Vom Klimawandel zum Aufstand im Warschauer Ghetto?

Andreas Malms Beiträge zur Klimabewegung relativieren die Shoah

| Peter Nowak

In der Klimabewegung werden neue Zielsetzungen und Aktionsformen diskutiert. Dabei tauchen vereinzelt auch mehr als fragwürdige Analysen auf: Der bekannte schwedische Humanökologe und Autor Andreas Malm stellt Fragen zum Klimawandel und den Perspektiven der Kämpfe dagegen, kommt aber dabei zu Positionen, die die Shoah relativieren. Über die Debatten der Klimabewegung schreibt für die Graswurzelrevolution Peter Nowak. (GWR-Red.)

„Mit dem SUV in die Klimakatastrophe“ – so lautete bei vielen Klimaaktivist*innen das Fazit zum Ergebnis der Bundestagswahlen, die zumindest eines klarmachen: Die Freie Demokratische Partei (FDP) als besondere Interessenvertreterin des Kapitals wird auf jeden Fall mit dabei sein und dafür sorgen, dass es ein „Weiter so“ mit etwas grüner Rhetorik geben wird. Nun hatte kaum jemand von den Klimaaktivist*innen große Hoffnungen in die Wahlen gesetzt. Viele der jungen Menschen bringen die Grünen wohl nicht mehr mit der Verarmung per Gesetz namens Hartz IV und den Bombenabwürfen auf Belgrad im Jugoslawienkrieg in Verbindung. Dafür haben sie erlebt, wie eine hessische Landesregierung, in der die Grünen mitregieren, den Dannenröder Forst (Danni) für den Bau einer Autobahn räumen ließ. Bis heute sitzt eine Klimaschützerin mit dem Alias-Namen Ella, die ihren richtigen Namen auch vor Gericht nicht angab, deshalb im Gefängnis. Doch wenn auch die Hoffnung auf parlamentarische Veränderungen durch die Wahlen gering blieb, gab es unter Klimaaktivist*innen Enttäuschung über die Ergebnisse der Parteien, die zumindest verbal mit Umweltthemen verbunden werden. Während die Grünen zur dritten Kraft wurden, kam die Partei Die Linke nur durch drei Direktmandate in den Bundestag. Eine von manchen als kleinstes politisches Übel favorisierte Koalition zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), den Grünen und den Linken kommt schon rechnerisch nicht zustande. Dafür ist die FDP eben wieder mit dabei.

„Friedliche Sabotage“?

