Im Oktober 2021 wurde der Wagenplatz im Garten der Köpi, des 1990 besetzten Hauses in der Köpenicker Straße 137 in Berlin-Mitte, trotz vielfältiger Proteste geräumt. Damit wurde ein wichtiger Bestandteil des autonomen Wohn- und Kulturprojekts zerstört. Hätte sich die Räumung des Köpi-Wagenplatzes verhindern lassen? Und welche Perspektiven bieten sich für linke Freiräume? Auf diese Fragen antwortet Peter Nowak in seinem Beitrag für die Graswurzelrevolution. (GWR-Red.)
„Hands of(f) our Homes“ steht in großen Buchstaben an der Häuserwand und auch auf verschiedenen Plakaten rund um die Köpenicker Straße 137 in Berlin-Mitte. Es war das Motto einer Intervention der Künstlerin Frauke Decoodt. Sie hat Postkarten mit dem Motiv gestaltet, die an verantwortliche Berliner Politiker*innen versandt wurden mit der Aufforderung, die Räumung der Wagenburg am Köpi-Areal in letzter Minute zu verhindern. Vergeblich: Am 15. Oktober 2021 wurde der Köpi-Wagenplatz geräumt. Monatelang hatten die Bewohner*innen und ihre Unterstützer*innen die Räumung verhindern wollen. Dabei setzten sie keineswegs auf Konfrontation, sondern forderten die Politiker*innen von Bezirk und Senat dazu auf, die Räumung zu verhindern. Die künstlerische Intervention Frauke Decoodts war nur ein Beispiel.
Tatsächlich gab es von Politiker*innen der Linken Vermittlungsversuche mit dem Eigentümer des Grundstücks. Doch Siegfried Nehls ließ die Verhandlungen platzen und setzte auf die Räumung, die am 15. Oktober 2021 mit einem großen Polizeiaufgebot vollzogen wurde. Es zeigte sich einmal mehr, dass auch unter einer rot-rot-grünen Regierung linke Zentren, Wagenburgen und Wohnprojekte geräumt werden. So wurden in Berlin in den letzten Monaten die linken Kneipen „Syndikat“ und „Meuterei“ sowie das queerfeministische Hausprojekt Liebigstraße 34 und nun auch der Köpi-Wagenplatz geräumt. Nach jeder dieser Räumungen bedauerten Politiker*innen von Linken und Grünen ihre Machtlosigkeit und beteuerten, dass sie die linken Projekte eigentlich unterstützen. Das wurde von vielen außerparlamentarischen Linken als Beispiel für die Perfidie parlamentarischer Politiker*innen interpretiert.
Doch der Vorwurf greift zu kurz, weil dabei oft übersehen wird, dass Politiker*innen im bürgerlichen Staat gar nicht die Möglichkeiten haben, eine gerichtlich angeordnete Räumung einfach zu ignorieren. Regierungen auch mit linken Parteien sind eben an der Regierung und damit noch lange nicht an der Macht. Die bürgerliche Gesellschaft funktioniert gerade deshalb recht reibungslos, weil die drei Machtzentren Regierung, Parlament und Justiz eine reale Autonomie haben. Würde eine dieser Gewalten in den Bereich der anderen eingreifen, indem etwa eine Regierung einen Gerichtsbeschluss zur Räumung ignoriert, wäre eine Verfassungs- und unter Umständen eine Staatskrise die Folge. Die berühmten Stellschrauben, an denen linke Reformist*innen immer wieder gerne drehen wollen, hätten eine Räumung vielleicht verschieben können. Damit hätte es dann noch mehr Zeit für neue Verhandlungen mit dem Eigentümer gegeben. Das wäre vielleicht passiert, wenn in den Tagen vor der Räumung des Köpi-Wagenplatzes große Menschenmengen auf der Straße protestiert hätten. Doch die Teilnehmer*innenzahlen bei den zahlreichen Unterstützer*innendemos im Vorfeld der Räumung blieben im unteren vierstelligen Bereich. Dabei konnte kein ausreichend großer Druck aufgebaut werden, um die Räumung zu verschieben. Den Köpi-Unterstützer*innen blieb dann nur noch, am Abend des 15. Oktober auf der schon vorher angekündigten Tag-X-Demonstration ihre Wut auf der Straße auszudrücken. An der Demoroute gingen einige Fensterscheiben zu Bruch, und auch einige Autos wurden beschädigt. Auch diese Scherbendemonstrationen sind schon ritualisiert. Sie wirken wie das kurze Frustablassen der linken Szene. Danach ist wieder Ruhe, bis die nächste Räumung ansteht.
