die waffen nieder

Allmacht des militärischen Denkens

Prozesse um das GÜZ

| Flora vom Gysenberg

BeitraggÜz

Das „Gefechtsübungszentrum Heer“ (kurz GÜZ) nördlich von Magdeburg ist mit 232 Quadratkilometern und der genutzten Technik einer der modernsten Truppenübungsplätze Europas. Soldat*innen aus vielen Nato-Ländern werden dort auf ihre Auslandseinsätze vorbereitet, auch Häuserkampf wird dort geübt. Alle deutschen Soldat*innen, die in den letzten 20 Jahren in Afghanistan eingesetzt wurden, haben dort trainiert. Helmut Adolf stellte in der GWR 461 vom September 2021 die Colbitz-Letzlinger Heide und die Besetzung im August 2020 vor. Im Folgenden geht es um die Reaktionen des Staates auf diese Widerstandshandlungen.

Im Oktober 2021 gab es zwei Prozesstage, insgesamt sechs Gelegenheiten, der Justiz den gewaltfreien Widerstand zu erläutern. Am 28. Oktober waren es gleich vier Personen, die vor Gericht standen, weil sie das GÜZ betreten hatten und deswegen Bußgelder zwischen 200 und 500 Euro bezahlen sollten. Sie hatten dagegen Widerspruch eingelegt. Bußgeldsachen, besonders solche, die sich im Bereich unter 1.000 Euro bewegen, sind im Allgemeinen Bagatellsachen für ein Gericht. Dementsprechend gering sind die formalen Anforderungen: Der Richter sitzt allein da und urteilt nach den Akten, er schreibt sogar das Protokoll selbst. Für die Dauer eines solchen Verfahrens sind nicht mehr als 30 Minuten eingeplant.
Nun kommen die GÜZ-Besetzer*innen ja nach Bonn, um auf die Rechtswidrigkeit der Bundeswehreinsätze aufmerksam zu machen – ob es um Afghanistan geht, um Mali oder um Einsätze im Innern. Sie bringen also längere Ausführungen mit, die ihre Besetzung des Militärgeländes rechtfertigen sollen. Bei früheren Prozessen mussten sie immer wieder erleben, dass sie vom Richter unterbrochen wurden, der auf die Uhr schaute und unbedingt den nächsten Termin einhalten wollte. Das war diesmal nicht der Fall: In allen Verfahren ließen die Richter die Beschuldigten ausreden und begannen erst dann, ihre Erklärungen zu diskutieren. Alle vier äußerten sich verschieden, je nach ihrem biographischen Hintergrund.

Rechtswidrigkeit der Bundeswehreinsätze

Katja Tempel, Hebamme aus dem Wendland, rügte vor Gericht die Unrechtmäßigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr: „Militäreinsätze dürfen laut UN-Charta nicht gegen terroristische Bedrohungen eingesetzt werden. Der Afghanistankrieg war nicht mit dem Völkerrecht vereinbar. Damit ist auch das Üben des Einsatzes auf dem GÜZ unrechtmäßig“. Dadurch ergebe sich die Notwendigkeit zum eingreifenden gewaltfreien Handeln: „Wenn staatliches Handeln, sei es durch Bundeswehr, Politik oder Gerichte, Unrecht schafft und insbesondere den Grundgedanken der friedlichen Konfliktaustragung ignoriert, dann wird es Zeit für uns, als Teil der Zivilgesellschaft zu handeln.“
Die 58-jährige Kriegsgegnerin führte weiter aus: „Was wäre, wenn an 240 Tagen die Ausbildung für den Zivilen Friedensdienst hier stattfinden würde? Wenn die militärische Übungsstadt Schnöggersburg mit ihren Hotels in ein großes internationales Seminar- und Trainingszentrum umgenutzt würde? Wenn über die Jahre statt 40.000 Soldat*innen 40.000 Menschen aus aller Welt in Methoden der gewaltfreien Konfliktbearbeitung, Mediation und gewaltfreier Intervention ausgebildet würden? ,Dein Jahr für Deutschland‘, der neue Heimatschutz-Freiwilligendienst bei der Bundeswehr, könnte hier abgeleistet werden. Aus der Altmark würden konstruktive Impulse ausgehen, die weltweit zum Tragen kommen könnten. Überall in Deutschland könnten Militärbasen in Gewaltfreie Trainingszentren umgewandelt werden. Wir würden Frieden lernen und lehren, nicht Krieg. Die alte Parole ,Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen‘ würde endlich wieder glaubhaft werden.“
Anna Nebel aus der Nähe von Weimar erklärte vor Gericht: „Ich sehe mich als Weltenbürger, auch wenn ich mich vorwiegend in einem kleinen Teil der Welt bewege. Ich sehe mich nicht als Deutsche oder Europäerin. In meinen Augen haben alle das gleiche Recht auf Unversehrtheit, auf Glück, auf Gemeinschaft, auf Sinnhaftigkeit, auf Essen, auf Fortschritt, aber auch auf Langsamkeit, auf verschiedene Ideen von kulturellem Überbau, auf Zweifel und Widerstand.“ Und all diese gleichen Rechte seien durch die Übungen zu Kriegseinsätzen auf dem GÜZ gefährdet. Sie führte weiterhin aus:

„Wenn wir stetig Waffen produzieren und verbessern, wenn wir Plätze bereithalten, an denen man übt, wie man andere tötet, ohne selbst getötet zu werden, dann fördern wir bewaffnete Konflikte und feiern den Krieg“.

