Aufrüstung, Waffenexporte, mediales Säbelrasseln, rassistische Kategorisierung von Refugees und patriarchale Geschlechterbilder: Der Ukrainekrieg zeitigt auch hierzulande Folgen in unterschiedlichen Bereichen und wirft die Errungenschaften sozialer Bewegungen weit zurück. Mit Perspektiven aus den Bündnis „Rheinmetall Entwaffnen“ thematisiert der Artikel von Lukas die aktuellen Entwicklungen und zeigt Handlungsmöglichkeiten gegen Militarisierung und Krieg in der BRD auf. (GWR-Red.)
Die Wochen seit dem 24. Februar erleben wir als neuen Ausnahmezustand: Der Krieg in der Ukraine ist präsent wie kein anderes Thema, es demonstrieren auf einmal so viele Menschen gegen Krieg, wie wir uns in den vergangenen Jahren auf Antikriegsdemos lange gewünscht hätten, während ein Großteil dieser Menschen leider sowohl die Aufrüstungskampagne der Bundesregierung als auch Waffenlieferungen an die Ukraine unterstützt. Die Zeiten, in denen eine überwältigende Mehrheit Waffenexporte in Kriegsgebiete ablehnte, scheinen vorbei zu sein. Selbst in Teilen der außerparlamentarischen Linken in der BRD sind Kursänderungen in diesem Kontext wahrzunehmen.
Solidarität mit fadem Beigeschmack
Während der Krieg in der Ukraine brutal Menschenleben und Lebensgrundlagen zerstört, mehrere Millionen in die Flucht treibt und weltweit Hunger verschärft, sind die Auswirkungen hier in der BRD zwar weniger existenziell, aber durchaus deutlich. Zunächst etwas Positives: Bislang gibt es breite Unterstützung für diejenigen, die vor dem Krieg nach Deutschland fliehen. Menschen stellen Wohnungen zur Verfügung und organisieren gemeinsam Hilfe von unten. Viele in der BRD zeigen durch ihr Handeln Solidarität.
Leider nicht ohne Beigeschmack: Viel zu oft werden flüchtende BIPoC vergessen, die aus rassistischen Gründen massiv auf der Flucht behindert und diskriminiert werden; Sinti:zze und Rom:nja aus der Ukraine wird abgesprochen, dass sie aufgrund des Krieges fliehen. Viele Menschen, die aus anderen Kriegsgebieten nach Deutschland gekommen sind, fragen sich zurecht, warum sie so anders behandelt werden. Was macht sie zu Flüchtenden zweiter oder dritter Klasse? Ebenso hören wir sofort patriarchal-kapitalistische Ausbeutungsfantasien: Es heißt, geflüchtete Ukrainerinnen könnten ja den Personalmangel im unterbezahlten Pflegesektor stopfen.
Militarisierter Diskurs
In Deutschland erleben wir den Krieg vor allem als Medienspektakel. Überall sind Liveticker, dank denen wir den Truppenverschiebungen, Bombeneinschlägen, Todeszahlen, Waffenlieferungen, Beschuldigungen, Forderungen und Statements der Politiker:innen folgen können wie zuvor den Coronazahlen.
Dieser Krieg ist wohl vor allem deshalb in den Köpfen und Ängsten der Menschen angekommen, weil er alle Medien bestimmt, während Kriege wie im Jemen oder in Kurdistan als Randnotiz behandelt werden. Eines ist jedoch besonders bemerkenswert: Die Menge der Berichte steht in krassem Kontrast zu den darin beschriebenen Erklärungen und Handlungsmöglichkeiten. Putins Machtwahn sei Ursache für diesen Krieg, der nun Waffenlieferungen, Sanktionen, eigene Aufrüstung und weitere Truppenstationierungen des Westens in Osteuropa nötig mache. Die EU, die sich sonst gern als Friedenspol präsentiert, verzichtet in diesem Fall auf Chefdiplomat:innen, die zwischen den Kriegsparteien vermitteln und Waffenstillstände aushandeln (diese Rolle wird aktuell dem türkischen Regime überlassen). Stattdessen werden aus dem Topf der „EU-Friedensfazilität“ Waffenlieferungen an die Ukraine finanziert.
In dieser Stimmung wird fix die zeitnahe Erhöhung des jährlichen Militäretats auf 2 % des Bruttoinlandsprodukts beschlossen. Das entspricht über 70 Milliarden Euro und damit mehr als 15 % der Ausgaben des Bundeshaushalts. Zusätzlich werden der Bundeswehr weitere 100 Milliarden für neues Kriegsgerät genehmigt. Im Strudel des komplett militarisierten Diskurses bekommt diese massive Beschleunigung der deutschen Aufrüstung kaum Gegenwind. Es wird wenig hinterfragt, warum die BRD – die gleichauf mit Frankreich den größten Militäretat innerhalb der EU hat – nun mehr Geld benötige. Mit dem großen Wort der „Zeitenwende“ scheint sich alles von selbst zu erklären.
