwarzroten Faden. Der ist dankenswerterweise gut verständlich. Mit zwei, drei Sätzen kommt Findus auf den Punkt und genau so bleibt auch etwas hängen, kann es später leicht „Klick“ machen, wenn die Lieder anspielen.
Ein guter Text ist das eine, wie steht es bei dem Comic aber um die Kunst? Findus Zeichnungen haben schon immer das gewisse „Etwas“ gehabt, doch scheint mir, er wird immer noch besser. Da ist kein Porträt, das verunglückt ist oder nicht passt. Im Gegenteil: Mit wenigen Strichen wird die Ausstrahlung und damit auch Seele und Geist der Sänger*innen eingefangen. Die gut abgestimmten Doppelseiten zeigen lebendige, neugierig machende Bilder. Fazit: Sehr gelungen, aber bitte unbedingt mehr davon! Gemeinsam mit Findus ist zu wünschen: „Viel Spaß damit und beim anschließenden Hören!“