Diese Gemengelage sorgt dafür, dass sich in der Klimabewegung viele Menschen Gedanken darüber machen, wie ihr Kampf weitergeht. Manche sagen, wir haben zwei Jahre für das Klima demonstriert, und es hat sich nichts geändert. Das führte bei Klimaaktivist*innen zu verschiedenen Konsequenzen. So waren in einem Berliner Klimacamp mehrere junge Menschen in einen Hungerstreik getreten und forderten ein Gespräch mit den drei Kanzlerkandidat*innen (SPD, CDU, Grüne) über einen Klimanotstand. Größere Teile der Klimaaktivist*innen wollen den zivilen Ungehorsam radikalisieren und sich nicht mehr mit Großdemonstrationen begnügen. Die Debatte über die Frage, ob die Klimabewegung radikaler werden muss, läuft schon länger, hat aber nach den Wahlen noch mal an Fahrt aufgenommen. In einem Interview mit der Tageszeitung taz vom 17. August 2021 brachte der Klimaaktivist Tadzio Müller, der zeitweilig für die Rosa-Luxemburg-Stiftung arbeitete, auch Mittel der „friedlichen Sabotage“ (1) gegen umweltschädliche Einrichtungen in die Diskussion. Diese Aktionen versteht Müller als Teil des zivilen Ungehorsams. Er zog die Grenze bei Gewalt gegen Personen, die er klar ablehnte.
Schon warnt der grünennahe Bewegungsforscher Dieter Rucht, dass die Klimaaktivist*innen ihre Sympathie verspielen würden, wenn die Bewegung radikaler würde. Der schwedische Humanökologe Andreas Malm zielt mit seinem im Verlag Matthes und Seitz herausgekommenen Buch mit dem programmatischen Titel „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“ (2) – auf die Frage, wie sich die Klimabewegung in ihren Kämpfen künftig positionieren soll. Der Untertitel „Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen“ zeigt schon an, dass Malm von einer Dringlichkeit in diesen Kämpfen ausgeht, die auch die Aktionen bestimmen soll. In der Einleitung ist diese apokalyptische Weltsicht gut beschrieben. „Wir sprechen vom Aussterben und davon, dass es keine Zukunft mehr gibt. Aber das business as usual geht weiter“. (3) Dann stellt Malm die Frage, die auch Tadzio Müller aufgeworfen hat. „Wann also eskalieren wir? Wann gelangen wir zu der Einsicht, dass es an der Zeit ist, auch zu anderen Mitteln zu greifen? Wann fangen wir an, die Dinge, die unseren Planeten ruinieren, physisch anzugreifen, mit unseren Körpern, mit unseren eigenen Händen zu zerstören?“ (4) In seinem Text versucht Malm zu begründen, warum die Bewegung zu radikalen Mitteln greifen muss. Dabei geht er aber nicht auf die jahrzehntelangen Diskussionen über die unterschiedlichen Formen gewaltfreien Widerstands ein, der sich durchaus nicht an den Grenzen der Legalität orientiert. Vielmehr will Malm der Klimabewegung die pazifistischen Flausen austreiben und bleibt mit seinen Argumenten oft sehr an der Oberfläche. So zitiert Malm aus einem Essay des britischen Schriftstellers John Lanchester: „Es ist seltsam und erstaunlich, dass Klimaaktivisten bisher noch keinen einzigen Terrorakt verübt haben. Schließlich stellt Terrorismus für den Einzelnen die bei Weitem effektivste Form des politischen Handelns innerhalb der modernen Welt dar und Klimawandel einen Sachverhalt, zu dem die Menschen eine ebenso entschiedene Meinung haben wie beispielsweise zu den Rechten der Tiere“. (5) Dabei rekurriert Lanchester auf militante Aktionen von Tierrechtler*innen, die es vor einigen Jahren vor allem in Großbritannien gab. Anschließend sinniert Lanchester darüber, wie einfach es doch sei, „Tankstellen in die Luft zu jagen oder SUVs mutwillig zu beschädigen“. (6). Nun könnte dieser Essay tatsächlich der Einstieg in eine Debatte über Aktionsformen des zivilen Ungehorsams sein. Da müsste man darüber diskutieren, wie hier völlig beliebig vom „Terrorismus des Einzelnen“ (7) über die Beschädigung von SUVs bis zum Sprengen von Tankstellen gesprochen wird, mit dem einzigen Maßstab, öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Nur unter dieser Prämisse kann Lanchester vom Terrorismus des Einzelnen „als bei Weitem effektivste Form des politischen Handelns“ reden.

Rhetorik der Apokalypse

Politische Kriterien spielen bei Lanchester keine Rolle. Nun hätte man von Malm eigentlich erwarten können, dass er an diesem Punkt ansetzt und eine politische Diskussion führt. Doch Fehlanzeige. Er weist nur darauf hin, dass Lanchester den Essay zehn Jahre vor der Hurrikansaison 2017 geschrieben hat. Im Anschluss zählt er weitere Klimakatastrophen der letzten zehn Jahre auf. Schon die Wortwahl, die er benutzt, passt zur Unterüberschrift „Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen“. Da schreibt Malm von „Hitzewellen, die Europa zwei aufeinanderfolgende Sommer lang rösteten“, von Temperaturen am Persischen Golf, „die für den menschlichen Körper kaum mehr zu ertragen sind“. (8) Die apokalyptische Aufzählung schließt Malm mit den Sätzen: „Und dennoch hat sich an der Taktik, mit der auf diese Verhältnisse reagiert wird, nichts geändert“. Das sei besonders verwunderlich, weil nach Malm tatsächlich der Weltuntergang droht. „Nahezu alle Lebewesen im Himmel und auf der Erde“ (9) seien vom Aussterben bedroht. Durch diese Aneinanderreihung von Weltuntergangsszenarien bleibt in seinen Buch kein Platz für eine politische Auseinandersetzung auch mit unterschiedlichen Aktionsformen.

