Die im Januar 2021 aus der Taufe gehobene Initiative RWE-Tribunal, hat im April 2021, für Pandemie-Zeiten ungewöhnlich, schon zwei Veranstaltungen für den sofortigen Kohleausstieg durchgeführt. Jetzt im Juni 2021 wird die Tribunal-Initiative in die Vollen gehen und RWE vor Gericht stellen, und zwar dort, wo Menschen immer noch vom Verlust ihrer Existenz bedroht sind: am Tagebau Garzweiler Planungsgebiet.
Das Thema des ersten Tribunals in Lützerath ist Heimatvertreibung, Gesundheitsgefährdung und Repression durch den Braunkohle-Abbau. Die Gesundheitsgefährdung durch Braunkohleverstromung wird der Kinderarzt Christian Döring, Köln, erörtern. Er beschäftigt sich seit fast 10 Jahren mit den dramatischen Folgen der Feinstaub-Emissionen der Braunkohleverstromung für Kinder und Ungeborene. Musikalische-intellektuelle Begleitung bietet Gerd Schinkel, Liedermacher der Anti-Kohleabbau- und Klimabewegung und aktives Mitglied der Tribunal-Initiative. Unterstützt wird das Tribunal bislang von der Rosa Luxemburg Stiftung, Attac Deutschland/Köln und ethecon, Berlin. Teil zwei bis vier finden im Oktober 2021 bis Frühjahr 2022 in Essen (Hauptsitz der RWE-Zentrale), Düsseldorf (Landesregierung NRW) und Köln (Sitz von RWE-Power, wo die Entscheidungen für das Rheinische Revier gefällt werden) statt. Drei Orte, die somit unmittelbar mit der Zerstörung von Landschaftsräumen in NRW im Zusammenhang stehen.
Über die Tribunal Initiative
In der Tribunal Initiative haben sich Menschen aus der Öko- und Klimabewegung aus ganz NRW zusammengetan, z.B. aus Essen, Wuppertal, Köln, Bedburg, aus verschiedenen Organisationen Attac Köln, Dachverband kritische AktionärInnen und For Future Bewegungen Köln. Input kommt auch von der Umweltkriminalistik Recherchegruppe Bremen. „Wir wollen dem aktuell von der Zwangsenteignung bedrohten Landwirt Eckhardt Heukamp in Lützerath, zu seinem Recht verhelfen und mit Hilfe des Tribunals Druck auf RWE und NRW ausüben, damit die brutalen Bagger endlich schnell gestoppt werden … Braunkohleabbau ist ein komplexer Eingriff in die Biographien der Betroffenen. Das Tribunal soll mit dazu beitragen Lützerath zu retten, aber wir wollen auch Betroffene aus der Vergangenheit zu Wort kommen lassen“ (so) betont Harald Okun, (von der For Future Bewegung) aus Bedburg, der in seinem Leben viele Dörfer hat verschwinden sehen.
Im Landschaftsraum der wertvollen rheinischen Lößbörden, dabei handelt es sich um besonders fruchtbaren Ackerboden, die von Menschen des Rheinischen Revier seit Jahrhunderten erfolgreich für die Landwirtschaft genutzt wurden, wurde über Jahrzehnte Unrecht gesprochen. Trotz des Wissens über die klimaschädlichen Emissionen der Braunkohleverstromung wurde der „Zug der Zerstörung“ ein halbes Jahrhundert nicht gestoppt. Während der Landschaftsabriss der/dem NormalbürgerIn als „notwendig“ für Energiesicherheit und Wohlstand „verkauft“ wurde, bedeutet er für die betroffenen Heimatvertriebenen schmerzhafte traumatische Erfahrungen und für die nächsten Generationen unwiederbringliche Verluste.
Jetzt wird der Spieß umgekehrt. Anders als Dürener, Aachener, Grevenbroicher oder Kölner Gerichte es seit Jahrzehnten machen und Wirtschaftsinteressen Recht geben, verklagt die Tribunal-Initiative als zivilgesellschaftliches Organ sowohl das Unternehmen RWE als auch die stetige Mittäterschaft der Landesregierung NRW, also den NRWE- Komplex und lässt die Vergehen an der Tagebau-Region zu Tage treten. In dem öffentlichen Tribunal gegen RWE an verschiedenen Orten soll der gesamte NRWE-Komplex verhandelt werden: mit AnklägerInnen, einer Jury sowie vielen ZeugInnen und Sachverständigen. Im ersten Tribunal Lützerath kommen Geschädigte und ZeugInnen aus dem Grubenrandgebiet zu Wort, um die seit Jahrzehnten stattfindenden Verbrechen zu dokumentieren. Das RWE-Tribunal ersetzt keine Klagen vor Gericht, es soll vielmehr Öffentlichkeit herstellen und die bedrohten Erkelenzer Dörfer noch im Jahr 2021 vor ihrer Vernichtung bewahren.
