Das Allgemeinwohl und der angekündigte Tod eines Dorfes

Mit zivilem Ungehorsam gegen das Lützerath-Urteil

| Gary Evans und Lea Heuser

Das kleine Dorf Lützerath im rheinischen Kohlerevier, das dem klimazerstörerischen Braunkohleabbau des Energieriesen RWE geopfert werden soll, ist seit Jahren ein Kristallisationspunkt der Bewegung gegen fossile Brennstoffe. Mit Besetzungen, Camps, Demonstrationen und kreativen Aktionen protestieren die Lützi-Aktivist*innen gegen die Enteignungs- und Abrisspläne und gegen eine Politik und Wirtschaftsordnung, die Profite ohne Rücksicht auf den Klimawandel und damit auf Kosten der gesamten Menschheit und des Planeten erzielt. Mit dem jüngsten Gerichtsurteil ist der Fortbestand von Lützerath noch akuter gefährdet, doch der Widerstand geht weiter, wie Gary Evans und Lea Heuser für die Graswurzelrevolution beschreiben. (GWR-Red.)

Nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster vom 28. März 2022 darf Lützerath abgebaggert werden. Das kleine Dorf am Rand des von RWE Power betriebenen Braunkohletagebaus Garzweiler II ist zum Mittelpunkt einer Kampagne geworden, die uns alle vor dem Klimazusammenbruch bewahren soll. Anders gesagt: Wenn Lützerath und die umliegenden Dörfer zerstört werden, um die darunter im Boden liegende Braunkohle zu verbrennen, gibt es keine Hoffnung mehr, den globalen Temperaturanstieg unter 1,5 Grad zu halten.

Billigstrom vor Klimarettung?

Der Urteilsbegründung zufolge dient es dem Allgemeinwohl, die Braunkohle zu verbrennen, um daraus mit einer vorgestrigen Methode Strom zu erzeugen. Das Gericht, welches in seiner Entscheidung dem Verwaltungsgericht Aachen folgte, findet unrentablen, nur durch Subventionen noch billigen Strom offenbar gemeinwohlförderlicher als einen weiterhin bewohnbaren Planeten Erde – und das vor dem Hintergrund einer Debatte über ein vollständiges Ende der Kohleverstromung innerhalb der nächsten acht Jahre.
Der Schlüssel zur Rettung von Lützerath schien bisher der Erhalt des Bauernhofs von Eckardt Heukamp zu sein, der als einer der letzten Bewohner hier noch die Stellung hielt. Einer der riesigen Braunkohlebagger näherte sich dem Dorf indes auf weniger als 100 Meter. RWE versuchte mit allen Mitteln, Heukamp einzuschüchtern und zu vertreiben. Im Kampf um die Rettung seines Hofes und des Dorfes solidarisierte er sich mit der Klimagerechtigkeitsbewegung, und auf seinem Grundstück entstand ein Klimacamp, in dem Akti-vist*innen aus der ganzen Welt zusammenkamen, um nach dem Motto „System change, not climate change“ zu leben. Das Urteil des OVG Münster, RWE die Enteignung von Heukamp und die Zerstörung des Dorfes zu erlauben, ist ein schwerer Schlag, nicht nur für die im Camp lebenden Aktivist*innen, sondern auch für die Klimagerechtigkeitsbewegung als Ganzes.

Schwerer Schlag für die Klimabewegung

Eckardt Heukamp hatte keine andere Wahl, als nach dem Urteil seinen Hof an RWE zu verkaufen. Er kommentierte seine Entscheidung so: „Mein Zuhause ist kein Spielball für Gerichte und Politik, die sich aus der Verantwortung für Klimaschutz ziehen wollen. Nach 10 Jahren im Konflikt mit den Profitinteressen von RWE brauche ich eine Verschnaufpause.“
Aus der Bewegung erfährt er für seine Entscheidung viel Verständnis und Solidarität. Seine Anwältin geht davon aus, dass die finanziellen Folgen anderenfalls katastrophal wären, denn eine Enteignung durch den Konzern ohne jegliche Entschädigung wäre nun möglich gewesen. RWE hat viel Erfahrung darin, Menschen unter Druck zu setzen, und Heukamps Auseinandersetzung der letzten Jahre war keine Ausnahme. Sein ausdauernder Widerstand ist daher bewundernswert, und auch die Menschen im Camp haben Verständnis dafür, dass nach einem solchen Kampf und vor der Perspektive des finanziellen Ruins auch eine Kämpfernatur wie Heukamp irgendwann nachgeben musste.
Jedoch ist Heukamp seit Kurzem nicht mehr der letzte unbeugsame Grundstückseigentümer Lützeraths. Kurt Classen, dessen Name allen bekannt sein dürfte, die den Kampf um den Hambacher Wald verfolgt haben, hat ein Grundstück in Lützerath gekauft, so wie er vor einigen Jahren auch eine Wiese direkt am Hambi erwarb, die seither das Wiesencamp der Hambi-Besetzung beherbergt. Dies wird einen weiteren Rechtsstreit nach sich ziehen, denn auch ihn muss RWE nun loswerden, bevor Lützerath abgebaggert werden kann.

Anhaltende Proteste in Lützerath

Letztlich müssen Strategien und Entscheidungen, um die Menschheit vor der Klimakatastrophe zu bewahren, auf politischer Ebene verhandelt und getroffen werden. Die Bundesregierung je-
doch hat die Entscheidung über das Schicksal von Lützerath einfach auf die Gerichte abgewälzt, anstatt sich klar zu Maßnahmen im Sinne des Pariser Abkommens zu bekennen.
Während wir diesen Artikel 
schreiben, organisieren sich Aktivist*innen und Nichtregierungsorganisationen, um weiter gegen die Zerstörung Lützeraths und weiterer Dörfer zu protestieren. Seit dem Gerichtsentscheid finden beinahe jedes Wochenende unterschiedliche Aktionen und Events in und um Lützerath statt, um deutlich zu machen, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung weiter vor Ort ist und RWE genau auf die Finger schaut.
Mit zivilem Ungehorsam wollen die Aktivist*innen nun verhindern, dass RWE wieder einmal seinen Willen bekommt. Wenn die Bewegung nichts tut und zulässt, dass Konzerne wie RWE unsere Lebensgrundlagen zerstören, werden Menschen keine Zukunft mehr haben. Weder Gerichte noch Politik werden uns retten – daher müssen wir es weiterhin selbst in die Hand nehmen.

Einige Quellen zum Weiterlesen:

– https://hambisupportaachen.wordpress.com/
2022/03/28/hambi-support-aachen-verurteilt-gerichtsentscheidung-zu-lutzerath-underwartet-verscharften-protest/

– https://hambisupportaachen.wordpress.com/
2022/04/01/lutzerath-am-sontag-3-april/

– https://hambisupportaachen.wordpress.com/
2022/04/04/eckardt-heukamp-hat-seinen-hof-an-rwe-verkauft/