Die FAU Düsseldorf ist ein lokales Syndikat der Freien Arbeiter*innen-Union (FAU). Als Nachfolgerin der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) hält die Düsseldorfer Basisgewerkschaft an den Prinzipien des Anarcho-Syndikalismus nicht nur in der Theorie fest. Wie sieht also die gewerkschaftliche Praxis der FAU-D aus? Und welche Rolle spielen dabei die Betriebsgruppen? Über Strukturen, Aktivitäten und Herausforderungen der kämpferischen Basisgewerkschaft hat Eva Lasting mit den Mitgliedern der FAU-D gesprochen. (GWR-Red.)
GWR: Wann und zu welchem Zweck wurde die FAU Düsseldorf (FAU-D) gegründet?
FAU-D: Die Freie Arbeiter*innen Union Düsseldorf (FAU-D) ist eine anarchosyndikalistische Gewerkschaft, die sich Ende der 1990er-Jahre wieder gegründet hat. Während der Weimarer Republik hatte es in Düsseldorf schon einmal ein Syndikat der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) gegeben, damals mit eigener Zeitung und einer weit größeren Mitgliedschaft. Ein in den 1980er-Jahren gegründetes Syndikat der FAU in Düsseldorf löste sich Anfang der 1990er-Jahre auf. Mitte/Ende der 1990er-Jahre gründete sich unabhängig davon aus der „Anarchistischen Studierenden Initiative“ (AStI), einer Propaganda- und Bildungs-Gruppe an der Heine-Hochschule und der Fachhochschule, ein neues Syndikat.
Es bestand zunächst fast ausschließlich aus Mitgliedern der AStI und einem Kochlehrling, von dem die Initiative zur Gründung des Syndikates ausging. In der ersten Zeit verstand sich das Syndikat dann auch als „Propaganda-Gruppe“ und veranstaltete vor allem Vorträge, Filme, Diskussionsrunden, um die Idee des Anarchismus überhaupt in der Stadt bekannt zu machen. Einige Highlights aus dieser Zeit sind die Demos, die von der FAU-D organisiert wurden, u. a. zu Mumia Abu-Jamal, oder die „Demo für die Anarchie“ im Rahmen der „Libertären Tage“.
Ein Genosse fing allerdings sehr schnell an, sich mit den eigenen Arbeitsbedingungen auseinanderzusetzen. Die Ergebnisse waren eine Broschüre zum Thema Arbeitsrechte für Jobber*innen und ein Konflikt in der Gastrobranche, wo unser Genosse insgesamt zehn Jahre gearbeitet hatte. Hier ging es darum, gesetzliche Mindeststandards wie bezahlten Urlaub und Einhalten der Kündigungsfristen sowie Forderungen nach Lohnerhöhung durchzusetzen. Relativ kurz nach der Neugründung der FAU in Düsseldorf bildeten sich als Folge des damaligen „Bildungsstreiks“ bundesweit „Bildungssyndikate“ der FAU, darunter in Düsseldorf. Es wollte die Studierenden in mehreren Rollen – als Studierende sowie als Arbeitende an und außerhalb der Hochschule –, aber auch alle anderen Arbeiter*innen-Gruppen (auch die outgesourcten) der Düsseldorfer Hochschulen organisieren. Als Anarchosyndikalist*innen haben wir eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, die auf kollektiver Selbstverwaltung basiert, zum Ziel. Aufgabe der FAU-D ist es daher auch, die Grundlagen dafür in der Wirtschaftsregion Düsseldorf zu schaffen und sich mit Syndikaten oder Gewerkschaften aller Berufe, Branchen und Industrien zu vernetzen.
Wie sehen eure Mitgliedsstrukturen aus? Wer kann überhaupt der FAU-D angehören?
Der FAU-D können grundsätzlich erst einmal alle Arbeiter*innen, ohne Rücksicht auf Berufsbildung, Nationalität, Religion, Geschlecht usw. angehören. Es spielt auch keine Rolle, ob die Kolleg*innen gerade Arbeit haben oder nicht, noch in der Ausbildung sind oder ihr Erwerbsleben schon abgeschlossen haben. Seit der Gründung der FAU-D hat sich die Zusammensetzung stark verändert. Mitte/Ende der 1990er-Jahre waren rund 90 % im Syndikat Studierende, sehr wenige Lehrlinge, und nur ein Drittel waren Frauen. Die meisten waren gleich alt, unverheiratet und ohne Kinder, fast alle waren Deutsche. Heute sieht es etwas anders aus. Es sind noch 15 % Studierende, und ein Viertel sind Menschen mit Migrationshintergrund, einige mit Deutsch als Fremdsprache.
