Auf der Homepage des Auswärtigen Amtes kann man lesen, dass die EU seit Januar 2007 die Streitkräfte Malis durch Beratung und Ausbildung unterstützt, damit diese die territoriale Unversehrtheit Malis sichern und der Bedrohung durch terroristische Gruppen entgegentreten könnten. Streitkräfte, die sich 2012, 2020 und 2021 an die Macht putschten. Beinahe trotzig verkündet das Auswärtige Amt, dass zu den Tätigkeiten der EUTM Mali auch Schulungen zu den Themen humanitäres Völkerrecht, Schutz der Zivilbevölkerung und Menschenrechte gehörten. Christoph Marischka berichtet über die Hintergründe des militärischen Engagements in der Sahel-Region. (GWR-Red.)
Nachdem im August 2020 das Militär den amtierenden Präsidenten Malis abgesetzt und nach Verhandlungen mit der Regionalorganisation ECOWAS (1), Frankreich und der EU eine Übergangsregierung eingesetzt hatte, wurde am 24. Mai diesen Jahres auch diese Übergangregierung von den Putschisten aufgelöst. Diesmal ernannte sich deren Führungsfigur, Assimi Goïta, gleich selbst zum Präsidenten. In der Übergangsregierung hatte er formal den Posten des Vize-Präsidenten eingenommen. Nachdem deren Präsident Bah N’Daw und Premierminister Moctar Ouané jedoch drei Ministerien neu besetzt hatten, ohne ihn zu konsultieren, nahm er dies zum Anlass, sie ins Militärlager Kati verschleppen zu lassen und dort festzuhalten, bis sie nach wenigen Tagen ihren Rücktritt erklärten.
Die sog. internationale Gemeinschaft reagierte zunächst entschiedener als bei den vorangegangenen Machtübernahmen der Militärs. Deutlicher als im vergangenen Jahr wird offen von einem „Putsch“ gesprochen und dieser verurteilt. Dabei wäre es fast treffender, von einem Putsch im Putsch zu sprechen – oder von einer Machtdemonstration des Militärs innerhalb einer Übergangsregierung, welche dessen Machtübernahme lediglich kaschieren sollte.
Die westlichen Militärmissionen in Mali
Damit hatten die „internationalen Partner“ gut leben können. Die „Ertüchtigungsinitiative“ der Bundesregierung, in deren Rahmen Deutschland das malische Militär ausrüstet und ihm Infrastruktur (Waffendepots, Werkstätten) aufbaut, lief nach dem Putsch im vergangenen August nahezu ungebremst weiter. Die EU-Ausbildungsmission, die seit 2013 im Land ist und seit dem fast so viele Soldaten fortgebildet hat, wie sich aktuell in der Armee befinden, wurde nur kurz ausgesetzt – wobei diese vor dem Putsch wegen der Corona-Pandemie ohnehin auf Sparflamme lief und sich in einer Phase der Umstrukturierung befand. Tatsächlich hatten EU und Deutschland erst kurz zuvor das Mandat der Trainingsmission ausgeweitet: Auf die Armeen der Nachbarstaaten und des Tschad und die „einsatznahe“ Begleitung der malischen Soldaten „bis zur taktischen Ebene“. Der Einsatz der rund 5.000 französische Kräfte umfassenden Operation Barkhane, die in der ganzen Region – mit Schwerpunkt in Mali – gemeinsam mit lokalen Verbündeten „Terroristen“ bekämpfen, wurde ohne Unterbrechung fortgesetzt.
