Krieg ist kein Volksfest

Militärische Tradition in Schnöggersburg

| Helmut Adolf

Im „Gefechtsübungszentrum Heer“ (GÜZ) in der Colbitz-Letzlinger Heide übt die Bundeswehr für ihre Kriegseinsätze. Doch dagegen gibt es seit Jahrzehnten Widerstand, vor allem von der Bürgerinitiative OFFENe HEIDe und der „Gewaltfreien Aktion GÜZ abschaffen“. (GWR-Red.)

„Ziviler Ungehorsam wird zur heiligen Pflicht, wenn der Staat den Boden des Rechts verlassen hat.“ (Mahatma Gandhi)

Und um viel Boden geht es hier in der Colbitz-Letzlinger Heide. Etwa 230 km² groß ist der Truppenübungsplatz „Altmark“ mit dem Gefechtsübungszentrum Heer (GÜZ) und der darin enthaltenen die Übungsstadt Schnöggersburg. Alle Soldat*innen des Heeres, die in Auslandseinsätze gehen, erhalten hier ihren finalen Übungsdurchgang. Es üben nicht nur Bundeswehreinheiten, sondern auch Truppen aus anderen NATO-Staaten. Nicht alle Auslandseinsätze der Bundeswehr haben ein Mandat der Vereinten Nationen. Inzwischen sieht selbst Kriegsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer den Afghanistan-Einsatz kritisch. Wesentlich weitsichtiger war Margot Käßmann in ihrer Neujahrspredigt 2010: „Nichts ist gut in Afghanistan.“ Für Afghanistan wurde auch hier geübt. Ein solch zentraler Ort der Kriegsvorbereitung muss einfach im Fokus der Friedensbewegung stehen.

Ein Platz mit militärischer Tradition

Die „Tradition“ der Kriegsvorbereitungen auf dem Platz geht bis auf das Jahr 1935 zurück, als die Heeresversuchsstelle Hillersleben eingerichtet wurde. Kernstück war eine etwa 29 km lange Schießbahn. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm die Sowjetarmee die Fläche und nutzte sie als Truppenübungsplatz. Seit 1994 fühlt sich die Bundeswehr als Besitzerin des Geländes. Im Jahr 2000 wurde das Gefechtsübungszentrum zum Pilotprojekt für ein „ziviles“ Betreibermodell einer militärischen Einrichtung. Einige Jahre war Rheinmetall mit einer Tochterfirma die Betreiberin, jetzt ist es die Saab Training and Simulation GmbH. Auf dem Truppenübungsplatz mit seiner üppigen Ausstattung wurde viel Geld verbaut; somit wird das Märchen von der schlecht ausgerüsteten Bundeswehr konterkariert.

Politische Umbrüche als Chance

Mit den politischen Umbrüchen in der DDR und der staatlichen Einheit sowie dem Ende der Blockkonfrontation gab es die Chance für eine friedlichere Welt. Der Abzug der GUS-Truppen war in greifbarer Nähe. Somit wurde auch der Ruf laut, den militärischen Missbrauch der Landschaft endlich zu beenden. 70.000 Unterschriften für eine zivile Nutzung der Heide wurden gesammelt. Beschlüsse von über 100 Kommunalparlamenten, fünf Kreistagen und des Landtages von Sachsen-Anhalt zur zivilen Nutzung der Heide wurden gefasst. Bis hin zur Landesregierung wurde eine Heide ohne Militär gefordert. Doch diese Gegenbewegung wurde vom Bundestag mit dem Beschluss des neuen Truppenübungsplatzkonzeptes Anfang 1993 ignoriert.
Weil den verbalen Äußerungen auch Taten folgen müssen, wurde im Sommer 1993 auf dem ProTestCamp die Bürgerinitiative OFFENe HEIDe gegründet. Mit ihr sollte der Protest verstetigt werden. Inzwischen gab es schon über 330 monatliche Friedenswege und jährliche Ostermärsche, aber auch andere Veranstaltungen in der Region und überregional. 2016 erhielt die Bürgerinitiative für ihre Bemühungen den Aachener Friedenspreis.