Regressiver Antizionismus

Die apokalyptische Weltsicht Malms führt in seinem Buch dann auch zu irritierenden historischen Vergleichen. So zieht er unter der Überschrift „Aus der Geschichte lernen“ Parallelen zwischen dem Kampf der Klimabewegung und der Situation der Aufständischen im Warschauer Ghetto. Das Kapitel leitet er mit einem positiven Bezug auf die jüdischen Aufständischen im Warschauer Ghetto ein. Mit ihrem Kampf in aussichtsloser Lage hätten die Aufständischen noch deutlich gemacht, dass sie sich nicht kampflos ermorden lassen. Damit leitet Malm das Szenario einer Erde im Klimawandel ein: „Stellen wir uns nun vor, der letzte Rest der menschlichen Bevölkerung fristet sein Dasein in der Nähe der Pole. Ein paar Jahrzehnte bleiben ihnen noch. Und manche ihrer Nachkommen haben vielleicht sogar die Chance, etwas länger zu überdauern. Was würden wir ihnen mitteilen wollen? Dass die Menschheit ihr Ende vollkommen einmütig herbeigeführt hat? Oder dass manche Menschen doch gleich jener Jüdinnen und Juden kämpften, die um ihre bevorstehende Ermordung wussten?“ (10)

Da muss man sich schon fragen, ob Malm zwischen dem antisemitischen Mordprojekt der Nazis und dem menschengemachten Klimawandel keinen Unterschied sieht. Malm ist freilich nicht der erste bekannte Klimaaktivist, der die Shoah mit dem Klimawandel gleichsetzt. Doch Extinction-Rebellion-Mitbegründer Roger Hallam wurde 2019 für seinen Vergleich der Klimakrise mit dem Holocaust in Deutschland auch von Umweltgruppen scharf kritisiert. (11) Malms Gleichsetzung der Klimaaktivist*innen mit den Kämpfer*innen im Warschauer Ghetto wurde bisher weitgehend ignoriert. Einen Eklat löste erst eine Diskussionsrunde am 14. Mai 2021 aus, bei der Malm „die Helden des Widerstands in Gaza, angeführt von Mohammed Deif“, dem militärischen Anführer der Hamas, lobte und als „globales Modell“ für politischen Kampf bezeichnete. Als der Philosoph Anselm Jappe dies nicht hinnehmen wollte und Malms antiisraelische Rhetorik kritisierte, reagierte Malm mit dem Kommentar: „Du bist Deutscher, oder?“ (12)

Es wäre zu fragen, ob ein oft regressiver Antizionismus verbunden mit einer apokalyptischen Weltsicht dafür verantwortlich ist, dass bei Malm die Unterschiede zwischen einer menschengemachten Klimakrise und der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik eingeebnet werden. Auch damit sollte sich eine Klimabewegung auf der Suche nach einer politischen Perspektive auseinandersetzen.

(1) „Radikalität der Klimabewegung: ‚Auch Sabotage ist friedlich‘“, taz vom 17.8.2021, https://taz.de/Radikalitaet-der-Klimabewegung/
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(2) Malm Andreas: Wie man eine Pipeline in die Luft jagt. Kämpfen lernen in einer Welt in Flammen, Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2020.
(3) Ebd. S. 14f.
(4) Ebd. S. 15.
(5) Ebd. S. 17.
(6) Ebd. S. 17.
(7) Ebd. S. 16.
(8) Ebd. S. 19.
(9) Ebd. S. 19.
(10) Ebd. S. 170.
(11) https://www.theguardian.com/environment/
2019/nov/20/extinction-rebellion-founders-
holocaust-remarks-spark-fury
(12) „Helden des Widerstands“, Jungle World vom 27.5.2021, https://jungle.world/artikel/2021/21/helden-des-wider-stands