Diesmal aber hatte Macron zunächst vage angedroht, die französischen Truppen abzuziehen und kurz darauf – nachdem AU und ECOWAS die Mitgliedschaft Malis suspendiert hatten – angeordnet, dass diese ihre Zusammenarbeit mit dem malischen Militär vorübergehend, aber mit sofortiger Wirkung einstellen sollten. Damit stellt sich mit neuer Schärfe die Frage, auf welcher völkerrechtlichen Grundlage die französischen Soldaten eigentlich im Land sind. Formal agieren diese in Mali, Mauretanien, Burkina Faso, Niger und Tschad auf Einladung der jeweiligen Regierungen – wobei es sich seit dem Tod des tschadischen Präsidenten im vergangenen April auch dort um eine demokratisch in keiner Weise legitimierte Militärführung handelt. Wenn nun aber Frankreich nach dem erzwungenen Rücktritt der Übergangsregierung in Mali die dortige Führung nicht anerkennt und die Kooperation mit dem malischen Militär aussetzt, besteht keinerlei Grundlage mehr für die andauernde Präsenz französischer Kräfte in Mali. Das ist mehr als ein juristisches Problem, denn im Rahmen der Operation Barkhane (2) wird geschossen, getötet und bombardiert – erst im Januar etwa versehentlich eine Hochzeitsgesellschaft mit 19 getöteten Zivilist*innen. Mit welcher Legitimation und auf welcher Grundlage aber entscheidet Frankreich künftig in Mali, wer getötet werden soll und darf?
Für die gut 15.000 bewaffneten Kräfte, die im Rahmen der UN-Mission MINUSMA (3) in Mali sind (davon 1.100 aus Deutschland), verändert sich der Kontext ebenfalls, aber weniger drastisch. Mandatiert ist ihre Präsenz durch Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates. Ihre Kooperationspartner waren bereits zuvor einerseits verschiedene malische Regierungen, die aus vorangegangenen Putschen (zunächst 2012) hervorgegangen waren, und andererseits eben jenes Militär, das nun innerhalb von zehn Jahren dreimal geputscht hat. Ihr Auftrag ist die „Stabilisierung“ Malis, die Rückkehr zu einer „verfassungsmäßigen Ordnung“ – und der „Wiederaufbau des malischen Sicherheitssektors“. In der Praxis scheitert MINUSMA allerdings bereits am „Schutz der Zivilbevölkerung“ und dient vielmehr mit ihrer flächendeckenden militärischen Infrastruktur v.a. als Plattform für die vielfältigen bi- und multilateralen Interventionen und Aufrüstungsprogramme. Zur Stabilisierung hat diese umfassende Militarisierung Malis und der gesamten Sahel-Region natürlich nicht beigetragen. Im Gegenteil: Die Lage wird immer aussichtsloser.
In ihrer im März 2021 formulierten „Strategischen Ausrichtung des Sahel-Engagements“ spricht die Bundesregierung ganz ungeniert von der Sahel-Region als „geostrategisches Vorfeld Europas“. Gefordert werden „verstärkte Anstrengungen mit Blick auf die Eindämmung irregulärer Migration und das Vorgehen gegen Schleuserstrukturen“. Doch es wäre töricht, in der Migrationsbekämpfung das einzige Interesse Deutschlands und der EU zu sehen. Es geht auch viel allgemeiner um Geopolitik – und um Energieversorgung.