Jojo Müller aus der Pfalz drehte den Spieß um: „Während wir uns vor diesem Gericht für eine Ordnungswidrigkeit verantworten müssen, klagen wir auf der anderen Seite das weitaus größere Unrecht des militärischen Status Quo an. Wenn in den nächsten Jahrzehnten das System Militär weiterhin das dominante Mittel zur ,Lösung‘ bleiben sollte, … dann werden wir uns als globale Gemeinschaft in Situationen wiederfinden, die enorm viel Zündstoff für Kriege bergen.“ Als ausgebildete Klimaschutzmanagerin ergänzte sie: „Militarisierung ist … einer der wichtigsten unterschätzten Klimakiller.“
Ernst-Ludwig Iskenius, ehemaliger Kinderarzt aus Lübtheen, berichtete von seinen Erfahrungen im ehemaligen Jugoslawien: „Ich war drei Jahre während des Krieges in der Verantwortung für humanitäre Hilfe unterwegs. Ich bin Zeuge von Zerstörung, Menschenrechtsverletzungen, ethnischen Säuberungen und individueller und sozialer Gesundheitsschädigung geworden. Das führte mich zu dem Schluss: Krieg ist die schlimmste Krankheit, eine durch Menschen verursachte Seuche. Ihr ist nicht mit vorbereiteten militärischen Gewaltmaßnahmen zu begegnen, sondern nur mit konsequenten zivil-präventiven Maßnahmen.“ In seinem Schlusswort erklärte er: „Wir sind nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“
Rüdiger Wilke aus Bischofferode hat sich an der Aktion beteiligt, „weil ich die immer größer werdende Gefahr eines atomaren Konflikts sehe und die Schwelle zur Auslösung eines solchen Konflikts sich immer weiter absenkt – dagegen wollte ich handeln.“ Elke Schrage, Gynäkologin aus Braunschweig, erläuterte die Basis ihres Handelns: „‚Von deutschem Boden soll kein Krieg mehr ausgehen‘ ist tief in der sozialen Genetik der Bundesrepublik und in mir verwurzelt. Dieser Grundwert wird durch die Vorbereitung von Angriffskriegen, die auf dem GÜZ geübt werden, mit Füßen getreten.“

Amtliche Verleugnung des Offensichtlichen

In der Diskussion mit den Richtern tauchte ein ganz neues Thema auf, nämlich die Frage: Was ist ein Angriffskrieg? Die Definition eines Angriffskrieges, von der man glauben könnte, ein Kind könne das wissen, ist durch den Sophismus der Herrschenden inzwischen mit so vielen Fallstricken versehen worden, dass praktisch kein Krieg mehr als Angriffskrieg gilt (1). Mit diesem Problem müssten sich spätere Einlassungen vielleicht ausführlicher befassen. Des Weiteren ist die Frage, ob es rechtfertigende Gründe für eine Platzbesetzung gab. Der § 16 OwiG entspricht dem § 34 StGB, und die Auslegung ist dieselbe: Die Gefahr muss unmittelbar drohen, es muss ein angemessenes Mittel sein, das die Gefahr abwenden kann, und die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden. Beide Richter erklärten offen, dass sie die politische Einschätzung der militärischen Lage durch die Beschuldigten nicht teilten, jedenfalls wollten sie keine Rechtfertigung erkennen. In allen vier Fällen fällten sie Urteile, die das Bußgeld eins zu eins bestätigten.
Was ist das Ergebnis solcher Prozesse? Wenn wir die rein juristische Ebene betrachten, müssten wir deprimiert sein: Bisher sind noch alle Verfahren mit einer hundertprozentigen Bestätigung der Strafen oder Bußgelder ausgegangen. Übrigens muss im Bußgeldverfahren nicht einmal eine schriftliche Urteilsbegründung angefertigt werden, es sei denn, die*der Beschuldigte legt Einspruch ein.
Ganz anders sieht es dagegen mit der menschlichen Dimension solcher Verfahren aus. Etwa ein Dutzend Unterstützende saßen bei allen vier Prozessen diszipliniert und aufmerksam im Saal, was einen Richter derartig aus dem Konzept brachte, dass er Mühe hatte, seine Worte zu finden. Die Argumente gegen die Allmacht des militärischen Denkens scheinen allmählich auch im Amtsgericht Bonn angekommen. Beide Richter äußerten ihren Respekt vor der Motivation der Beschuldigten, was allerdings einen zynischen Beigeschmack hat, wenn sich das nicht im Strafmaß niederschlägt. Angesichts der amtlichen Verleugnung des Offensichtlichen sind und bleiben Platzbesetzungen und die Übernahme der Konsequenzen dafür Zeichen, die in die Öffentlichkeit wirken, aber auch der eigenen Vergewisserung dienen: Wir gehen so weit, wie wir irgend können.

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.