Die Marke Lauterbach, oder: eine neue Form der politischen Transparenz

Eine satirische Glosse

| Joseph Steinbeiß

Also ganz ehrlich, ich verstehe das Gezeter nicht: Da saßen Tausende und Abertausende vor den Bildschirmen, fieberten mit wie beim Pferderennen – „Wird er’s? Wird er’s nicht? Wird er’s vielleicht? Will er’s überhaupt werden?“ usw. –, dann wurde er’s, das Feuilleton überschlug sich vor Begeisterung, schwärmte von „Sachkompetenz“, „Tatkraft“ und einer „Zeitenwende“, und ein paar Monate später ist plötzlich alles nicht mehr recht. Nur weil Karl Lauterbach (SPD), der neue Bundesminister für Gesundheit, an seiner neuen Wirkungsstätte oft aushäusig ist. Dann tingelt er durch die Talkshows und bewirbt sein neues Buch. Ein Buch über die Klimakrise, wohlgemerkt. Nicht etwa über die Corona-Pandemie.

Offene Käuflichkeit statt diskreter Umschläge

Von „Eitelkeit“ hört man reden, von „Egomanie“, „Arbeitsunlust“ und gar von schnöder Geldgier. Was für eine Ignoranz! Begreift denn tatsächlich niemand, dass Herr Lauterbach sich mit dem ganzen Gewicht seiner Person und Persönlichkeit für eine Erneuerung der politischen Kultur in diesem Lande einsetzt? Hat man uns etwa nicht dreißig Jahre lang beigebracht, dass die Demokratie nur leben kann, wenn sie wirtschaftlichen Regeln gehorcht? Dass wir eine „marktkonforme Demokratie“ (Angela Merkel) brauchen? Dass der homo oeconomicus der eigentliche Mensch ist und alle anderen, bis hin zu solch zwielichtigem Gesindel wie Jesus Christus, Mahatma Gandhi und Martin Luther King Jr., im Grunde geistesgestört sind?
Was aber war das für eine grauenvolle Demokratie, in der Geschäfte in der Politik nur in Hinterzimmern oder auf dunklen Korridoren gemacht werden konnten? Ein Bimbesland, eine Geld-mach-Republik, ein Paradies der diskreten Umschläge. Man hätte sie für kriminell halten mögen, so wie sie sich aufführte. Karl Lauterbach will, dass Geschäfte von Politikerinnen und Politikern von nun an im hellen Licht der Öffentlichkeit abgewickelt werden. Er kämpft für eine neue Form der politischen Transparenz und für eine Politik, die handelt.

„Be cool. Be Bob. Be a Winner“

Man stelle sich nur einmal vor: Robert Habeck (Grüne) wird als Wirtschaftsminister vereidigt, und nur Augenblicke später schieben einige nette Bubis und Mädis von der Grünen Jugend Berlin ein paar Kleiderständer auf die Bühne, auf denen Habeck seine neue Jeansjacken-Kollektion vorstellt, vor einem handbemalten Banner, auf dem steht: „Be cool. Be Bob. Be a Winner“ (oder so ähnlich). Oder Olaf Scholz (SPD): Wäre es nicht toll, wenn während seiner Rede zur Lage der Nation auf einem Bildschirm hinter ihm Anzeigen teurer Luxusimmobilien am Hamburger Hafen gezeigt würden? Christian Lindner (FDP) würde vermutlich für einen von ihm selbst mitentwickelten Rasierapparat Werbung machen. Nein, nicht weil seine Partei immer alle Staats- und Sozialausgaben rasieren will. Sondern wegen dieses umwerfenden, staatsmännischen Vollbarts, den er seit Neuestem zur Schau trägt. Mal Hand auf’s Herz: Hätte noch vor ein paar Jahren irgendjemand geglaubt, dass ein Typ wie Lindner schon Bartwuchs haben könnte?
Aber auch für jene Volksvertreterinnen und Volksvertreter, denen es nicht gegeben ist, eigene Produkte zu entwickeln und zu vermarkten, hat Lauterbachs Modell nichts als Vorteile. Sie könnten in Zukunft in aller Öffentlichkeit zeigen, mit welchen Firmen sie, sagen wir: Partnerschaften unterhalten. Lobby Control könnte endlich aufhören, sich bei dem Versuch zu Schanden zu machen, in Deutschland ein verbindliches, aktualisiertes und öffentliches Lobby-Register einzuführen (wie es in den USA seit Jahren existiert).
Niemand müsste mehr schieres Entsetzen heucheln über die Geschwindigkeit, mit der Gerhard Schröder nach dem Ende seiner Kanzlerschaft einen millionenschweren Job bei Gazprom antrat. Er hätte ja schon vorher ein fesches, blau-weißes Gazprom-T-Shirt unter dem offenen Jackett spazieren geführt. Friedrich Merz dürfte endlich ganz ungeniert für BlackRock werben. Die Kolleginnen und Kollegen von der AfD müssten eigentlich schon fast eine Nabelschnur zur Familie Von Finck in der Schweiz herzeigen, denn wie alle rechtsextremen Parteien plärren sie immer nur so laut, wie ihre Geldgeber spendabel sind.

Gut sichtbare Firmenwimpel

Alle Parlamentarierinnen und Parlamentarier mit Zweitkontakten wären gehalten, Name, Logo und Farben ihrer Partnerinnen und Partner gut sichtbar auf der Kleidung zu tragen, oder zumindest einen ebenso gut sichtbaren Wimpel auf ihr Pult zu stellen. Wie bunt und fröhlich würde der Bundestag dann aussehen! Niemand würde mehr von Politikverdrossenheit reden. Parlamentsdebatten würden Einschaltrekorde brechen. Denn alle würden wissen wollen, wer zu wem gehört und wer gewinnt.
Die Zusammensetzung des politischen Personals würde sich schlagartig ändern. Denn kein Maskenhersteller dieser Erde käme auf die Idee, sein Produkt von einem Peter Gauweiler (CSU) öffentlich bewerben zu lassen. Politikerinnen und Politiker wären junge, sympathische und intelligente Menschen, die vor der Kamera gut aussehen. Die Wirtschaft würde angekurbelt, die Kauflust angeregt, und die Werbekosten würden sogar sinken, denn die Diäten wurden ja erst vor Kurzem erhöht.
Ach, es könnte einem der Mund übergehen vor Begeisterung angesichts der Möglichkeiten, die Karl Lauterbach uns eröffnet. Was ist dagegen schon eine läppische Pandemie? Herzlichen Dank, Herr Professor Lauterbach, und viel Erfolg in Ihrer nächsten Talkshow. Die Pandemie überstehen wir auch ohne Sie. Irgendwie.