Militär und Filz

Früher waren die Militäruniformen aus Filz, und Filz ist heute immer noch wichtig für das Militär, besonders im Umfeld von militärischen Einrichtungen. Da gibt es Menschen, die den „Wirtschaftsfaktor Bundeswehr“ bejubeln. Die hohe Arbeitslosigkeit in der Region in den 1990er-Jahren wurde ausgenutzt, indem die Bundeswehr mit Arbeitsplätzen geworben hat und so einige Politiker*innen zum Umkippen gebracht hat. Ferner gingen in den Kommunen allerlei Gerüchte um, zum Beispiel dass die militärischen Gebäude für Asylbewerber*innen genutzt werden, wenn sie die Bundeswehr nicht weiter nutzt.
Der so genannte Heidekompromiss von 1997 zwischen der rot-grünen Landesregierung von Sachsen-Anhalt und dem Bund war Türöffner für die Bundeswehr. Erst nach dessen Unterzeichnung gingen die Bauaktivitäten für das Gefechtsübungszentrum richtig los. So hat das kleine Rot-Grün in Sachsen-Anhalt uns eine Einstimmung auf das große Rot-Grün im Bund ab 1998 gegeben. Seit 1999 ist die Bundeswehr ständig in Auslandseinsätze verwickelt.
Das Nichtzustandekommen der Ausweisung des Naturparks Colbitz-Letzlinger Heide ist auch dem Filz zuzuordnen. Ein Offizier vom Truppenübungsplatz war Umweltausschussvorsitzender im Kreistag des Altmarkkreises. Selbst die so genannte „Reifenlösung“ (ein Naturpark um den Truppenübungsplatz herum) kam auf Grund der vielen Bedenken gegenüber dem Naturschutz nicht zustande. Heute zeigt sich der Filz u. a. durch Patenschaften von Kompanien des Gefechtsübungszentrums mit den Gemeinden rund um den Truppenübungsplatz. Oder die Bundeswehr stellt schon mal großzügig ihren Sportplatz der Grundschule für deren Sportfest zur Verfügung.
Zu den Tagen der Offenen Tür des Gefechtsübungszentrums kommen Menschen zu Tausenden auf das Gelände und bestaunen die Truppe bei den „dynamischen Waffenschauen“ und anderen Aktionen. Lokale Vereine können sich auf dem Kasernengelände präsentieren. Aber Krieg ist kein Volksfest. Die Lufthoheit über den Platz muss wieder in die Hände von Kräften gelangen, die gegen den militärischen Missbrauch der Fläche eintreten.

