Richard Stoenescu: Syndikalismus in Deutschland und den USA, 1897–1937, Metropol-Verlag, Berlin 2021, 580 Seiten, 34,00 Euro, ISBN 978-3-86331-611-2
Der Anarchismus und der Syndikalismus erleben in den letzten zwanzig Jahren eine unerwartete Konjunktur in der historischen Forschung. Nicht weniger als drei Handbücher über Anarchismus erschienen jüngst in renommierten anglo-amerikanischen Wissenschaftsverlagen. Diesem Trend folgt auch das Promotionskolleg „Geschichte linker Politik in Deutschland jenseits von Sozialdemokratie und Parteikommunismus“, in dem die Arbeit von Richard Stoenescu gefördert wurde.
Schwerpunkt auf FAUD und IWW
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) und den Industrial Workers of the World (IWW) als „zwei maßgeblichen syndikalistischen Organisationen und deren Beziehungen zueinander als Teil der Arbeiterbewegung“ (S. 19). Die Bedeutung der beiden Organisationen begründet er nur knapp und vage mit deren Einfluss auf „die syndikalistische Strömung“ und der herausragenden Rolle der FAUD in der anarchosyndikalistischen Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA).
Drei Fragen, „die in syndikalistischen Organisationen immer wieder zur Debatte gestellt wurden“ (S. 27), stehen im Zentrum seiner Studie: Die „Diktatur des Proletariats“, die Stellung zu den politischen Parteien und das Verhältnis zwischen Führung und Basis. In den ersten drei Kapiteln behandelt er die Anfänge des Syndikalismus in Deutschland und den USA sowie die Entstehung und die Entwicklung der IWW von 1905 bis 1917. Im vierten Kapitel analysiert er den Aufstieg der FAUD zur Massenorganisation nach 1918 und „ihre Abspaltungen im deutschen Syndikalismus“. In den folgenden drei Kapiteln untersucht Stoenescu die weitere Entwicklung der FAUD und der IWW bis in die 1930er-Jahre sowie deren internationale Verbindungen. Die FAUD hatte einen starken Einfluss auf die IAA, zum einen, weil das Sekretariat bis 1933 seinen Sitz in Berlin hatte, zum anderen, weil Rudolf Rocker, der die Gründung der IAA organisatorisch und inhaltlich maßgeblich beeinflusste, in der Zwischenkriegszeit zur unangefochtenen Autorität und Integrationsfigur des internationalen Anarchosyndikalismus avancierte. Die IWW schloss sich weder der kommunistischen Roten Gewerkschafts-Internationale (RGI) noch der IAA an; mit Ausnahme der IWW-Seeleute, der Marine Transport Workers Industrial Union (MTWIU), die in mehreren Ländern Europas und Südamerikas Ableger hatte und sich 1935 der IAA anschloss.
Kaum neue Erkenntnisse
Die Ergebnisse von Stoenescus Arbeit sind insgesamt ein wenig enttäuschend. Im Wesentlichen fasst er die Literatur über die beiden Organisationen zusammen und analysiert deren Broschüren und Zeitungen.
Dabei kommt er aber nicht wirklich zu neuen Erkenntnissen. Dies hat auch etwas mit seinem organisations- und ideengeschichtlichen Ansatz zu tun. Aus sozialgeschichtlicher Perspektive, d. h. von ihrer sozialen Basis und ihren Aktionsformen, unterschieden sich die IWW und die FAUD in ihrer Hochphase keineswegs so stark, wie dies aus ideologischer Perspektive erscheint. Und in einer weiten Definition des Syndikalismus, den Stoenescu in seiner Einleitung verwendet, ist für die Leser*innen nicht klar erkennbar, warum er seine Untersuchung weitgehend auf die FAUD konzentriert und die FAU Gelsenkirchener Richtung sowie die Allgemeine Arbeiter-Union (AAU) als „Abspaltungen“ bezeichnet. Dies gilt nur eingeschränkt für die FAU Gelsenkirchener Richtung, aber keineswegs für die AAU.
Nicht vergessen werden darf, dass der Ideentransfer zwischen den deutschen Syn-dikalist*innen und der IWW, der „weitaus geringer ausfiel, als man in Bezug auf die internationale Vernetzung annehmen konnte“ (S. 539), vor allem über ehemalige Migranten und Seeleute, die der AAU nahestanden, lief – wenn man von den syndikalistischen Konferenzen anlässlich der Konferenzen der RGI und der IAA absieht. Der Hamburger Kommunist Fritz Wolffheim, der vor dem Ersten Weltkrieg als Migrant in den USA Mitglied der IWW wurde, bezog sich in einem Vortrag 1919 – entgegen Stoenescus Darstellung (S. 533) – ausdrücklich auf die IWW. Diese habe „schon vor Jahren diese Form der Organisation gefunden und die Methoden (…) angewandt, die uns heute als neu erscheinen“ (1). Der AAU-Aktivist Paul Mattick, der 1925 in die USA emigriert war, initiierte 1928 eine Debatte zwischen der AAU und der IWW (S. 455–467). In Stettin wurde 1923 eine Seeleutegruppe der IWW gegründet, die sich später auf andere Hafenstädte ausdehnte. Deren Gründer Otto Rieger hatte, wie nicht wenige deutsche Seeleute, vermutlich schon vor 1918 Kontakte zur IWW.
Stoenescu geht sehr ausführlich auf die Arbeit des Syndikalistischen Frauenbundes ein. Es fehlt leider ein entsprechender Abschnitt über Frauen in der IWW. Eine vergleichende Untersuchung über Geschlecht und Syndikalismus, die in der internationalen Diskussion seit Jahren geführt wird, hätte neue Perspektiven eröffnen können.
(1) Fritz Wolffheim: Betriebsorganisation oder Gewerkschaft, Hamburg 1919