Zum Schwerpunkt „Stoff für Konflikte. Die gesellschaftlichen Folgen von Corona“ in GWR 465 (Januar 2022) bekamen wir verschiedene Zuschriften, die wir großteils in den GWR-Ausgaben 466 und 467 abgedruckt haben. Um trotz Platzmangels alle Leser*innenbriefe zugänglich zu machen, dokumentieren wir hier weitere Rückmeldungen, die uns per Mail erreicht haben. Kommentare, die über Facebook eingegangen sind, können dort eingesehen werden.
Betr. „Der Covid-Komplex“ von Nicolai Hagedorn in GWR 465 (Januar 2022), Seite 4
Liebe Redaktion,
liebe Genossinnen und Genossen,
generell fehlen mir seit einiger Zeit Leserbriefe, Auseinandersetzungen durch und mit Leserbriefen in der GWR. Eigentlich das Wichtigste an einer linken Zeitung.
Hängt dies mit den redaktionellen Wechseln (Bernd Drücke weg) zusammen?
Zu dem ersten Artikel auf Seite 4, der versucht, eine Stellung zu den mit Corona zusammenhängenden Maßnahmen zu entwickeln:
Nicolai Hagedorn geht sehr universitätsbezogen, wie mir scheint, an diese die Gesellschaft leider nicht entlang von Klassen spaltende Wirkung der staatlichen Maßnahmen in Bezug auf die Corona-Pandemie ein.
Im Artikel lese ich so gut wie nichts von den Demokratie-Einschränkungen jetzt seit fast 2 Jahren während der Corona-Pandemie. Das hätte ich mir in einer anarchistischen Zeitung doch auf jeden Fall so vorgestellt.
Dagegen lese ich bei Hagedorn sehr viel darüber, wie schnell man in der Nazi-Ecke landet, zumindest aber rechtsaußen oder rechts-offen einsortiert werden kann, wenn nicht haargenau, wie an der Uni üblich, aufgepasst wird, beim Sprachgebrauch.
So entsteht dann der Eindruck, auch die anarchistische Sicht auf die Dinge liegt – bei allen kleinen Einzelkritiken – recht nah beim herrschenden Staatsverständnis, wenn ich Nicolai richtig gelesen habe.
Nichts ist hier zu lesen von den vielen Linken, die die Einschränkungen des Demonstrationsrechtes verurteilen, und dergleichen mehr. Nichts wird darüber geschrieben, wie einer Ausgrenzung von Ungeimpften entgegengetreten werden kann. Ungeimpfte, die offensichtlich von allen beschimpft, beleidigt und in die unsolidarische Ecke gestellt werden dürfen und von Staats wegen auch gestellt werden sollen. (Ministerpräsidentin Malu Dreyer am 24.12.: „Personen, die nicht gegen Corona geimpft sind, sollen gar nicht feiern.“)
Da fehlt einfach die Empathie für die vielen Schwachen, die es hier häufig trifft und die mit dem „gebildeten“ neo-liberalen Mittelstand in Funk und TV oft nicht übereinstimmen können in der Einschätzung ihrer Lage.
Stattdessen das übliche undifferenzierte Eindreschen auf Sahra Wagenknecht als angebliche Corona-Leugnerin („national-sozialer Flüger der LINKEN“…)-
Aus meiner persönlichen, beruflichen und politischen Praxis (ich arbeite mit Wohnungslosen im Betreuten Wohnen in Berlin) kenne ich niemand, der Corona als gefährliche Krankheit ‚leugnet‘.
Aber Etliche, die Kritik am Umgang, an den schon beschlossenen oder noch bevorstehenden Zwangsmaßnahmen haben, viele Linke aller Couleur darunter, ansonsten Bürger*innen aus dem bürgerlich-demokratischen Spektrum, denen mit ständig neuen und sich z.T. widersprechenden, meist ganz kurzfristigen Bestimmungen staatlicherseits als kleinen Selbständigen der Boden unter den Füßen weggezogen wird.
Und die selbst nicht über die regelmäßigen monatlichen Politiker-, Parlamentarier- oder Beamten-Einkünfte derjenigen verfügen, die diese existenzvernichtenden Maßnahmen jeweils beschließen, aber mit den Folgen für die Betroffenen nichts zu tun haben möchten.
Zur linken Kritik an den Corona-Maßnahmen braucht es nicht immer den Bezug zu Sahra Wagenknecht oder Diether Dehm von den LINKEN. Es reicht eigentlich, das Buch „Corona und linke Kritik(un)fähigkeit“, Untertitel: Kritisch-solidarische Perspektiven „von unten“ gegen die Alternativlosigkeit „von oben“ von Gerhard Hanloser (zeitweise auch in der GWR), Peter Nowak (oft in der GWR) und Anne Seeck (Arbeitslosenbewegung) überhaupt einmal zur Kenntnis zu nehmen.
Kritisch-solidarische Grüße aus Berlin-Charlottenburg
Rüdiger
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Betr. Schwerpunkt „Stoff für Konflikte. Die gesellschaftlichen Folgen von Corona“ in GWR 465 (Januar 2022)
Liebe Graswurzelredaktion,
herzlichen Glückwunsch zu eurem bald fünfzigjährigen Jubiläum! Herzliches Beileid zu zwei Artikeln in der Januarausgabe! Mit euren Artikeln „Der Covid-Komplex“ und „Coronaleugnerinnen“ seid ihr im Club der staatstragenden Linken aufgenommen. Publikationen wie z.B. die taz und konkret haben sich im Club bereits mit vielen Artikeln hierzu etablieren können.
Den bürgerlichen Leitmedien und der Regierung ging es bereits mit Beginn der Pandemie um die Ausgrenzung kritischer Meinungen und im weiteren Verlauf der Corona-Krise immer mehr um die Verunglimpfung von Impfgegner*innen.
Dies ist ihnen gelungen, denn besonders in großen Teilen der Linken hat diese tägliche und permanente Stimmungsmache offenbar voll eingeschlagen.
Viele innerhalb der Linken fühlen sich berufen, sich dieser platten bürgerlichen Propaganda und „Sündenbockpolitik“ anzunehmen und gar zum Mitmachen animiert, diese ideologischen Vorgaben (Vorurteile) zu bedienen und zu untermauern. Kritischer linker Journalismus bleibt da vollkommen auf der Strecke …
So wird z.B. im Artikel „Coronaleugnerinnen“ versucht, mit holzschnittartiger Argumentationskette folgende Kontinuität herzustellen: Frau – Sorge um die eignen Kinder – Verschwörungsmentalität und esoterisches Denken – Bedürfnisbefriedigung in der Bewegung gegen die Coronamaßnahmen – Antisemitismus …! Geht’s eigentlich noch?
Mit solch einer dogmatischen, schablonenhaften Herangehensweise wird die gesamte Bewegung, die sich gegen staatlichen Druck, Schikane und gegen eine allgemeine Impfpflicht wehrt, von Autor*innen der GWR in die rechtsextreme Schublade verfrachtet!
Als linker Aktivist verfolge ich diese pauschalen sozialen Deutungsmuster (gepaart mit Demütigungen und Diffamierungen) gegenüber Menschen mit einer anderen Meinung sehr besorgt und beschämt!
Mit solidarischen Grüßen
Roland T.