Köpi – linker Bezugspunkt und Gentrifizierungsbremse
Dabei hätte man gerade bei der Köpi erwarten können, dass die Proteste nach der Räumung des Wagenplatzes länger andauern. Schließlich war sie jahrelang ein Bezugspunkt für Hausbesetzer*innen nicht nur in Berlin. Das Kürzel steht für das Hausprojekt Köpenicker Straße 137. Es wurde im Februar 1990 besetzt. Zu den Squatter*innen gehörten Menschen aus Ost- und Westeuropa. Bald wurde von der Köpi als internationalem Hausprojekt gesprochen. Das markante Gründerzeitgebäude in unmittelbarer Nähe zur Spree fällt schon optisch auf. Besonders die Parole „Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten“, die jahrelang an einer Häuserwand der Köpi prangte, wurde ein sehr beliebtes Postkartenmotiv.
Es zeigte sich einmal mehr, dass auch unter einer rot-rot-grünen Regierung linke Zentren, Wagenburgen und Wohnprojekte geräumt werden. So wurden in Berlin in den letzten Monaten die linken Kneipen „Syndikat“ und „Meuterei“ sowie das queerfeministische Hausprojekt Liebigstraße 34 und nun auch der Köpi-Wagenplatz geräumt.
Die Parole ist dort schon lange nicht mehr zu lesen. Denn die Wand, auf der sie stand, wird verdeckt von zwei Rohbauten, die schon längst in den Zustand der Verwitterung eingetreten sind. Diese modernen Ruinen sind die Spuren von gescheiterten Investor*innenprojekten der 1990er-Jahre. Ihr Bau wurde begonnen in der Hoffnung, dass das Hausprojekt Köpi bald geräumt sein würde. Sie irrten sich: Die Köpi überlebte verschiedene Eigentümer*innen und erhielt 2008 langfristige Verträge. Die Investor*innen der begonnenen Bauten sprangen ab und hinterließen ihre halbfertigen Rohbauten als Zeugnisse ihres Scheiterns. Sie dokumentieren, dass die Köpi eine reale Gentrifizierungsbremse ist. In eines dieser gescheiterten Bauprojekte sollte ein Nobel-Senior*innenwohnheim einziehen. Die langjährige CDU-Politikerin Hanna-Renate Laurien gehörte zu den prominenten Unterstützer*innen. Sie gab sich noch Mitte der 1990er-Jahre überzeugt, ein Senior*innenwohnheim könne auch in der Nachbarschaft der Köpi existieren. Zu einer Probe aufs Exempel ist es freilich nie gekommen, wie die Ruinen zeigten.