Während die Putsche 2012 und auch jener 2020 noch von Teilen der malischen Zivilgesellschaft (v.a. in Bamako) bejubelt wurden, ist nun in typischen Berichten über Mali vielmehr von „Resignation“ die Rede. Sowohl die sog. „internationale Gemeinschaft“ als auch die hierzulande zu Wort kommenden Vertreter*innen der Zivilgesellschaft hatten große Hoffnungen in den Aufbau der malischen Armee gesetzt und ihre Konzepte blieben weitgehend darauf reduziert. Auch in Deutschland haben linke Gruppen und entwicklungspolitische NGOs zwar wiederholt „eine massive Aufstockung ziviler Mittel“ angemahnt, ganz konkret jedoch auch die „Stärkung nationaler Sicherheitskräfte und Armeen“ gefordert. Zum Putsch von 2020 veröffentlichte das Netzwerk „Fokus Sahel“ eine – offenbar nicht im Konsens verabschiedete – Erklärung, wonach „[d]ie aktuelle Situation [auch] als Chance zu betrachten“ sei, „die es Mali ermöglichen kann, politischen Stillstand und Kontrollverlust sowie das dramatische Abgleiten in immer neue Gewaltspiralen zu überwinden“. Denn die Bevölkerung wünsche sich eine „Art Komplettaustausch der korrupten politischen Klasse“. Der Armee hingegen wurde implizit unterstellt, demgegenüber frei von Korruption zu sein und im Interesse der Bevölkerung zu agieren. Von den intervenierenden westlichen Staaten wurde zumindest teilweise wohlwollend angenommen, dass sie die Bevölkerung schützen und das Militär stärken wollten, um einen stabilen, souveränen und demokratischen Staat aufzubauen, der die Interessen der Zivilbevölkerung vertritt. (4)
Das Interesse des Nordens in der Sahel-Region
Natürlich aber verfolgen USA, Frankreich, Deutschland und die EU in der Region ihre eigenen Interessen. Zu Beginn des Jahrtausends machte man sich dort viele Sorgen um den wachsenden Einfluss Chinas auf dem afrikanischen Kontinent. Die USA bauten mit Africom (5) ein eigenes Oberkommando für den Kontinent auf und intensivierten gerade in der Sahel-Region ihre militärischen und geheimdienstlichen Kontakte. Auch EU-Trainingsmissionen im Sahel befanden sich schon zum Ende der Nullerjahre in Vorbereitung – bevor 2011 die Situation in Folge der NATO-Intervention in Libyen eskalierte. Das war auch jener Zeitraum, in dem das deutsche Kapital im Rahmen der Desertec-Initiative (6) massiv für die wirtschaftliche und energiepolitische Erschließung der Wüste warb. Während die Bomben in Libyen fielen, veröffentlichte der neu gegründete Europäische Auswärtige Dienst im März 2011 seine „Strategie für Sicherheit und Entwicklung im Sahel“. Die Strategie basierte u.a. auf vier Fact-Finding Missionen, welche die EU bereits zwischen Juli 2009 und Juli 2010 in Mauretanien, Mali, Niger und Algerien durchgeführt hatte und die in den drei erstgenannten Staaten „mangelnde operationale und strategische Kapazitäten“ im gesamten Sicherheitssektor offenbart hätten, woraus u.a. eine ungenügende „Kontrolle des Territoriums“, Mangel bei der Rechtsdurchsetzung und ein ineffizientes Grenzmanagement resultieren würden. Als Ziele werden benannt, das Potential dortiger Terrorgruppen, Anschläge in Europa zu verüben, zu verringern, „Drogenschmuggel und anderen kriminellen Handel nach Europa einzudämmen, legale Handels- und Kommunikationswege durch den Sahel (Straßen, Pipelines) zu sichern, (…) bestehende ökonomische Interessen zu schützen und die Basis für Handel und Investitionen aus der EU zu schaffen“.
Seit dem wurden Unsummen in die Militärs und Polizeikräfte gepumpt. Dass damit eine (weitere) Machtverlagerung von teilweise zivilen und korrupten Regierungen weg in die Kasernen stattfindet und auch in letzteren die Korruption um sich greifen wird, war abzusehen. Doch es wird und wurde nicht nur Infrastruktur für die dortigen Streitkräfte aufgebaut. Die USA betreiben alleine im Niger mittlerweile drei Drohnen-Basen, die deutsche Luftwaffe unterhält am Flughafen der dortigen Hauptstadt ein gemeinsames Luftdrehkreuz mit Frankreich und hat im Norden Malis Drohnen vom Typ Heron-1 stationiert. Frankreich hat dort im letzten Jahr auch mit dem Einsatz bewaffneter Drohnen begonnen. In ihrer im März 2021 – kurz vor dem Putsch in Mali – formulierten „Strategische[n] Ausrichtung des Sahel-Engagements“ spricht die Bundesregierung ganz ungeniert von der Sahel-Region als „geostrategisches Vorfeld Europas“ – und wieder von der Notwendigkeit der „Stärkung der Sicherheitskräfte“. Gefordert werden im Gegenzug „verstärkte Anstrengungen mit Blick auf die Eindämmung irregulärer Migration und das Vorgehen gegen Schleuserstrukturen“. Doch es wäre töricht, in der Migrationsbekämpfung das einzige Interesse Deutschlands und der EU zu sehen. Es geht auch viel allgemeiner um Geopolitik – und um Energieversorgung. Aktuell investiert die Bundesregierung (auf Drängen der Industrie) Milliardensummen in die Umstellung der Stahl- und Chemieindustrie auf Wasserstoff. Dies soll dem Klima dienen. Mit erneuerbaren Energien wird sich allerdings hierzulande nicht genug Wasserstoff produzieren lassen, um den „Exportweltmeister Deutschland“ zu versorgen.