Neue Mitglieder werden auf den Vollversammlungen per Abstimmung aufgenommen. Die Mitgliedschaft verpflichtet und berechtigt zur Gegenseitigen Hilfe. Mitgliedsbeiträge an das Syndikat und die Föderation dienen der Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, der Unterstützung unserer Arbeitskämpfe sowie der Finanzierung der eigenen Räume und technischen Ausrüstung. Die Mitgliedsbeiträge werden, wenn nötig, durch Gegenseitige Hilfe per Beschluss in der Vollversammlung von den anderen Mitgliedern übernommen. Nicht aufgenommen werden Berufssoldat*innen, Polizist*in nen, Geheimdienstmitarbeiter* innen, Freigestellte Betriebsrät* innen, bezahlte Gewerkschaftsfunktionär*innen und Berufs-„Organizer*innen“.
Grundsätzlich ist es für das Syndikat wichtig, den Einfluss der Gegenseite auf die Abstimmungen der Vollversammlung möglichst gering zu halten. Da wir einen Konsens anstreben, ist das besonders wichtig. Staatliche Repression dient in Arbeitskämpfen häufig dazu, das Eigentum an Betrieben zu erhalten. Sozialpartnerschaftliche Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) haben in der Vergangenheit mit Betriebsleitungen Geschäfte zum Nachteil der FAU und der Belegschaften gemacht. Sie kämpfen gegeneinander und auch gegen die FAU, weil sie selbst als Wirtschaftsbetriebe arbeiten, um eigene lohnabhängige Angestellte zu finanzieren. Sie sehen daher andere Gewerkschaften als Konkurrenz an und bekämpfen sie.
Warum organisieren sich Menschen mit Migrationsgeschichte bei der FAU-D?
Im Prinzip haben Migrant*innen dieselben Gründe, sich zu organisieren wie Nicht-Migrant*innen: Prekarisierung, schwierige Arbeits- und Lebensbedingungen oder Isolierung. Migrant*innen sind häufiger und stärker von Missständen betroffen. Dazu kommt die Sprachbarriere, die ein wichtiges Hindernis ist, um eigene Rechte zu erkämpfen. Eine tiefgreifende Veränderung in ihrem Leben, wie z. B. ein Wechsel in ein anderes Land, ist ein weiterer Faktor, der zur Änderung der traditionellen Denkweise führen kann. Ein schneller Kontakt mit der Gewerkschaft ist nach der Ankunft oft entscheidend.
Wie sehen die Organisationsstrukturen der FAU Düsseldorf aus? Was unterscheidet euch von den DGB-Gewerkschaften?
Es gibt zwei große Unterschiede zwischen der FAU und den DGB-Gewerkschaften: Erstens sind wir keine kapitalistische Organisation, und zweitens sind wir kein Anhängsel der politischen Parteien. Beide Elemente beeinflussen unsere Strukturen sehr stark. Unsere Entscheidungen werden nicht durch den Wahlzyklus bestimmt, was uns eine längerfristige Betrachtung ermöglicht. Wir sind keine Freund*innen von Machtausübung, und unsere Mandatierten können jederzeit abgewählt werden. Ihr Lebensunterhalt ist nicht von einem Gehalt des Syndikates abhängig, und sie können nicht über fünf oder zehn Jahre lang auf demselben Posten bleiben.
Die Vollversammlung jedes Syndikats bzw. jeder Betriebsgruppe ist ihr Entscheidungsorgan. Die Syndikate werden miteinander in geographischen und wirtschaftlichen Föderationen vernetzt. Dieser Entscheidungsprozess von unten nach oben ermöglicht eine größere Flexibilität und Reaktionsfähigkeit sowie die Wahrung der Unabhängigkeit der Syndikate und der Dezentralisierung der Macht in der Organisation.
