Interview

„Die dritte Revolution in der Kriegsführung“

Kampagne gegen autonome Waffensysteme

| Interview: Silke

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Friedensroboter David Wreckham bei einer Aktion gegen autonome Waffensysteme - Foto: Michael Schukze von Glaßer, DFG-VK

Die Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsgegnerInnen (DFG-VK) engagiert sich in den Kampagnen gegen „Killer-Roboter“ – autonome Waffensysteme, die selbstständig morden. Über den Ausbau dieser neuen Kriegstechnologie und mögliche Gegenstrategien sprach die Graswurzelrevolution mit Marius Pletsch vom DFG-VK-Bundessprecher*innenkreis. (GWR-Red.)

Graswurzelrevolution: Ihr seid Teil der Initiative „Killer-Roboter stoppen!“ und der internationalen Kampagne „Stop Killer Robots“. Was genau ist darunter zu verstehen, und sind solche Waffensysteme schon im Einsatz?

Marius Pletsch: In der internationalen Kampagne „Stop Killer Robots“ verfolgen mehr als 180 Organisationen aus 66 Ländern ein gemeinsames Ziel: Mit einem völkerrechtlich verbindlichen Instrument autonome Waffensysteme zu verbieten und den Einsatz von Autonomie in Waffensystemen zu regulieren. Verbieten wollen wir vor allem Systeme, die unberechenbar wären, und solche, die sich gezielt gegen bestimmte Menschen oder ganze Menschengruppen richten könnten, z. B. aufgrund von Hitzesignatur, Gesichtserkennung oder sonstigen biometrischen Informationen.
Bislang konnte sich die internationale Staatengemeinschaft nicht auf eine Definition von autonomen Waffensystemen einigen. Oft herangezogen wird die Definition des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, wonach ein Waffensystem dann autonom ist, wenn es ohne menschliche Kontrolle Ziele selbstständig auswählen und bekämpfen kann. Genau genommen gibt es solche Systeme schon seit Jahrzehnten, z. B. in Form von Luftabwehrwaffen oder so genannten fire-and-forget-Raketen wie der vom deutschen Rüstungsunternehmen MBDA hergestellten Brimstone, die sich auch anhand von Radarsignaturen selbstständig ein Ziel aussuchen kann, nachdem sie abgefeuert wurde. Aber Autonomie ist seit mehreren Jahren in immer mehr Waffensysteme integriert worden und eben auch in den so genannten kritischen Funktionen, also der Zielsuche, -identifikation und -bekämpfung.
Für Aufsehen hat zuletzt ein Bericht des UN-Sonderberichterstatters für Libyen von 2021 gesorgt. Darin wird der – laut Bericht – erste Einsatz eines autonomen Waffensystems beschrieben. Eine Kargu-2-Drohne des türkischen Herstellers STM habe ohne eine bestehende Datenverbindung selbstständig Ziele verfolgt. Der Bericht bleibt bei wichtigen Details unklar, z. B. ob bei dem Einsatz Menschen zu Schaden kamen. Aber der Bericht ist ein klarer Weckruf: Lange darf die internationale Staatengemeinschaft mit einem Verbot nicht mehr warten.

Mit autonomen Waffensystemen wird die Kriegsführung nochmals massiv verändert. Was sind eure zentralen Kritikpunkte daran?

Autonomie in Waffensystemen wird als dritte Revolution in der Kriegsführung beschrieben, nach dem Schießpulver und den Nuklearwaffen. Dementsprechend sehen wir auch jetzt schon einen enormen Rüstungswettlauf bei der Technologie. Autonomie in Waffensystemen droht die internationale (In-)Stabilität noch weiter ins Wanken zu bringen. Ein enormes Risiko würde die weitere Integration in die nuklearen Kommando- und Kontrollstrukturen sowie in die Trägersysteme der Atommächte bringen. Die Großmächte rüsten weiter auf, auch um Vorwarn- und Reaktionszeiten weiter zu reduzieren. Riskiert werden so genannte Flash-Wars, in denen algorithmisierte Systeme so schnell aufeinander reagieren, dass die Situation eskaliert. Wir kennen das schon von den Flash-Crashes an der Börse, nur dass hier dann kein Geld vernichtet wird, sondern Menschenleben.
Das zentrale Argument ist aber ein Ethisches: Es ist eine eklatante Verletzung der Menschenwürde, wenn Menschen zu Datenpunkten reduziert und auf Basis von eben diesen Datenpunkten 
von einem Algorithmus angegriffen und getötet werden können. Maschinen können den Wert eines Menschenlebens nicht erfassen und dürfen deswegen niemals in die Lage kommen, über Leben und Tod entscheiden zu können.