Briefkastenfirma mit vielen Klagen
Während die Hausbewohner-*innen durch den 2008 geschlossenen Vertrag bis Ende der 2030er-Jahre gesichert sind, wurde der Wagenplatz mehrmals weiterverkauft und landete schließlich bei Startezia GmbH, bei der es sich nach Recherchen der Tageszeitung taz um eine Briefkastenfirma handelt, hinter der die Sanus AG mit ihrem Geschäftsführer Siegfried Nehls steckt, über den es einige Recherchen gibt. Ihm wurde vorgeworfen, für mehrere Bauprojekte in Berlin so genannte Generalunternehmer beauftragt zu haben, die wiederum kleinere Handwerksbetriebe als Subunternehmer beauftragten. Nach Beendigung der Bauarbeiten gingen die „Generalunternehmer“ jedoch jedes Mal in Konkurs. Daher wurden die Handwerksbetriebe größtenteils nicht bezahlt. Nehls wurde unter anderem ab August 2015 vor dem Landgericht Berlin wegen Titelmissbrauchs und Urkundenfälschung angeklagt. Im Jahr 2019 zeigte die Stadt Zossen ihn an, weil Nehls zusammen mit zehn Firmen derzeit 3,2 Millionen Euro Steuerschulden in der Stadt mit der niedrigsten Unternehmenssteuer in Deutschland hat. Verursacht wurden diese Schulden durch mehrere Firmen, an denen die Sanus AG und die Sanus Bauträger GmbH & Co. KG Anteile besitzen. Diese Firmen sind in Zossen gemeldet und haben keine Gewerbesteuer gezahlt; teilweise sind sie insolvent. (1)
Solidarische Nachbar*innenschaft statt autonomer Freiräume
Nun drängt sich da natürlich die Frage auf, warum es den Köpi-Bewohner*innen trotz ihrer Organisierungsprozesse nicht gelungen ist, gegen einen Siegfried Nehls den Konflikt zu gewinnen. Doch diese Frage verweist auf ein tieferes Problem, das in einem im libertären Untergrundblättle veröffentlichten Beitrag im November 2020 thematisiert wurde. (2) Die Verfasser*innen fragen sich, warum die Taktik der Autonomen, durch die Androhung hoher Sachschäden Räumungen zu verhindern, in letzter Zeit nicht mehr zieht. Sie kommen zu der Antwort, dass ein zentraler Grund die Verschleierung der Eigentumsverhältnisse in der Immobilienwirtschaft ist. Die Autor*innen des Textes vermuten, dass Investor*innen wie Nehls eine politische Agenda haben und bewusst linke Projekte vertreiben wollen. Sie stellen die Frage: „Bereits jetzt boomen in Wedding die Luxusobjekte für die zuziehenden Mittel- und Oberschichten, in wenigen Jahren wird auch das abgelegene Schöneweide und vergleichbare Gegenden gentrifiziert, warum muss vorher so ein Flecken wie der Köpi Wagenplatz dran glauben?“ Das Fazit der Autor*innen lautet, das Konzept der Autonomen, mit der Drohung von hohen Sachschäden in der Stadt die Räumung linker Projekte zu verhindern, sei aktuell gescheitert.
Sie schlagen dagegen eine Orientierung weg vom autonomen Freiraum vor. Stattdessen sollen sich linke Zentren in den Stadtteilen und Kiezen Anerkennung verschaffen und sich mit anderen sozialen Projekten vernetzen. Diese Idee setzt z. B. das Projekt „Neue Solidarität in den Städten“ um, das in den letzten Jahren besonders in einigen Berliner Stadtteilen gut funktioniert. Genannt werden sollen da Initiativen wie „Hände weg vom Wedding“, die bereits zehn Jahre besteht, aber auch der im letzten Jahr eröffnete Kiezladen Sonnenallee 154 in Berlin-Neukölln. Solche Einrichtungen legen den Schwerpunkt auf die Organisierung der solidarischen Nachbar*innenschaft, die in Berlin nicht zu übersehen ist. Ob es sich um einen Spätkauf, eine Pizzeria, eine Kita oder ein Kino handelt – die Menschen gehen auf die Straße und protestieren, wenn solche Einrichtungen, die sie täglich besuchen, verschwinden sollen. Es verging in den letzten Jahren keine Woche, in der nicht in Berlin für den Erhalt solcher Projekte demonstriert worden wäre. Der Köpi-Wagenplatz wäre dann eines dieser Projekte gewesen. Dass die Räumung vieler linker Zentren nicht mehr zu verhindern war, sollte die Orientierung auf die Organisierung einer solidarischen Nachbarschaft verstärken.
(1) Siehe: https://taz.de/Koepi-Wagenplatz-vor-Raeumung/!5804468/
(2) Siehe: https://www.untergrund-blättle.ch/politik/deutschland/berlin-raeumungen-friedel54-syndikat-liebig34-6287.html
Der Autor hat 2019 zusammen mit dem Filmemacher Matthias Coers das Buch „Umkämpftes Wohnen – Neue Solidarität in den Städten“ im Verlag Edition Assemblage herausgegeben.
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.