Außerdem unterscheiden uns die Prinzipien der Direkten Aktion, der Gegenseitigen Hilfe und des Föderalismus vom DGB und seinen Gewerkschaften. Direkte Aktion meint zum einen, dass die konkreten Personen individuell und kollektiv selbst handeln und über ihre Handlungen auch selbst bestimmen, zum anderen, dass wir die zu erreichenden Ziele direkt angehen, also ohne symbolische Handlungen oder Betteln bei den Bossen, der Politik oder dem Staat. Mit Gegenseitiger Hilfe ist im weitesten Sinne Solidarität gemeint. Aber wir üben sie eben sehr konkret und nach Möglichkeit als Direkte Aktion. Mit Föderalismus meinen wir eine Struktur, die kein Machtzentrum entstehen lässt. Bei uns wird alles in den kleinsten kollektiven Strukturen diskutiert und entschieden. Die Entscheidungen werden dann mittels Delegierter mit imperativem Mandat, also klarem und sachlich oder zeitlich begrenztem Auftrag, weitergetragen.
Wir sind auch eine Richtungsgewerkschaft. Kurz- und mittelfristig üben wir Selbstverteidigung und arbeiten an der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen. Dazu verfolgen wir ein weiterreichendes Ziel, nämlich die Übernahme sämtlicher Produktionsmittel in die Hände der Arbeiter*innen.
Was sind eure Aktivitäten? Wie sieht eure gewerkschaftliche Praxis aus?
Der „Alltag“ besteht zu einem großen Teil aus Bildungs- und Kulturprogrammen. Diese sollen Basiswissen über die jetzt schon bestehende Rechtslage und unsere Prinzipien in einem lebendigem Umfeld zu vermitteln. So umfasst unser Bildungsprogramm vor allem Seminare zum individuellen und kollektiven Arbeitsrecht, Workshops zur gewerkschaftlichen Erstberatung, aber auch Anleitungen zum Organizing. Das ist die Fähigkeit, in den Betrieben unsere Vereinzelung aufzuheben und Betriebsgruppen zu gründen. Zukünftig wollen wir das Programm noch ausweiten, zum Beispiel um die Frage sexueller Belästigung am Arbeitsplatz und vor allem, wie aktive Gegenwehr aussehen kann.
Das Kulturprogramm umfasste neben den klassischen Vorträgen vor allem Ausflüge und Radtouren zum Beispiel auf den Spuren der Märzrevolution. Das war während der Pandemie zum Teil sehr eingeschränkt. Für die Zukunft planen wir eine Reihe von Touren auf den Spuren der historischen FAUD/AS in Düsseldorf und Duisburg. Wir haben aber auch sehr gute Erfahrungen mit anderen Veranstaltungen gemacht, z. B. offenen Diskussionsrunden, Lesekreisen, Tanzkursen und ein Jahr lang sogar mit einem Yoga-Kurs. Wir sind dabei sehr offen und wollen der Initiative unserer Mitglieder nicht im Wege stehen – im Gegenteil. Wir stellen ihnen unser Lokal zur Verfügung, sodass sie ihre Aktivitäten ausüben könnten.
Die gewerkschaftliche Praxis hat momentan in der Hauptsache zwei Schwerpunkte. Das Informieren über und Unterstützen von Arbeitskämpfen der FAU-Syndikate spielt eine wichtige Rolle. Seit Anfang der Pandemie zählen dazu zum Beispiel der Streik der Erntearbeiter*innen in Bornheim (1), die Arbeitskämpfe bei der Buchhandelskette Walther König (2) oder beim Lebensmittel-Lieferdienst Gorillas (3). International haben wir den Kampf bei der Textilfabrik Dragon Sweater in Bangladesh unterstützt. Außerdem bieten wir seit Jahren gewerkschaftliche Erstberatung an.
Was ist die gewerkschaftliche Beratung?
