Die Proteste gegen Corona-Maßnahmen werden immer stärker und die Coronaleugner:innen lauter. Warum sind so viele Frauen Teil dieser Bewegung? Und welche Rolle spielen sie dabei? Auf diese Fragen antwortet in der Graswurzelrevolution Hanna Sophie Brögeler. (GWR-Red.)
Seit Beginn der Corona-Pandemie spielen Frauen in den Protesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie eine zentrale Rolle. 2020 wurde im Rahmen des Forschungsprojekts „Politische Soziologie der Corona-Proteste“ (1) am Institut für Soziologie an der Universität Basel unter der Leitung von Prof. Dr. Oliver Nachtwey, Dr. Robert Schäfer und Dr. Nadine Frei festgestellt, dass 60 % der Teilnehmenden an Protesten gegen die Corona-Maßnahmen Frauen (2) sind. Den Ergebnissen lässt sich entnehmen, dass die Sorge um eigene Kinder, eine allgemeine Verschwörungsmentalität und esoterisches Denken eine Rolle spielen. Generell wird bei rechten Einstellungen und rechten Handlungen seit einigen Jahren generell ein deutlicher Anstieg der Frauenquote beobachtet. (3) Die empirische Forschungslage der sehr heterogenen Bewegung um die Corona-Proteste ist bisher dünn, dennoch wirft dieser Artikel einen Blick auf „weibliche“ (4) Geschlechtsspezifika, die in den so genannten Corona-Protesten auftreten, und stellt diese in ideologischen Kontinuitäten dar.
Sozialpsychologisch betrachtet stellt sich die Frage, ob bestimmte Bedürfnisse in der Bewegung gegen die Corona-Maßnahmen bei Frauen stärker befriedigt werden als bei Männern und um welche es sich dabei handelt. (5)
Frauensache?
Einige Frauen hatten medial große Reichweite als Identifikationsfiguren der Corona-Proteste erlangt. Im Vorlauf zu diesem Artikel wurden mehrere Frauen, die medial eine wichtige Rolle in der Corona-Protestbewegung eingenommen haben, systematisch untersucht und analysiert. Die Erkenntnisse fließen beispielhaft ein. Eva Herman beispielsweise, die als „Ikone der Verschwörungsszene“ (6) betitelt wurde, betreibt einen Telegram-Kanal mit 181.675 Follower:innen. (7) Zum Vergleich: Der Kochbuchautor Attila Hildmann hat lediglich 88.479 (Mai 2021). Hermans Telegram-Kanal zeichnet sich durch einen parasozialen Charakter aus. Herman betont ihren christlichen Glauben, gibt sich privat, zeigt Abendgebete und Bilder aus ihrem Garten. Die Follower:innen können sich ihr nahe fühlen, während sie Nachrichten weiterleitet und dabei einen wissenschaftlichen, investigativen Eindruck wahrt.
Dass die Betonung der Mutterrolle ein zentrales Thema ist, deckt sich auch mit den Ergebnissen der Studie aus Basel. Der Schutz von Familie und Kindern geht mit der Identifikation eines mystifizierten Bildes der Mutter einher. Beispielsweise Carola Javid-Kistel, die als „prominente Szeneärztin“ gilt, identifiziert sich stark mit einer Mutterrolle und instrumentalisiert diese für politische Ziele. Es geht dabei mehr um die Bekämpfung einer Bedrohung von außen als um tatsächliche Bedürfnisse oder Wünsche von Kindern. In diese Inszenierung ist ein aggressiver Wunsch nach Handlungsmacht integriert in der Form, Kinder, Familie und Volk schützen zu können. Dieses aktive Greifen nach Macht könnte als Emanzipationsstreben gedeutet werden. In diesem Streben steckt allerdings auch der regressive Wunsch nach Rückkehr in einen imaginierten statischen Ursprungszustand eindeutiger Geschlechterverhältnisse: Mann und Frau.
Margarete Schlüter sieht in dem Artikel „Wir sind tief verwurzelt mit der Erde“ auf der Seite des Magazins „Der rechte Rand“ (8) die Motivation von Frauen in der Coronaleugner:innen-Szene maßgeblich darin, dass sich Frauen durch viele Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie an ihren traditionell-patriarchal zugeschriebenen Pflichten als Frau gehindert sehen. Beispielsweise die Sorge um die Familienangehörigen, aber auch die Wahrung einer Reinheit und Naturverbundenheit, die in esoterischen Ideologien der Frau zugeschrieben werden. Schlüter spricht von einer Verteidigung der privaten Sphäre, die weitestgehend der „weiblichen Verantwortung“ zugeschrieben wird. Die Frauen wollen den ihnen zugeordneten Bereich vor den scheinbar unnatürlichen Eingriffen des Staates verteidigen.
