Daniel de Roulet: Zehn unbekümmerte Anarchistinnen. Roman. Übersetzt von Maria Hoffmann-Dartevelle, Limmat Verlag, Zürich 2018, 182 Seiten, 24 Euro, ISBN 978-3-85791-839-1
Der neue Roman von Daniel de Roulet, einem Autor aus der französischsprachigen Schweiz, erinnert an die europäischen AuswanderInnen Mitte des 19. Jahrhunderts: „Zehn unbekümmerte Anarchistinnen“.
Es geht um den Mut der Frauen, um die Verzweiflung aber auch die Hoffnungen und die Lust, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen.
In zehn Kapiteln werden die Abenteuer und der „Existenzkampf in der Fremde“ von acht Frauen samt Kindern erzählt. Sie wanderten auf den Spuren von zwei Frauen, die sich zuvor sauf den Weg nach (Süd-)Amerika machten, um dort ein neues Leben aufzubauen, welches glücklicher und reicher sein sollte als jenes arbeitsreiche und mühevolle Leben im Schweizer Jura. Dieses neue Leben sollte aber auch anarchistisches Leben sein.
Daniel de Roulet, geboren 1944 in Genf, gehört in den frühen 1980er Jahren zum Umkreis der Zürcher HausbesetzerInnenszene und beginnt seine schriftstellerische Karriere u.a. mit P.M. und Thomas Geiger im Umfeld des Paranoia City Buchladen und Verlags. Nachdem er als Architekt und Informatiker gearbeitet hat, ist er seit 1997 als freier Schriftsteller tätig. In seinen Romanen und Essays, die in Frankreich und der französischen Schweiz wesentlich bekannter sind als im deutschen Sprachraum, ist eine gewisse libertäre Grundhaltung erkennbar.
Als historisches Datum setzt de Roulet 1872, als Bakunin, Malatesta u.a. in St. Imier Vorträge hielten, die auch unsere Roman-Heldinnen besuchten. Malatesta, der hier als „Benjamin“ auftritt, begleitet die Frauen durch Briefkontakt auf ihrer Auswanderung nach Patagonien, einem anarchistischen Experiment auf der Robinson Crusoe-Insel, über Tahiti zurück nach Argentinien, bzw. Buenos Aires. Mit allen Höhen und Tiefen dieses jahrzehntelangen Umherwanderns, wo Kinder geboren werden und andere sterben, mit wechselnden Begleitern und immer auf der Suche nach einem selbstbestimmten Leben, der „Liquidation der patriarchalen Gesellschaft“ nach „Liebe und ein bisschen Anarchie“.
Interessant sind für mich die Parallelen zur heutigen Zeit mit ihren sogenannten „Wirtschaftsflüchtlingen“. Gründe für AuswanderInnen damals waren nicht nur politisch oder religiös, sondern vor allem auch die Suche nach einem anderen Leben, welches in der Fremde versprochen wurde. Oder: Eine Witwe mit zwei Kinder, die durch die Gemeinde unterstützt wurde, sollte ausreisen und nie wieder kommen. Die Gemeinde fand es einfacher der Frau und ihren Kindern eine Passage nach Südamerika zu bezahlen, als ein Leben lang zu finanzieren – Abschiebung mal anders.
Der Roman ist ein Dokument, geschrieben aus der Perspektive der Protagonistin Valentine Grimm und geprägt durch einfache Schilderungen der Ereignisse. Schnörkellos geht es um Liebe, Sehnsucht und Anarchie. Jahrzehnte des Existenzkampfes werden auf relativ wenigen Seiten im Parforceritt abgehandelt. An manchen Stellen irritierte es mich, dass de Roulet aus der Sicht einer Frau schrieb, und nicht etwa aus der Sicht eines der männlichen Kinder, die die „unbekümmerten Frauen“ begleiteten. Aber alles in allem ist es ein kurzweiliger Roman über die Suche nach der Anarchie, einer Freiheit für alle und dem Wunsch nach schöneren Kleidern. Das sollte kein Widerspruch sein.
Zurück bleibt ein Gefühl vom Mut der selbstbewussten Frauen, die nichts zu verlieren, aber reichlich zu gewinnen hatten.