Die Gewerkschaftliche Erstberatung ist ein Kernelement unserer Kommunikation mit den abhängig Beschäftigten in Düsseldorf. Hier können alle ihre Anliegen vorbringen und eine Beratung zum Arbeitsrecht oder zum Aufbau von Betriebsgruppen erhalten. Häufig werden Fragen zu Lohnabrechnungen, zum Arbeitsschutz und zum Kündigungsschutz gestellt. Viele kommen leider erst nach dem Ende eines Arbeitsverhältnisses zu uns, um ausstehende Löhne einzutreiben, weil die Sozialpartner diesen Part nicht übernehmen. Um die Belegschaften zu erreichen, sprechen wir sie direkt an, indem wir Flyer verteilen, Gespräche führen und bei Filialen größerer Ketten Arbeitskämpfe durch Protestaktionen vor den Düsseldorfer Filialen unterstützen. Für die Beratung nehmen die Aktiven der FAU-D regelmäßig an Fortbildungen zum Arbeitsrecht und zum Aufbau von Betriebsgruppen teil und leiten teilweise selbst solche Fortbildungen für andere Syndikate.
Die Erstberatung richtet sich auch an die Mitglieder der FAU Düsseldorf: Wenn bei uns auf der Arbeit etwas passiert, was uns nicht passt, dann helfen wir uns gegenseitig. Bei uns sind genügend gut informierte Leute und gute Ideen vorhanden, um im Notfall wichtige Entscheidungen nicht alleine treffen zu müssen. Wir helfen einander und finden bei schwierigen Situationen auf der Arbeit gemeinsam die beste Strategie. Bei Stress mit dem Chef nicht alleine zu sein, ist unbezahlbar.
Die meisten Arbeitskämpfe spielen sich „im Verborgenen“ ab. Aber es gibt auch hin und wieder Konflikte, die an einem bestimmten Punkt öffentlich werden. Hier ein außergewöhnliches Beispiel: Eine Kollegin, die während der Probezeit in einem Hotel entlassen wurde, kam zur gewerkschaftlichen Erstberatung. Ein kollektiv geführter Konflikt war leider nicht möglich, aber wir begleiteten die Kollegin auf dem gesamten juristischen Weg. Monate später erinnerte die Kollegin daran, dass sie schon beim ersten Gespräch mit uns angemerkt hatte, dass sie auf jeden Fall ein Zeichen setzen wolle. Jetzt, nachdem die ausstehende Lohnforderung per Gerichtsvollzieher eingetrieben war, wolle sie noch vor dem Hotel eine Demonstration durchführen. Natürlich halfen wir ihr dabei, diese Demonstration durchzuführen. Zusammen mit Kolleg*innen von Marea Granate und der damalige Grupo de Acción Sindical, zwei Solidaritätsnetzwerken von Spanier*innen, versammelten wir uns für zwei Stunden und riefen zusammen Slogans in unseren verschiedenen Muttersprachen: „No hay pan – para tanto CHORIZO“, „Qui sème la misère, récolte la colère“, „An injury to one is an injury to all“, „Helau! Helau! Hier arbeitet man für lau!“. (4)
Welche Bedeutung haben die Betriebsgruppen in eurer Praxis? Welche Erfahrungen habt ihr mit Betriebsgruppen gemacht?
Betriebsgruppen sind der Kern der gewerkschaftlichen Arbeit, sodass die Arbeiter*innen am Arbeitsplatz gewisse Garantien haben und mögliche Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen vorhergesehen und vermieden werden können. Leider war das Syndikat noch nicht in der Lage, Betriebsgruppen in Düsseldorf zu bilden. Es ist ziemlich schwierig in prekären Sektoren, die Arbeiter*innen zu organisieren, da viele einfach von Job zu Job wechseln oder Konflikte auf der Arbeit vermeiden wollen. Unsere Mitglieder sind in diesem Sinne ein bisschen isoliert am Arbeitsplatz, aber mit wachsenden Mitgliedszahlen werden wir bald mehr Möglichkeiten haben. Als die FAU-D sich neu gegründet hatte, gab es einige Jahre eine aktive Betriebsgruppe in der Gastronomie. (5)
Könnt ihr mehr über eure Arbeitskämpfe erzählen? Welche Erfolge habt ihr auf eurem Konto?