Rechtsextremismus
Bereits vor der Corona-Pandemie ist die Quote der rechten Akteurinnen signifikant angestiegen. (9) Mit dem Coronavirus kam ein Thema dazu, das den Zulauf erleichterte, weil es Anknüpfungspunkte für typisch „weibliche“ Themen bot. Herman beispielsweise begann sich vor mehr als einem Jahrzehnt zu radikalisieren. Bereits vor der Corona-Protestbewegung galt sie als Galionsfigur der rechten und extrem rechten Szene für Mutterschaft.
Antisemitische Elemente sind konstitutiv für das Weltbild, das in der Corona-Protestbewegung bei allen Differenzen einen zentralen Bezugspunkt darstellt.
Eine neuere Studie zu den „Quellen des ‚Querdenkertums‘ “, (10) ebenfalls vom Forscher:innen-Team um Prof. Dr. Oliver Nachtwey und Dr. Nadine Frei, stellt fest, dass es sich um Bewegungen handelt, die teilweise eher von links kommen, sich aber nach rechts bewegen. So sind die Verwebungen mit der rechten Szene und extrem rechten Einstellungen immer wieder zu markieren und deutlich herauszuarbeiten, um einen Rechtsruck wenigstens sichtbar zu halten. Erica Zingher warnt in ihrer taz-Kolumne, dass ein Gewöhnungseffekt bezüglich Querdenker:innen und Coronaleugner:innen eingetreten sei. (11) Auch Linken-Bundesvize Martina Renner äußert, es habe eine „fatale Verharmlosung der Coronaleugner*innen“ gegeben. (12) Ein Moment, das häufig innerhalb der politischen Ansichten zu finden ist, ist die Bereitschaft zu Shoah- und Holocaust-Relativierungen als Argumentationsinstrument.
Kurt Möller, Rechtsextremismusforscher, analysiert die Rollen und Funktionen von Frauen in der rechten Szene. Dabei bekleiden sie meistens eher Randpositionen, diese sind aber von wichtiger Bedeutung. (13) Sie haben Aufgaben der Vernetzung, der Kommunikation und Organisation und schlichten Konflikte. Insgesamt sorgen sie für Harmonie innerhalb der Szene. Im Hintergrund stehe noch das Bild des Krieges, in dem die Männer aus der Schlacht kommen und von den Frauen verpflegt werden. (14)
Bei Eva Herman und Carola Javid-Kistel werden genau diese Funktionen für die Corona-Protestbewegung sichtbar, es wird viel organisiert, vernetzt und vermittelt, Seminare in Kanada als „sicherem Raum“ angeboten etc. Möller assoziiert eine Form von Emanzipation, die den Frauen sonst verwehrt bliebe, die Frauen eigneten sich dabei oftmals eine Kopie von Männlichkeitsverhalten an, sie wollen kämpfen „wie ein Mann“. Die Basler Studie (15) belegt, dass sich Corona-Kritiker:innen in ihrer Selbstwahrnehmung als mutige Widerstandskämpfer:innen sehen. Dennoch kann nicht von Emanzipation gesprochen werden; die Frauen kämpfen in einer Bewegung, in der sie immer Objekt bleiben werden. Bezugnahmen rechter und rechtsextremer Bewegungen auf gesellschaftliche Missstände müssen registriert werden, gleichzeitig dürfen sie nie Rechtfertigungen für rechte oder rechtsextreme Handlungen bieten.