Der Widerstand muss wachsen

Gelegentlich gab es Unterstützung für die OFFENe HEIDe durch andere Gruppen. So war die Gruppe Lebenslaute mit ihrer Aktion im Jahr 2010 auf dem Gelände. Weiterhin schauten schon mehrmals der Friedensritt und die „Tour de Natur“ vorbei. Großer Hoffnungsschimmer waren die „War starts here“-Camps. Von 2012 bis 2017 sorgten sie für Aufregung in der Region. Die Ausrichter*innen der Camps mussten sich durch den Filz, der die Bundeswehr umgibt, beißen, insbesondere bei der Suche nach einem geeigneten Platz für die Camps. Die eigene Friedfertigkeit der bei den Camps Versammelten war mitunter nicht sehr ausgeprägt. Mangelnde Transparenz, Tarnen und Täuschen beherrschten die Szenerie, was eigentlich Handwerkszeug der Militärs ist, nicht von Leuten, die gegen das Militär agieren. Beim Theoretisieren im Camp war wenig Bereitschaft zu Aktionen auf dem Truppenübungsplatz.
Die „Gewaltfreie Aktion GÜZ abschaffen“ ist eine konsequente Aktion des Zivilen Ungehorsams, anschlussfähig, gut vorbereitet, nicht der Beliebigkeit ausgesetzt. 2014 wurde sie zum ersten Mal durchgeführt im Zusammenhang mit dem „War starts here“-Camp. Zur Aktion gehören eine gute Vor- und Nachbereitung, Trainings für die Teilnehmer*innen und die juristischen Auseinandersetzungen infolge der Aktion.
Natürlich lässt sich das Militär nicht in die Karten gucken. Wenn sich der Protest auf das Gelände bewegt, gibt es die Ordnungswidrigkeit „Betreten einer militärischen Einrichtung“. Manchmal steht ein Zaun im Weg, dann wird es die Straftat „Hausfriedensbruch“. Das klingt komisch. Da, wo Kriege vorbereitet werden, soll der Hausfrieden gebrochen worden sein. Die Justiz macht sich mitschuldig an den Kriegsverbrechen. Beweisanträge und Beweisfindungsanträge der Betroffenen in den Gerichtsverhandlungen werden ignoriert. Die Prozesserklärungen der angeklagten Aktivist*innen werden zur Kenntnis genommen, die „Taten“ werden unabhängig von den Begleitumständen behandelt. Die Ladung von Zeug*innen, darunter auch von politischen Schwergewichten, die zur Wahrheitsfindung beitragen können, wird abgelehnt. Verfassungsgrundsätze und das Primat des Völkerrechts werden in den Verfahren nicht gesehen. Hier stellt sich die Frage nach der Unabhängigkeit der Justiz und der Notwendigkeit der Weiterentwicklung der Rechtsprechung.
Ein Signal der Hoffnung ist hier das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Klimaschutzgesetz. Gleich zu Beginn dieses Urteils wird der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit als Verfassungsziel genannt. Und militärisches Handeln ist genau das Gegenteil davon. In Einzelfällen geht die persönliche Konsequenz bis zur Erzwingungshaft, wenn die verhängten Bußgelder nicht bezahlt werden.