(1) Die Economic Community of West African States (ECOWAS), deutsch Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, ist eine Regionalorganisation, der 15 westafrikanische Staaten angehören, darunter viele ehemalige französische Kolonien. Größter Mitgliedsstaat ist allerdings Nigeria.
(2) Opération Barkhane ist eine französische Militäroperation, welche die sog. G5-Staaten (Mauretanien, Mali, Niger Burkina Faso und Tschad) umfasst. Sie löste 2014 die Anfang 2013 begonnene, massive französische Intervention in Mali, Operation Serval, ab und basiert im wesentlichen auf Truppenkontingenten, welche Frankreich bereits zuvor in seinen ehemaligen Kolonien stationiert hatte. Eine Übersicht über die verschiedenen internationalen Militärmissionen findet sich unter: https://migration-control.info/wiki/minusma-und-militaerische-operationen/.
(3) MINUSMA (United Nations Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali) ist eine von der UN geführte Militärmission, der etwa 15.000 Kräfte angehören – davon etwa 1.100 aus der Bundeswehr. Sie löste im Juli 2013 die Mission AFISMA ab, die im Zuge der französischen Militärintervention (Serval) in Mali stationiert worden war und zunächst (formal) unter Führung der AU (Afrikanische Union) stand. Siehe auch den Link in Fußnote 3.
(4) Die Zitate aus diesem Absatz finden sich in verschiedenen Texten, die Afrique-Europe-Interact auf folgender Seite dokumentiert hat: https://afrique-europe-interact.net/1832-0-Aktivitten-Europa.html. Hier lässt sich auch die kontroverse Debatte um die Positionierung zum Einsatz der Bundeswehr in Mali nachvollziehen.
(5) Das AFRICOM (United States Africa Command) ist ein gemeinsames Kommando für Operationen der US-Streitkräfte auf dem afrikanischen Kontinent. Es wurde 2007 in Stuttgart-Möhringen in der Nähe des EUCOM (United States European Command) aufgebaut, welches seit dem sog. Kalten Krieg entsprechende Aufgaben für den europäischen Kontinent (einschließlich der Staaten des ehemaligen (Warschauer Paktes) wahrnimmt.
(6) Die Desertec Industrial Initiative (Dii) wurde 2009 mit dem Ziel gegründet, politische Unterstützung für die Gewinnung von „Wüstenstrom“ zu mobilisieren. Beteiligt sind u.a. die Deutsche Bank, die Münchner Rück (ehemals: Allianz), RWE und e-on. Neben der Dii existiert auch eine Stiftung mit vergleichbaren Zielen und Akteuren. Die Diskussion um die Gewinnung erneuerbarer Energien in der Sahara und die Vernetzung entsprechender Wind- und Solar-Kraftwerke durch ein Hochspannungs-Gleichstromübertragungs-Netz erfuhr Ende der Nullerjahre große Aufmerksamkeit, wobei Überlegungen zur Stabilität der beteiligten Länder damals in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle spielten.
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.