Esoterik
Deutlich erkennbar sowohl in den Bildern von den Straßenprotesten als auch in den ersten Studien zur Corona-Protestbewegung sind esoterische Elemente und Grundeinstellungen. Esoterische Strömungen gelten im Einklang mit den traditionellen Bildern von Weiblichkeit beinahe als contra-aggressiv. In den Argumentationsmustern der Bewegung finden sich typische esoterische Themen wie die Angst vor einem Impfzwang, der Dualismus von Natur und „Unnatürlichem“ oder Genmanipulation, welche zur Kontrolle des Volkes eingesetzt würde. (16) Wie Marius Hellwig von der Amadeo-Antonio-Stiftung beobachtet, lässt sich „im Kontext von Corona die klassische esoterische Sicht auf Krankheiten finden: die Annahme, dass es überhaupt keine Virenerkrankungen gäbe, sondern Krankheiten in erster Linie Ausdruck von inneren Konflikten oder schlechten Gedanken seien“. (17) Javid-Kistel ist ein Paradebeispiel für eine Impfgegnerin, die sich im Kontext von Corona radikalisiert hat, nun mit rechten Redner:innen auftritt und selbst extrem rechtes Gedankengut verbreitet. 2020 erschien ihr Buch „Krank geimpft“, in dem sie konstatiert, dass Impfen vor allem ein Riesengeschäft der Pharmaindustrie sei, und sie ist weiterhin davon überzeugt, dass alle Menschen durch Impfungen sterben würden.
Antisemitismus
Antisemitische Elemente sind konstitutiv für das Weltbild, das in der Corona-Protestbewegung bei allen Differenzen einen zentralen Bezugspunkt darstellt. Laut Katharina Nocun und Pia Lamberty gelten Verschwörungserzählungen als Träger der Corona-Proteste. (18) Verschwörungserzählungen sind im Kern antisemitisch (19) und meist angelehnt an das wohl bekannteste „Gerücht über die Juden“, die Erzählung über die Protokolle der Weisen von Zion. (20) Elemente dieser ursprünglichen antisemitischen Erzählungen tauchen immer wieder in den Argumentationsmustern auf. Im Gegensatz zu Akteuren wie Attila Hildmann, der sehr offen gegen Juden:Jüdinnen hetzt, ist der Antisemitismus bei den untersuchten Frauen subtiler, weshalb sich wieder die Frage nach einer „weiblichen“ Spezifik stellt.
Ljiljana Radonić, die sich auf die Kritische Theorie bezieht, stellt in Untersuchungen zu „weiblichem“ Antisemitismus fest, dass projizierte Inhalte, die bei sich selbst nicht zugelassen werden können, gemäß den Geschlechterrollen differieren. (21) Männern wird die Aggression im Allgemeinen zugestanden, einem Teil ihrer Aggressionen können sie ohne gesellschaftliche Sanktionen freien Lauf lassen. (22) Frauen dagegen werden Aggressionen kaum zugestanden, umso befreiender ist es dann für sie, sie an gesellschaftlich anerkannten Out-Groups auszulassen.
Die starken aggressiven Bezüge auf den Nationalsozialismus wie die Aussagen David-Kistels, die vom Impfen als „geplantem Völkermord“ oder der Aufforderung zum Impfen als „Holocaust“ spricht, womit sie aktuelle Ereignisse mit der Verfolgung und Ermordung von Ju-den:Jü-din-nen gleichsetzt, zeigen einen virulenten Schuldabwehr-Antisemitismus. So bleibt es wichtig, spezifisch „Weibliches“ auch in der Aufarbeitung des Nationalsozialismus zu thematisieren – in den Kontinuitäten der Geschichte und in unseren persönlichen Biografien. Denn es zeigen sich Kontinuitäten zu Täterinnen-Debatten zum Nationalsozialismus. Es hat sehr lange gedauert, bis Frauen nicht nur als Opfer des Patriarchats begriffen, sondern eben auch als Täterinnen benannt wurden.
Und jetzt?
Die Netzwerke, die sich während der Zeit der Corona-Pandemie in Stellung gebracht haben, werden sich, auch falls Corona abebbt, nicht auflösen. Das Klischee der eher friedlichen oder friedfertigen Frau (23) hat an Aktualität kaum eingebüßt. Frauen in der extremen Rechten werden nicht als die politische Bedrohung erkannt, die sie sind. (24) Das trifft auch für die Corona-Protestbewegung zu. Diese Klischees wirken und werden sich auch zunutze gemacht. Gerade weil die Gesellschaft noch so denkt, profitieren generell alle rechten Bewegungen von einem höheren Frauen-Anteil, der ihnen mehr gesellschaftliche Akzeptanz bringt. Nachtwey, Frei und ihr Team beobachten in Baden-Württemberg eine Radikalisierung auch der politischen Mitte: „Da kommen quasi linke kulturelle Merkmale mit rechter Politisierung zusammen, und das macht diese extrem toxische Mischung der Impfverweigerung gerade aus“, sagte der Soziologe Nachtwey. Sachliche Aufklärung sei bei den Maßnahmenkritiker:innen „relativ wirkungslos“. (25)
Solange die Gesellschaft patriarchal strukturiert ist, wird es geschlechtsspezifische Sozialisierung geben. Rechtsextreme Bewegungen haben sich stärker verwoben mit der akademischen Mittelschicht. Dazu haben Frauen einen nicht geringen Teil beigetragen, den es weiter zu beforschen gilt, gerade weil sich der Mythos der friedfertigen Frau noch lange halten wird.