Wir sind sehr gut darin, ausstehende Löhne einzutreiben und Abfindungen zu erstreiten. Das sind die messbaren Erfolge, schließlich sehen die Kolleg*innen sehr konkret, ob oder wie viel Geld sie so doch noch bekommen haben. Darüberhinaus gibt es weniger messbare Erfolge wie das Selbstwertgefühl der Kolleg*innen und die Erfahrung, nicht alleine, isoliert und ohnmächtig zu sein.
Mit welchen Problemen habt ihr als Basisgewerkschaft zu tun?
Alles was unsere Mitglieder betrifft, ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen, sind Probleme der Gewerkschaft. Eine andere Frage wäre, ob wir zurzeit genug Kapazitäten für so ein breites Spektrum haben. Die FAU ist keine sozialpartnerschaftliche Gewerkschaft, die sich nur, und auch das nur teilweise, um die kurzfristigen Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innen kümmert. Themen wie Wohnen, Gesundheitsvorsorge, Umwelt, Krieg oder Bildung, die die Arbeitsbedingungen zutiefst beeinflussen, sollen auch Teil unserer Aktivitäten sein.
Als kleine Gewerkschaft haben wir viele Einschränkungen, aber das hält uns nicht davon ab, die Funktionsweise unserer Gesellschaft grundsätzlich in Frage zu stellen und Alternativen anzustreben. Die FAU ist ein lebendiges Experiment, um diese Alternativen in allen Bereichen in die Praxis umzusetzen: Die Schule einer anderen möglichen Gesellschaft. Das betrifft Beziehungen, Strukturen, Entscheidungsprozesse.
Die wichtigen Entscheidungen in unserer Gesellschaft werden von den Führungen großer Banken und Konzerne getroffen. Daher stellt sich für uns als anarchosyndikalistische Organisation die Frage, wie wir diesen entgegentreten können. Als Basisgewerkschaft versuchen wir, der Übermacht an Geld und Gewalt mit der Übermacht an Menschen entgegenzutreten. Bei unserer derzeitigen Lage kann diese Übermacht nur punktuell hergestellt werden, indem eine Belegschaft sich geschlossen gegen die Betriebsleitung stellt. Der Ansatz baut also nicht auf bezahlte Führung, sondern auf Einsatz im eigenen Interesse.
Die FAU wurde zudem erst 1977 wieder gegründet. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich in der Bundesrepublik andere Gewerkschaften mit staatlicher Unterstützung etabliert. Die Tradition der FAUD aus der Vorkriegszeit lag so lange zurück, dass sich daran nicht wieder anknüpfen ließ, wodurch es keine durchgängige Tradition von Basisgewerkschaften gab.
Wie ist die Situation während der Pandemie? Hat die Pandemie eure Handlungsmöglichkeiten bzw. Aktivitäten wesentlich beeinträchtigt?
Ja, leider waren wir zunächst überrumpelt, und es war schwierig für uns, kollektiv zu reagieren. Wir brauchten ein bisschen Zeit, um neue effektive digitale Kommunikationswege zu finden, was die Diskussionen und die Entscheidungsprozesse erschwert hat. Die Integration neuer Mitglieder im Syndikat war für beide Seiten nicht leicht, und wir hatten nicht immer Erfolg damit. Angst, Stress, Unsicherheit, Einsamkeit, Depression, Ohnmacht usw. sind auch Belastungen, die diese Prozesse noch komplizierter gemacht haben. Wir waren nur teilweise in der Lage, dieser Situation entgegenzuwirken. Außer der gewerkschaftlichen Erstberatung, die sowohl telefonisch als auch vor Ort durchgeführt wurde, mussten zunächst alle Veranstaltungen abgesagt werden, d. h. das Spendenaufkommen ist auch gesunken. Nichtsdestotrotz waren wir die einzige Gewerkschaft, die am 1. Mai in Düsseldorf auf die Straße gegangen ist, die Mitgliederzahl hat nicht aufgehört zu wachsen, langsam, aber stetig, und die Mitgliedschaft ist auch noch vielfältiger geworden. Voraussichtlich werden die nächsten zwölf Monate für das Syndikat sehr wichtig sein.
Inwiefern?