Wieso wurde die Zerstörung von historischem Rheinland nicht viel früher gestoppt? Wieso haben Behörden Jahrzehnte lang ihre Unterschrift unter die kommunalen oder Düsseldorfer Abrissgenehmigungen gesetzt? Was trieb die Menschen an? Warum blieb die Forderung nach „Stopp Rheinbraun“ ungehört? Tragischer, selbstgemachter Heimatmord. Trotz Alternativen, die seit Jahrzehnten bekannt sind, wurde durch RWE eine beispiellose Zerstörung und Vernichtung von Heimat in NRW vorangetrieben. Dabei wurden sowohl alternative Energie-Formen als auch der seit mindestens 30 Jahren anhaltende Protest im Rheinischen Revier hartnäckig ignoriert.
Immer wieder nutzte RWE seine Rolle als zentraler Arbeitgeber in NRW mit der Androhung von angeblich nicht hinnehmbaren Arbeitsplatzverlusten gezielt aus. Dabei wurden durch das Abwehren erneuerbarer Energieformen zugleich noch viel größere Arbeitsplatzverluste billigend in Kauf genommen wurden. ArbeitnehmerInnen von RWE erhalten oft erheblich höhere Löhnen als es in umliegenden Betrieben üblich ist. Aufgrund dieser exklusiven Bevorteilung bei den Gehältern wird ein zusätzlicher Anreiz geschaffen, sich unmittelbar mit dem Unternehmen zu identifizieren und jegliche Kritik an eigentlich nicht hinnehmbaren Zuständen abzuweisen. Zentraler Baustein der Argumentation ist dabei immer wieder, dass es eine vom Menschen gemachte Klimaerwärmung nicht gäbe, bzw. der menschliche Anteil irrelevant sei. Das gehört für Mitarbeiter zur Verteidigung der RWE-Unternehmensstrategie fast immer dazu.
Erst vor kurzem (ließ) hat RWE-Chef Rolf-Martin Schmitz zum ersten Mal verlauten lassen, er sei nun selbst überrascht, wie schnell der Klimawandel doch voranschreite. „Das CO2-Problem zeige schneller Auswirkungen als er selbst noch vor zehn Jahren gedacht habe, sagte RWE-Chef Rolf Martin Schmitz im Dlf“ (17.11.2019) (1). Hätte er doch mal irgendeine der vielen Warnungen von Klimaexperten in der Vergangenheit ernst genommen, dann bräuchte er jetzt nicht so überrascht zu sein.
Viele Menschen aus der rheinischen Kohleregion sind bereits in ihrer Kindheit und Jugendzeit mit dem Protest für den Erhalt ihrer Dörfer aufgewachsen. Sie mussten z.T. viele Jahrzehnte mit dieser Parallelwelt, die wie eine dunkle Wolke über ihnen schwebte, ihr tagtägliches Leben verbringen. Während dieser Widerstand der Menschen in den Dörfern zugleich über Jahrzehnte medial nicht gezeigt wurde. Das Umweltverbrechen wurde von Gerichten, Medien, Behörden und Öffentlichkeit als „unabänderliche Normalität“ gerechtfertigt und gnadenlos durchgesetzt. Erst jetzt hat die Bewegung an Fahrt aufgenommen und BraunkohlegegnerInnen können sich der Solidarität sicher sein. Der Widerstand ist angekommen. Germany‘s Next Top Widerstandsgebiet ist Lützerath. Die Entrüstung wird nicht klanglos in Essen, Düsseldorf und Köln verhallen, dafür sorgt ein großes solidarisches Bündnis.
Leider besteht jedoch weiterhin eine große Ignoranz darüber, mit welchen gesellschaftlichen und globalen ökologischen Opfern der Strom aus der Steckdose verbunden ist. Das RWE-Tribunal will auch hierzu einen Beitrag leisten. Wer sich als Betroffene/r oder als AnklägerIn an dem Zusammentragen der vielen verschiedenen Puzzleteile des gesamten Komplexes beteiligen und die Tribunal- Initiative unterstützen will, ist herzlich willkommen. Bitte meldet Euch bei rwe-tribunal.org.
Eine Video Ankündigung des Tribunals, die am 9.5.21 beim Waldspaziergang Rote Linie am Hambacher Wald erfolgte, ist auf Kölle for Future Youtube zu sehen.
(1) www.deutschlandfunk.de/rwe-chef-rolf-martin-schmitz-2040-sind-wir-klimaneutral.868.de.html?dram:article_id=463546
Lützerath – Wald und Weiler in Gefahr
Erstes Tribunal-Treffen: 18.-20. Juni 2021
Zirkus Zelt in Lützerath, Lützerath liegt am Tagebaurand, Nähe Erkelenz
Zweites Tribunal-Treffen: September 2021
in Essen