Die Kampagne „Stop Killer Robots“ verweist auf die enge Verknüpfung mit rassistischen und patriarchalen Mustern. Kannst du dazu etwas sagen?

Neben dem fundamental ethischen Grund von gerade kommt auch noch ein praktischer hinzu: Die Technologie ist – anders als oft suggeriert wird – weder unvoreingenommen noch fair. Algorithmen werden von Menschen programmiert, die ihren jeweiligen Bias und ihre Prägung mitbringen. Hinzu kommt, dass die Systeme anhand von Daten lernen müssen. Dafür werden Datensets verwendet, die in rassistischen und patriarchalen Gesellschaften wie der unsrigen zustande gekommen sind. So werden Repression und Ungleichheit fortgesetzt oder gar verschlimmert. Wir sollten vorhandene gesellschaftliche Probleme und die Strukturen, die diese 
erlauben und erhalten, erkennen, getanes Unrecht aufarbeiten, alles dafür tun, damit dieses nicht fortgesetzt, sondern eine bessere Zukunft möglich wird. Das erreichen wir nicht, wenn diese Technologie in Waffen integriert wird. Die Folge wäre die digitale Dehumanisierung.

Mitte Dezember 2021 hat die UN-Waffenkonvention CCW einen sehr fragwürdigen „Kompromiss“ formuliert. Was genau beinhaltet diese Vereinbarung? Und wie ist die Position der Bundesregierung dazu?

Es ging bei der Überprüfungskonferenz der CCW im Dezember um die Annahme des Berichts der Gruppe der Regierungsexpert*innen und das Mandat für die Gruppe für das kommende Jahr. Durch die Entscheidung bleibt die Gruppe im Gesprächsmodus, es wird keine Verhandlung für ein neues Protokoll aufgenommen. Aber der Einstieg in Verhandlungen ist dringend geboten. Die Entwicklung von riskanten Waffensystemen schreitet in rasantem Tempo voran, während die Diplomatie auf der Stelle tritt und von einigen wenigen Staaten in Geiselhaft genommen wird. Ein Verhandlungsmandat scheint derzeit aufgrund des Widerstands einiger weniger hochmilitarisierter Staaten und des ad absurdum geführten Konsensprinzips der CCW für die kommenden Jahre unerreichbar. Doch die CCW ist nur eines der möglichen Foren, und wenn sich hier keine Möglichkeit zeigt, zum Ziel zu kommen, werden progressivere Staaten nach Alternativen Ausschau halten. Die UN-Generalversammlung wäre denkbar, wie auch ein komplett UN-externer Prozess.

Maschinen können den Wert eines Menschenlebens nicht erfassen und dürfen deswegen niemals in die Lage kommen, über Leben und Tod entscheiden zu können.

Die Bundesregierung möchte laut den seit 2013 formulierten Koalitionsverträgen autonome Waffensysteme ächten. Bislang wurde in den internationalen Gesprächen nie die Forderung nach einem völkerrechtlich verbindlichen Verbot unterstützt. Lediglich die Idee für eine unverbindliche politische Erklärung wurde im Schulterschluss mit Frankreich eingebracht. Deutschland entwickelt mit Frankreich ein künftiges Kampfpanzersystem (MGCS) sowie mit Frankreich und Spanien das zukünftige Luftkampfsystem FCAS; in beiden Systemen werden autonome Komponenten zu finden sein, wobei noch viele Details unklar sind. Aber hier könnte eine mögliche Erklärung für die Zurückhaltung liegen – allein für FCAS wird mit einem Gesamtumsatz von 500 Milliarden Euro für die Rüstungsindustrie gerechnet.

Was sind nun eure nächsten Forderungen und Ziele in der Kampagne gegen Killer-Roboter?

Die neue Bundesregierung muss bei dem Thema aktiver werden und sich international endlich klar für ein völkerrechtlich verbindliches Verbot positionieren. Die Mehrheit der Staaten will bei dem Thema weiterkommen und hat die Unterstützung der UN. Das Thema wurde in den vergangenen Jahren gut diskutiert, und es kann auf der Arbeit der Gruppe der Regierungsexpert*innen aufgebaut werden. Wenn mensch die festgefahrene Situation in der CCW betrachtet, kann man den vermittelnden Ansatz, den die Bundesregierung – bei wohlwollender Beurteilung – bislang gefahren hat, klar für gescheitert ansehen. Auch auf nationaler Ebene kann die Bundesregierung handeln. Ein Moratorium für die Forschung, Entwicklung, Produktion und Nutzung von autonomen Waffensystemen wäre hier ein wünschenswerter Schritt.

Vielen Dank für das spannende Interview – und euch viel Energie und Erfolg für die Kampagne!

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.