Buchbesprechung

Eine Wirtschaft für die Zukunft

Mit oder ohne Markt – und wie kommen wir dahin?

| Elisabeth Voß

Robin Hahnel, Erik Olin Wright: Alternativen zum Kapitalismus. Vorschläge für eine demokratische Ökonomie. Realität der Utopie 2, Bertz + Fischer, Berlin 2021, 244 Seiten, 15 Euro, ISBN 978-3-86505-734-1

Wie kann angesichts zunehmender Krisen eine zukünftige Wirtschaftsweise aussehen, die sozial gerecht und radikal demokratisiert ist und deren ökologische Folgen zumindest eingehegt werden? Und wie genau sollte eine solche Vision schon heute ausgearbeitet werden?
Die Autoren – der Ökonom Robin Hahnel und der Soziologe Erik Olin Wright, 1946 bzw. 1947 geboren (Wright starb 2019) – haben als Professoren an US-amerikanischen Universitäten geforscht und gelehrt. Beide haben sich jahrzehntelang mit alternativen Formen des Wirtschaftens beschäftigt. Gemeinsam mit dem Mitgründer des ZNet (Online-Community für gesellschaftlichen Wandel), Michael Albert, hat Robin Hahnel ein ausgefeiltes Konzept einer „Partizipativen Ökonomie“ (früher „Parecon“, engl. Abk. für Participatory Economics) entwickelt. Diese beruht weder auf marktwirtschaftlicher Konkurrenz noch auf staatlicher Planung, sondern auf Räten der jeweils direkt Betroffenen, die die Regeln des wirtschaftlichen Austauschs direkt miteinander aushandeln sollen. Erik Olin Wright untersuchte mit seinem „Real Utopias“-Projekt Ansätze anderen Wirtschaftens, die schon heute in eine sozialistische Zukunft weisen, und beschreibt verschiedene transformatorische Wege dorthin. Dabei setzt er gesellschaftliche, wirtschaftliche und staatliche Macht in unterschiedliche Verhältnisse zueinander und beschreibt deren Einflüsse auf die Wirtschaftstätigkeit.
Beide Autoren sind sich darin einig, dass sowohl der sozialdemokratische Versuch einer Humanisierung des Kapitalismus als auch der Staatssozialismus gescheitert sind. Im Gespräch tauschen sie sich über gemeinsame und unterschiedliche Vorstellungen von Alternativen aus. Zunächst skizziert Robin kurz seine Partizipatorische Ökonomie, Erik entgegnet mit solidarischer Kritik, woraufhin Robin sein Konzept verteidigt. Anschließend gibt Erik Einblicke in seine Ideen von Sozialismus und Realutopien, die Robin kritisch reflektiert. Erik beendet das Gespräch mit einigen Schlussgedanken.
Eine wichtige Frage darin ist die nach der Bedeutung des Marktes. Für Eriks Überlegungen spielen Märkte keine große Rolle, jedoch lehnt er sie nicht vollständig ab, im Unterschied zu Robin, für den sie in einer Übergangszeit gezähmt, dann aber abgeschafft werden sollten. Es sei eine Selbsttäuschung zu glauben, eine Marktwirtschaft sei mit Gerechtigkeit und Demokratie vereinbar. Märkte würden „Gier und Angst stimulieren“ und seien „ein Krebsgeschwür für das sozialistische Projekt“ (Hahnel, S. 186). Erik erkennt jedoch auch in Robins Modell der Partizipatorischen Ökonomie noch Marktelemente, wenn in die Verhandlungen um Produktpreise zwischen Räten von Konsument*innen und Produzent*innen auch Angebot und Nachfrage eingehen.
Eine weitere Frage ist die nach Strategien einer Transformation. Woran lässt sich erkennen, dass eine Reform nicht das Bestehende stützt, sondern zu einem grundlegenden Wandel beiträgt? Ist ein vollständiger Systembruch notwendig, oder genügt ein fließender Übergang? Historische Beispiele sind eher entmutigend. Umso wichtiger sind solche ernsthaften Bemühungen wie die hier vorliegenden, trotz allem Ideen für eine andere Wirtschaft und für die Wege dorthin zu skizzieren.
Der englische Originaltext des Gesprächs erschien bereits 2014, aber die angesprochenen Fragen sind nach wie vor aktuell. Das handliche Büchlein im Taschenkalender-Format lädt zur ausführlichen Reflexion und vertiefenden Diskussion ein – gerade auch an den Punkten, die zum Widerspruch herausfordern. So bleiben beispielsweise beide Ansätze im Bestehenden verhaftet, wenn sie an Lohnarbeit und Geld festhalten. Auch das Leistungsprinzip bleibt erhalten, wenn Arbeit nach ihrem Schweregrad entlohnt werden soll und entsprechende Konsumansprüche begründet. Gleichzeitig wird jedoch ein bedingungsloses Grundeinkommen befürwortet. Dass die gewohnte Produktvielfalt auch in einer zukünftigen demokratisierten Wirtschaft erhalten bleiben soll, irritiert angesichts von Klimakatastrophe und Ressourcenraub ebenso wie die Monetarisierung ökologischer und gesundheitlicher Schädigungen aus der Produktion in der Partizipatorischen Ökonomie. Diese sollen von den jeweils Betroffenen bewertet und ihnen entschädigt werden.
Solche rational-berechnenden Überlegungen verströmen eine formalistische Kälte, als sei alles im Leben messbar und gegeneinander aufrechenbar. Vor allem der Partizipatorischen Ökonomie scheint es in erster Linie darum zu gehen, Anstrengungen und Schäden fair und gerecht zu entgelten – entwickelt wurde sie mit Hilfe mathematischer Modelle. Demgegenüber kommt Erik von der Erforschung praktischer Alternativen her und kann sich vielfältige Formen des Wirtschaftens auch im Sozialismus vorstellen.
In der Kürze eines solchen Büchleins lassen sich nicht alle Fragen erschöpfend behandeln. Es fehlen beispielsweise eine globale, insbesondere feministische und indigene Perspektive und eine Einbeziehung von lebendigen sozialen Beziehungen – wo bleibt die Freude an der Arbeit als kreativer Tätigkeit und Selbstausdruck in einem sozialen Beziehungsgeflecht? Trotzdem habe ich es mit Gewinn gelesen, denn es leistet zweifellos einen Beitrag zur notwendigen Kritik des Kapitalismus und zur existenziellen Frage nach Alternativen und danach, „welche praktischen Initiativen wir heute ergreifen können, um uns in diese Richtung zu bewegen“ (Wright, S. 239).

Auf deutsch erschienen bisher:
Michael Albert: Parecon. Leben nach dem Kapitalismus, Trotzdem Verlagsgenossenschaft, Frankfurt/M. 2006.
Erik Olin Wright: Reale Utopien. Wege aus dem Kapitalismus, suhrkamp taschenbuch wissenschaft, Berlin 2017.