Weil wir uns wegen der ökonomischen und Covid-Krisen in einer außergewöhnlichen sozialen Situation mit wachsender Armut und Prekarisierung befinden, in der die Menschen für politische Alternativen offener sind als zuvor. Unter diesen Umständen hat das Syndikat die Möglichkeit, die Prinzipien der Föderation zu verbreiten, um eine breitere, aktivere und stabilere Basis zu erreichen, die uns in naher Zukunft zu erfolgreichen Arbeitskonflikten führen könnte. Die wachsende Mitgliedschaft führt zu Veränderungen der Organisationsstruktur und zur Vergrößerung der Handlungsmöglichkeiten. Je nachdem, was die Neuen in der FAU Düsseldorf an Fähigkeiten und Aktivitäten mitbringen, wird sich das Profil des Syndikats verändern. Wegen der aktuellen Medienpräsenz der FAU rechnen wir im kommenden Jahr mit einem deutlichen Zuwachs.
Mit welchen Organisationen arbeitet ihr zusammen? Was ist der Zweck dieser Zusammenarbeit?
Zwischen 2000 und 2012 gab es in Düsseldorf immer wieder anarchistische Gruppen und im Umfeld des „Linken Zentrums“ eher antiautoritäre Gruppe wie Cable Street Beat Düsseldorf oder das Café Bunte Bilder. Mit ihnen haben wir immer wieder zusammengearbeitet mit dem Ziel, in der Stadt eine antiautoritäre Kultur im Sinne einer Sozialstruktur zu etablieren sowie eine Praxis unter „Linken“, sich über die eigenen Arbeitsverhältnisse (die fast immer prekär waren) offen zu unterhalten. 2014 haben wir unser Ladenlokal, das „V6“, bezogen und luden diverse Gruppen ein, es mitzunutzen. Anfänglich haben fünf Gruppen dieses Angebot wahrgenommen. Seither durchgehend dabei sind die „Unabhängigen Arbeitslosen“. Sie bieten einmal in der Woche eine Hartz-IV-Beratung an, begleiten Leute zum Jobcenter und haben ein paar Veranstaltungen zum Thema im V6 organisiert. Ebenfalls von Anfang an dabei war eine Gruppe vorwiegend Studierender. Zunächst war sie betont theoretisch, aber später hat sie sich auch im lokalen Pflegebündnis engagiert. Mit der Gruppe „Diskussion und Kritik“ war eine Zeitlang eine explizit marxistische Gruppe zu Gast im „V6“, aber die erhofften „Synergieeffekte“ kamen leider nicht zustande. Zu erwähnen sind noch die Grupo de Acción Sindical NRW und Marea Granate NRW. Beide nutzten bis zu ihrer Auflösung unsere Infrastruktur für Treffen und als Veranstaltungsort. Aus beiden Gruppen sind Aktivist*innen in die FAU-D eingetreten und gaben der FAU-D einen endgültigen Impuls zur Stabilisierung.
Zwei bis drei Jahre lang mussten wir das Syndikat quasi fast von Null auf organisatorisch wieder aufbauen und dafür viel intern arbeiten. Von diesem Fundament aus konnte das Syndikat erweitert werden, indem zwei Sektionen der FAU in Mönchengladbach und in Krefeld gegründet wurden. Jetzt ist das Syndikat in einer Phase, in der wir anfangen könnten, uns mit anderen dezentralisierten oder selbstorganisierten Gruppen intensiver zu vernetzen bzw. zu kooperieren.
Die FAU ist auch Mitglied der Internationalen Konföderation der Arbeiter*innen (IKA) (6). Darüber und über die zahlreichen weiteren Kontakte zu Gewerkschaften auf der ganzen Welt beteiligen wir uns natürlich auch immer wieder an globalen Kampagnen, zuletzt am Arbeitskampf der Textilarbeiter*innen in Bangladesh. Aber wir sind auch an nichtgewerkschaftlichen Initiativen wie der Zapatistischen Rundreise beteiligt.
Welche Rolle spielen in eurer Praxis die Medien?
