Zum Kristallisationspunkt im Kampf gegen den Klimakiller Kohle und gegen den globalen Klimawandel hat sich das winzige Dorf Lützerath in Nordrhein-Westfalen entwickelt. Mit vielfältigen und kreativen Protesten engagieren sich Aktivist*innen für den Erhalt des Ortes, der dem Braunkohleabbau zum Opfer fallen soll. Lea Heuser und Gary Evans berichten für die GWR über die „Lützi“-Bewegung. (GWR-Red.)
Der kleine Weiler Lützerath liegt am Ende einer Sackgasse – ehemals eine Verbindungsstraße zwischen Dörfern. Jetzt kommt direkt dahinter das Nichts. Riesige Bagger – die größten Maschinen der Welt – fressen sich systematisch durch das fruchtbare Land der Region, um Braunkohle abzubauen und den billigen Strom zu erzeugen, der die deutsche Industrie antreibt. Der Tagebau Garzweiler nahm Anfang der 1970er-Jahre den Betrieb auf, um eine zuverlässige Stromversorgung zu gewährleisten, nachdem Europa sich von der OPEC-Ölkrise bedroht sah. Erst der Stromkonzern Rheinbraun und später RWE Power erhielten besondere Privilegien und das Recht, ein Dorf nach dem anderen zu zerstören, das Grundwasser abzupumpen und künftigen Generationen eine Wüste zu hinterlassen. All dies galt damals als notwendig für das Gemeinwohl.
Profite kommen vor Klimawandel
Heute offenbaren sich die Auswirkungen dieser Politik. Ganze Landstriche wurden abgetragen, um Millionen Tonnen von Braunkohle freizulegen, zu transportieren und zu verbrennen. Der CO2-intensivste fossile Brennstoff befeuert die Klimakrise immer weiter. Das Pariser Abkommen, den globalen Temperaturanstieg auf unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, hat nicht zur Schließung auch nur eines einzigen Tagebaus beigetragen. Auch die jüngsten verheerenden Überschwemmungen in Deutschland änderten nichts. RWE konzentriert sich einfach darauf, immer mehr Kohle abzubauen.
All dies macht deutlich, wie kaputt das System ist, das wir als Kapitalismus kennen. Viele in der Region sind sich dessen bewusst und kämpfen seit Langem für die Schließung der Tagebaue. Mit der drohenden vollständigen Zerstörung der Reste des Hambacher Waldes (Hambi) am Rand des benachbarten Tagebaus Hambach spitzte sich die Lage zu. Seit dem Jahr 2012 hielten Klima- und Naturschützer*innen den Wald mit Baumhäusern besetzt. Im September 2018 wurden sie unter dem Vorwand unzureichenden Brandschutzes von der Polizei gewaltsam geräumt. Keine Woche später flog die Farce auf, und der Wald wurde wieder besetzt, nachdem das Oberverwaltungsgericht Münster die Rodung für unzulässig erklärt hatte.
Proteste für den Erhalt von Lützerath
Nach der zunächst erfolgreichen Kampagne zur Rettung des Hambi richtete sich die Aufmerksamkeit auf die bedrohten Dörfer am ebenfalls von RWE betriebenen Tagebau Garzweiler. Lützerath, ein Dorf mit ehemals 90 Einwohner*innen, wurde schnell zum Schwerpunkt, da es am nächsten an der Tagebaukante liegt. Viele Bewohner*innen der Dörfer hatten bereits die Hoffnung aufgegeben und sich auf Druck von RWE umsiedeln lassen, aber Eckardt Heukamp, der letzte Landwirt in Lützerath, beschloss, für seinen Hof zu kämpfen. Er wurde dabei von immer mehr Aktivist*innen unterstützt, die schnell begannen, ihr Lager aufzuschlagen und ein neues Dorf zu bauen. Ihr Ziel: Unräumbar sein und sich nicht vertreiben lassen.
Die Aktivist*innen brachten viele Ideen für ein alternatives Leben aus anderen Besetzungen mit – auch aus dem Hambacher Wald. Viele von ihnen sind Teil der „Fridays for Future“-Bewegung, der LGBTQ-Community, BIPOC oder gehören anarchistischen Strömungen an. Die Menschen in Lützerath sind jung, international und pflegen einen anarchistischen Lebensstil. Trotz eines weitgehenden Konsenses zur Gewaltfreiheit unter den Aktiven geht die Polizei oft repressiv gegen das Camp auf Heukamps Land vor. Viele Aktivist*innen haben auf Demonstrationen oder im Camp Gewaltanwendung durch Polizist*innen beobachtet oder selbst erlebt.
Seit den Klimakonferenzen in Paris und zuletzt in Glasgow ist den Aktivist*innen klar, dass uns nur noch ziviler Ungehorsam retten kann. Wir brauchen Systemwandel, nicht Klimawandel. Gruppen wie Fridays for Future, Ende Gelände, Greenpeace und viele andere sehen in Lützi die letzte Chance, das System zu ändern, bevor wir die 1,5-Grad-Grenze überschreiten.
Mehr als ein Protestcamp
Dadurch ist Lützi in den Augen vieler Aktivist*innen etwas Besonderes. Schon der Hambi war ein starkes Symbol. Lützerath ist nun ein Ort, an dem eine wachsende Zahl von Menschen (über 300 bei der letzten Zählung) aktiv ein Leben außerhalb des Systems der Unterdrückung leben kann, in dem sie bisher um Anerkennung und Überleben kämpfen mussten. Lützi und Hambi sind keine vorübergehenden Phänomene. Diese Orte sind wichtige Inspirationsquellen und Vorbilder für die Entwicklung eines zukünftigen Systems, in dem wir alle aufblühen können.
Lützerath ist wichtig für die Klimagerechtigkeitsbewegung und den Kampf für soziale Gerechtigkeit. Ohne solche Orte bleiben uns nur Demonstrationen, die viel zu leicht ignoriert werden. Die Klimakrise lässt sich jedoch nicht mehr ignorieren und wird so schnell nicht verschwinden – genauso wenig wie die Bewegung für Veränderung. Die Politik muss erkennen, dass es an der Zeit ist, das alte, zerstörerische System aufzugeben und den Systemwechsel als Teil der Lösung anzunehmen, bevor so viel Zerstörung angestoßen ist, dass unser Planet unbewohnbar wird. Noch haben wir die Wahl, am Ende der Sackgasse zu wenden und unsere Lebensweise massiv zu verändern. Die Aktivist*innen in Lützerath leben vieles von dem vor, was uns retten kann.