(1) Politische Soziologie der Corona-Proteste: https://idw-online.de/de/attachmentdata85376
(2) „Frau“ wird im Beitrag als gesellschaftliche Kategorie der Erfahrung und nicht als natürlich verstanden.
(3) Juliane Lang: Zwischen Tradition und Moderne. Frauen in neuen rechten Gruppierungen, In: Autoritäre Dynamiken. Alte Ressentiments – neue Radikalität, ed. by Elmaar Brähler/Oliver Decker. Gießen: Psychosozial-Verlag, 2020. Und https://www.fluter.de/frauen-im-rechtsextremismus (Letzter Zugriff 20.8.2021).
(4) Während es sich bei Geschlecht immer auch um eine sozial vermittelte Konstruktion handelt, kann in diesem Rahmen ein vereinfachtes Verständnis von Geschlecht als binär angewendet werden, da diese Perspektive den konservativen Welterklärungsmodellen der untersuchten Gruppe immanent ist.
(5) Hier möchte ich erneut darauf hinweisen, dass „Frau“ und „Mann“ als gesellschaftliche Kategorien begriffen werden, die nicht natürlich sind.
(6) https://www.tagesspiegel.de/politik/eva-
herman-wie-sie-zur-ikone-der-verschwoerungsszene-wurde/26038012.html
(7) Stand April 2021.
(8) https://www.der-rechte-rand.de/archive/
7944/verwurzelt-mit-der-erde-frauen/
(9) Juliane Lang: Zwischen Tradition und Moderne. Frauen in neuen rechten Gruppierungen. In: Autoritäre Dynamiken. Alte Ressentiments – neue Radikalität, ed. by Elmaar Brähler/Oliver Decker. Gießen: Psychosozial-Verlag, 2020.
(10) https://boell-bw.de/de/2021/11/19/quellen-des-querdenkertums-eine-politische-soziologie-der-corona-proteste-baden
(11) Erika Zingher, https://taz.de/Querdenker-und-Coronaleugner/!5815542/
(12) https://taz.de/Vorfall-an-Tankstelle-in-Idar-Oberstein/!5802559/
(13) Möller: https://www.youtube.com/watch?
v=hWxnJfOdsS0 (Letzter Zugriff: 2.7.2021).
(14) Ebd.
(15) https://taz.de/Studie-zu-Querdenken-in-BaWue/!5816872/
(16) Marius Helman, Amadeo-Antonio-Stiftung: https://www.rnd.de/panorama/esoteriker-auf-
corona-demos-tanzende-hippies-neben-rechtsextremen-und-verschworungstheoretikern-was-will-sie-esoterikszene-QMRYIWRQLNCP5N5GGWMK7V53LM.html
(17) Ebd.
(18) Katharina Nocun/Pia Lamberty: Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen, Berlin: Quadriga, 2020
(19) Christine Kirchhoff: „Das Gerücht über die Juden“. Zur (Psycho-)Analyse von Antisemitismus und Weltverschwörungsideologie. In: Wissen schafft Demokratie 2020, ed. by Schriftenreihe des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft, Bd. 8, 2020
(20) Ebd.
(21) Ljiljana Radonić: Die friedfertige Antisemitin reloaded. Weibliche Opfermythen und geschlechtsspezifische antisemitische „Schiefheilung“ (Vorlesungen des Centrums für Jüdische Studien). Graz: Clio, 2020. S. 49.
(22) Ebd. S. 49.
(23) Margarete Mitscherlich: Die friedfertige Frau: Eine psychoanalytische Untersuchung zur Aggression der Geschlechter (Die Frau in der Gesellschaft), Frankfurt: Fischer, 1987.
(24) Juliane Lang: Zwischen Tradition und Moderne. Frauen in neuen rechten Gruppierungen. In: Autoritäre Dynamiken. Alte Ressentiments – neue Radikalität, ed. by Elmaar Brähler/Oliver Decker. Gießen: Psychosozial-Verlag, 2020.
(25) https://taz.de/Studie-zu-Querdenken-in-BaWue/!5816872/
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.