Am Anfang haben wir vor allem die „Direkte Aktion“, das Presse organ der FAU, verkauft Das Bildungssyndikat hatte seine eigene Zeitung, den „Mühsam“. Zur „Terz“, dem Düsseldorfer Lokalblatt der radikalen Linken, hatten wir anfangs ein schwieriges Verhältnis, aber heute ist das zum Glück anders. Eine Zeitlang hatten wir einen großen Presseverteiler, und deshalb wurden z. B. Veranstaltungstermine von uns im „Express“ veröffentlicht. Mittlerweile gibt es ein aktives Pressesekretariat, das die Arbeit in den Sozialen Medien und an der Website unterstützt und eine Zeitung für die Region herausgibt, das „Mitteilungs-Blatt“. Darin werden Artikel der Webredaktionen der Region West abgedruckt und auf Demos, in Lokalen und auf Veranstaltungen verteilt. Das Mitteilungs-Blatt ist auch online lesbar. (7)
Was ist die größte Herausforderung in eurer Praxis?
Eine wichtige Herausforderung ist das Agitieren am eigenen Arbeitsplatz, dort im Sinne des Anarchosyndikalismus zu handeln und Betriebsgruppen zu bilden, um von der individuellen Auseinandersetzung zu einem kollektiv geführten Konflikt zu kommen. Besonders auf den kollektiven Konflikt vorbereitet zu sein bedeutet, in den formalen Entscheidungsprozessen eine Kommunikationsweise zu entwickeln, die auch im Ernstfall direktes Handeln ermöglicht. Die Syndikate haben die Aufgabe, dafür das Handwerkzeug bereitzustellen.
Die formalen Prozesse sind aber natürlich kein Selbstzweck, sondern dienen dazu, alle Mitglieder der Syndikate bestmöglich einzubinden und jedes Handeln kollektiv zu legitimieren, besonders wenn die Zeichen auf Streik stehen. Eine weitere Herausforderung ist sicherlich die Tatsache, dass Selbstorganisation im Sinne des Anarchosyndikalismus zwar eigentlich „ganz einfach“, aber im aktuellen Umfeld doch sehr schwer ist. Wir alle müssen erst die soziokulturellen Voraussetzungen in uns selbst schaffen und eine Praxis entwickeln, die oft das Gegenteil von unserem „Arbeits“-Alltag ist. Das heißt, wir haben Ideen und Vorstellungen, müssen diese aber in der Praxis erproben und anpassen, ohne dabei den ursprünglichen Inhalt aus den Augen zu verlieren. Dafür suchen wir Formen und Ausdrucksweisen, die es den im aktuellen Umfeld geprägten Menschen ermöglichen, direkt Teil dieser Bewegung zu werden.
Habt ihr eine Vorstellung davon, wie eine zukünftige Gesellschaft aussehen sollte und welche Rolle einer anarchosyndikalistischen Gewerkschaft darin zukommen sollte?
Das ist eine schwierige Frage – nicht weil es keine konkreten Vorschläge in der anarchosyndikalistischen Bewegung gibt, sondern weil die Organisation noch in den Kinderschuhen steckt, vielfältiger werden soll und noch keine ausreichende kollektive Reife hat, d. h. sie muss sich noch Herausforderungen stellen, die in den Syndikaten und in der Föderation diskutiert werden müssen. Trotzdem sind die Syndikate und die Föderation der Beginn der zukünftigen Gesellschaft; hier können wir mögliche Alternativen ausprobieren. Eine soziale föderalistische Organisation der Gesellschaft, von unten nach oben, ist wesentlich – von Städten und Gemeinden zu den Regionen. Parallel dazu müsste es eine soziale föderalistische Organisation der Wirtschaft nach Sektoren geben. Der Kern dieser Struktur ist, die Machtanhäufung durch Geld oder andere Mittel zu vermeiden, damit die Menschen ihre eigenen Entscheidungen treffen können.
Danke für das Gespräch!
(1) Siehe: https://www.graswurzel.net/gwr/2020/
05/der-spargel-streik/
(2) Siehe: GWR 459.
(3) Siehe: GWR 460.
(4) Mehr zu dieser Geschichte findet ihr auf der Homepage der FAU-D: https://duesseldorf.fau.org/fau-wie-victory/.
(5) Ihr findet die Geschichte auf der Homepage der FAU-D: https://duesseldorf.fau.org/fuenf-berichte-aus-der-praxis-und-ein-kleines-resuemee/
(6) Siehe: GWR 459.
(7) Siehe: https://duesseldorf.fau.org/presse/mitteilungs-blatt/