„Gewaltfreie Aktion GÜZ abschaffen“ 2020

Nach der Einweihung der Fahnenständer vor dem Rathaus der Übungsstadt Schnöggersburg mit Friedensfahnen im Jahr 2017 mit Teilen der Gruppe Lebenslaute, der symbolischen Umwandlung des Gefechtsübungszentrums in ein Friedensübungszentrum 2018 und einer kurzen Aktion 2019 sollte 2020 wieder eine groß angelegte Aktion stattfinden.
Die Aktion stand auch im Zeichen der allgegenwärtigen Corona-Pandemie. Der Aktionstermin musste auf den September verschoben werden. Dabei musste darauf geachtet werden, dass die Aktion nicht mit anderen Aktionen in Terminkonflikt gerät. Notwendig war auch ein Hygienekonzept, welches den durch Verordnungen gesetzten Rahmenbedienungen entspricht.
Menschen mit Erfahrungen aus anderen Brennpunkten der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen (insbesondere dem Gorleben-Widerstand) und Neulinge, jüngere und ältere Menschen kamen in überschaubarer Anzahl zusammen. Symbolisch wurden während der Aktion die Kriegsvorbereitungen auf dem Truppenübungsplatz gestört. Salchau, eines der um 1935 für die Heeresversuchsstelle Hillersleben geschliffenen Dörfer, wurde als Ort der Aktion auf dem Platz ausgewählt und wiederbelebt. Die Einwohner*innen von Salchau und anderen Orten, die der damaligen Aufrüstung im Wege standen, waren die ersten Vertriebenen des Zweiten Weltkriegs, noch bevor der erste Schuss fiel. Die Zelte standen in der Nachbarschaft des Denkmals für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, des einzigen Überbleibsels des Ortes. Kurz dahinter ein nachgebildetes Minarett, welches die Soldat*innen der Neuzeit auf ihre Einsätze in fernen Ländern einstimmen soll.
Leider war die journalistische Begleitung auf dem Truppenübungsplatz abhandengekommen, und die Nachrichtenübermittlung musste anders organisiert werden. Das zeigt den Bedarf für eine noch bessere Vorbereitung künftiger Aktionen. „Was nicht in den Medien steht, hat nicht stattgefunden.“
Zur Aktion gehörte eine entsprechende Begleitung, Aktionsunterstützung rundherum. Das ging bis zu einer versammlungsrechtlich angekündigten Mahnwache im öffentlichen Raum. Eine solche Aktionsunterstützung darf aber nicht dazu führen, dass alles im „sicheren Hafen“ agiert und nur wenige in die eigentliche Aktion mit ihren Konsequenzen gehen.
Zum Gelingen tragen gut vorbereitete Aktionsideen bei, die von Menschen mit Ortskenntnis und Erfahrungen aus anderen Zusammenhängen nach einer Analyse der Situation entwickelt werden. Das kommt nicht immer gut an bei den Teilnehmenden. Ein richtiges Maß muss gefunden werden, dass hier nicht der Eindruck einer Bevormundung auftritt.
Unmittelbar nach Verlassen des Truppenübungsplatzes fand eine erste Nachbereitung der Aktion mit frischen Eindrücken und Schlussfolgerungen für kommende Aktionen statt. Einen „Widerstand to go“ gibt es nicht. Die Aktionen müssen gut vorbereitet werden. Der Widerstand gegen den Truppenübungsplatz hat keine Termingebundenheit wie beispielsweise beim Castor-Transport, da das ganze Jahr hindurch geübt wird. Es kann also ein Aktionszeitraum gewählt werden, wenn die Natur wirtlich ist.

Ein Gebiet mit einzigartiger Natur

Eine Besonderheit der Natur in der Heide ist das riesige Trinkwasservorkommen. Über 700.000 Menschen erhalten ihr Trinkwasser in einzigartiger Qualität aus der Colbitz-Letzlinger Heide. Allein diese Tatsachen verbieten einen militärischen Missbrauch des Gebietes, welches in einem Naturpark besser aufgehoben ist als zur Kriegsvorbereitung. Das ist in Zeiten des Klimawandels besonders wichtig. Bei den Aktionen bietet sich die Verbindung von Widerstand mit schönen Naturerlebnissen und somit eine emotionale Verbindung mit der Landschaft.

Fazit

Protest um den Truppenübungsplatz herum mit dem Zeigen von Transparenten und verbalen Bekundungen kann nur Einstiegsdroge für den Widerstand sein, ein Pflänzchen, welches sich entwickelt. In der Bürgerinitiative muss die Bereitschaft zu Aktionen Zivilen Ungehorsams wachsen, um der Rolle als Gastgeberin für weitere Aktionen gerecht zu werden. So kann der Widerstand wachsen und zur Massenbewegung werden. Den Rechtsbrüchen der Regierenden beim Einsatz der Bundeswehr ist ein entschlossenes Handeln der Menschen entgegenzusetzen.
In Katastrophenzeiten punktet die Bundeswehr immer mit Dingen, die ihrem eigentlichen Auftrag zuwiderlaufen. So wird sie bei der Corona-Pandemie mit dem Schutz von Leben und Gesundheit in Zusammenhang gebracht oder tritt bei Hochwasser als Retterin im Kampf gegen die Fluten auf. Hier zeigt sich die falsche Politik, die immer noch auf militärische Mittel bei der Durchsetzung von Interessen setzt und dabei zivile Strukturen zur Katastrophenbewältigung vernachlässigt. Zum Nachdenken über gewaltfreie Konfliktlösungen müssen hingegen diese vielfältigen antimilitaristischen Aktionen dienen, dort wo die Kriege vorbereitet werden.

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