Zapatistischer „Berg“ auf hoher See Richtung Europa

Spektakuläre Abreise der ersten Delegation der EZLN nach Europa

| Luz Kerkeling

Am späten Nachmittag des 2. Mai 2021 ist unter Begleitung sozialer Aktivist*innen und großem medialen Interesse eine „Vorhut“ der indigen geprägten, linksgerichteten zapatistischen Befreiungsbewegung EZLN von Isla de Mujeres in der mexikanischen Karibik aus Richtung Europa in See gestochen. Ziele sind solidarischer Austausch, Hoffnung aufzubauen und linke Widerstände zu organisieren.

Ihre erste Delegation bezeichnen die Zapatistas als „Geschwader 421“, da sie aus vier Frauen, zwei Männern und einer „unoa otroa“ (dt. in etwa: eine Person anderen Geschlechts) besteht. Ab Juli folgen weitere Delegierte, so dass die Gesamtgruppe rund 160 Personen umfassen wird. Die Delegation hat das Mandat der rund 1.000 zapatistischen Gemeinden aus Chiapas, Mexiko, inne. 1994 hatte sich die sozialrevolutionäre Bewegung unter dem Motto „Land und Freiheit!“ gegen Ausbeutung, Naturzerstörung, Patriarchat und Rassismus erhoben. Ziel der Reise sind 30 europäische Länder, um dort Treffen mit außerparlamentarischen linken Gruppen und Organisationen durchzuführen. Subcomandante Moisés, Sprecher und politisch-militärisch Verantwortlicher der Bewegung, begleitete die Delegation bis auf das Schiff – reist selbst aber nicht mit. Er erläuterte die Ziele der Reise mit ironischen Untertönen – trotz der zahllosen Verbrechen, die gegen die indigenen Bevölkerungsgruppen und linke Aktivist*innen in Lateinamerika begangen wurden und werden: „Es geht nicht um Vorwürfe. Es geht um eine ‚Invasion‘, um Leben zu säen, um zu verstehen, dass der Kapitalismus in uns eingedrungen ist und dass wir alle aufwachen müssen. Hoffentlich wachen sogar auch die Reichen auf, aber wenn sie es nicht kapieren, ist es ihre Sache“.

Die Zapatistas reisen mit einem Segelschiff an, das bisher unter dem Namen „Stahlratte“ firmierte und 1903 in den Niederlanden gebaut wurde. Die Zapatistas haben es in „La Montaña“ (dt.: Der Berg) umbenannt, um poetisch, humorvoll und politisch konsequent zu symbolisieren, dass die dominierenden Zustände auf der Welt auf den Kopf gestellt werden sollen. Zielhafen ist Vigo in der autonomen Region Galicien in Nordspanien. Dort wird die Gruppe „421“ der EZLN die weitere Delegationsreise mit Aktivist*innen aus vielen Ländern Europas vorbereiten. Subcomandante Moisés von der EZLN beschrieb dieses Vorhaben so: „Unsere Delegierten tragen ein großes Herz mit sich. Nicht nur, um diejenigen zu umarmen, die auf dem europäischen Kontinent rebellieren und Widerstand leisten, sondern auch, um von ihren Geschichten, Geografien, Kalendern sowie ihren Arten und Weisen zu lernen.“

Thematisch werden sich die Treffen mit aktiven Einzelpersonen und Gruppen neben dem antipatriarchal-feministischen Schwerpunkt der Reise auch um antifaschistische, antikapitalistische, antimilitaristische, antirassistische, internationalistische und umweltrelevante Themen sowie um das Kennenlernen ökologisch-solidarischer Projekte drehen. Auch Besuche von Projekten der solidarischen Landwirtschaft und von Projekten des Mietshäusersyndikats sind geplant. Außerdem soll eine Kundgebung in der Nähe des Konzernsitzes von Bayer-Monsanto stattfinden, um die menschen- und umweltverachtende Praxis des Unternehmens anzuprangern. Rigo Albores von der unabhängigen Organisation Desmi (dt.: Entwicklung für die mexikanischen Indigenen) aus Chiapas findet klare Worte zu dem Thema: „Raus mit Bayer und seinen Giften aus den bäuerlichen Gemeinden Mexikos und der Welt! Es lebe die traditionelle bäuerliche Landwirtschaft und der Besitz von heimischem Saatgut in bäuerlicher Hand! Wir umarmen solidarisch alle, die überall auf der Welt für die Verteidigung von Mutter Erde, unserer Territorien und Körper kämpfen!“ Den Vorbereitungsprozess der Reise in Europa und Deutschland skizziert Ruth Schmidt vom bundesweiten Ya-Basta-Netz so: „Es finden zahlreiche Mobilisierungsveranstaltungen statt. Die EZLN hat schon jetzt dafür gesorgt, dass sich viele emanzipatorische Kämpfe überhaupt kennengelernt und stark miteinander vernetzt haben. Das ist eine deutliche Stärkung der außerparlamentarischen Linken, die wir wirklich schon lange nicht mehr erlebt haben. Das Interesse ist enorm.“

In ihrer Erklärung vom 1. Januar 2021 weist die EZLN darauf hin, dass es trotz der Heterogenität der linken Gruppierungen einige Aspekte gibt, die viele Menschen teilen: „Uns eint, dass wir uns den Schmerz der Welt zu eigen machen. Jeder Anspruch auf Homogenität und Hegemonie widerspricht der Essenz menschlicher Wesen: Ihrer Freiheit. Die Gleichheit der Menschheit liegt in der Respektierung ihrer Differenz. In ihrer Differenz liegt ihre Ähnlichkeit. Das Hören und Sehen der anderen erlaubt uns, voranzuschreiten. Der Kampf für die Menschheit ist weltweit.“ Im Rahmen der Delegationsreise gibt es allerdings auch Sorgen, dass europäische und die jeweiligen nationalen Behörden – darunter auch deutsche – Probleme verursachen könnten. Daher wird sich von Seiten der Aktivist*innen intensiv auf mögliche Szenarien von Einreiseverboten, Repression oder Übergriffen auf die Delegation vorbereitet.

Luz Kerkeling, Gruppe B.A.S.T.A.

Täglich aktualisierte Infos unter: www.ya-basta-netz.org