Doch bei der Betrachtung der geopolitischen Lage und der deutschen Außen- und Rüstungspolitik lässt sich aus den jüngsten Ereignissen keine „Wende“ ableiten. Die letzten Jahre sind geprägt von Kriegen beispielsweise im Irak, Libyen, Syrien, Kurdistan oder Jemen. Die BRD beteiligt sich längst am Wettstreit der verschiedenen imperialen Kräfte in dieser Phase des kapitalistisch-patriarchalen Systems. Sie versucht in den letzten Jahren kontinuierlich, sich als wirtschaftliche und politische Führungsmacht Europas zu etablieren. Dazu agiert sie als Teil der NATO und EU militärisch außerhalb der BRD und der EU. Dabei geht es um die Sicherung nationalstaatlicher Interessen – heißt: politischer Einfluss, Sicherung von Handelsrouten, Verhinderung von Fluchtbewegungen nach Europa und Zugriff auf Ressourcen.
Werbetrommel für den Krieg
Nicht ohne Grund wurde die Bundeswehr mit massiven PR-Kampagnen in die Öffentlichkeit gezerrt – denn diese Form der Politik braucht die gesellschaftliche Unterstützung der Armee ebenso wie genug junge Menschen, die bereit sind, in den Krieg zu ziehen. Anstelle eines Paradigmenwechsels gibt es vielmehr eine drastische Beschleunigung der Militarisierung und Aufrüstung im Schatten des Ukraine-Krieges. Die Wende erleben wir eher in der gesellschaftlichen Unterstützung dieses Prozesses. Während vor wenigen Jahren 80 % der hiesigen Bevölkerung Waffenexporte in Kriegsgebiete ablehnten, scheint aktuell eine Mehrheit Waffenlieferungen an die Ukraine mitzutragen. Die Militarisierung der Debatte verengt den Blick auf Handlungsmöglichkeiten dramatisch. Die Logik des Krieges bestimmt das Denken. Nur so ist zu erklären, dass es keinen großen Aufschrei gibt, wenn Außenministerin Annalena Baerbock davon spricht, Bildung, Kultur und Sport müssten sich zukünftig nach den sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands ausrichten, und ein Kommentator in den Tagesthemen erklärt: „Wer den [Mentalitätswandel] nicht vollzieht, gefährdet die Sicherheit Deutschlands.“
Die Berichte über diverse Streiks der letzten Wochen geben Hoffnung auf eine internationalistische Bewegung von unten gegen Krieg und die imperialistischen Interessen der NATO und Russlands.
Auch wenn solche Statements nicht die Zukunft vorhersagen, machen sie vorstellbar, womit wir uns befassen müssen: einer Zuspitzung des kapitalistisch-patriarchalen Systems, die Errungenschaften vorausgegangener Kämpfe angreifen wird. Während die herrschende Klasse gebetsmühlenartig die Verteidigung der Demokratie predigt, zeigt sich im selben Atemzug ihre autoritäre Haltung, denn Militarisierung und Krieg stärken patriarchale Unterdrückung und Gewalt. Wenn mit schweren Waffen ganze Städte und Landstriche vernichtet und Unmengen an Ressourcen in Aufrüstung gesteckt werden, sind das Schläge gegen alle Versuche, den menschengemachten Klimawandel aufhalten zu wollen. Die Kriegskosten drücken sich bereits jetzt in massiv steigenden Lebenshaltungskosten aus, die den Monatslohn deutlich abwerten. Zugleich sind die Folgen der Preissteigerungen für Menschen in Afrika und im arabischen Raum noch viel gravierender.
Wie wollen wir leben?
Kurz: Die Eskalation weltweiter Kriege wie derzeit in der Ukraine verschärft alle Probleme, gegen die wir als linke Bewegung(en) kämpfen. Genau deswegen verdeutlicht uns die aktuelle Situation, wie wichtig es ist, dass wir in diesen Momenten zusammen denken und vereint handeln. Die Kämpfe für ein Ende der kapitalistischen Ausbeutung, gegen Rassismus und Diskriminierung gehören zusammen mit den Kämpfen für Demokratie von unten, für internationale Solidarität und ökologischen Wandel, für feministische Befreiung. Sie zeigen die Notwendigkeit einer Revolution, eines Bruchs mit dem herrschenden System und stellen gleichzeitig die banal klingende Frage „Wie wollen wir leben?“ Die Antworten bringen uns zurück zu unseren Werten, zu der Form, wie wir miteinander und mit der Natur umgehen wollen, und zeigen uns deutlich, wer unsere strategischen Verbündeten sind.
Als Bündnis „Rheinmetall Entwaffnen“ erwarten wir nicht, dass die Staaten die aktuelle Krise lösen werden, denn Krieg ist fester Bestandteil des herrschenden Systems. Wir werden uns weiterhin gegen Aufrüstung, Militarisierung und Waffenlieferungen stellen und die Profiteure der Kriegswirtschaft wie Rheinmetall und Co. angehen.
Die Berichte über diverse Streiks der letzten Wochen geben Hoffnung auf eine internationalistische Bewegung von unten gegen Krieg und die imperialistischen Interessen der NATO und Russlands. So bestreikten Beschäftigte aus dem Transportsektor in Belarus, Italien und Griechenland Waffentransporte von Russland und der NATO in die Ukraine. In einem Aufruf aus Griechenland wurde erklärt: „Wir werden keine Kompliz:innen bei der Durchfahrt der Kriegsmaschinerie über das Territorium unseres Landes sein. Wir fordern, dass Schienenfahrzeuge unseres Landes nicht verwendet werden, um das US- und NATO-Arsenal in benachbarte Länder zu bringen.“ Auch in Berlin demonstrierten Bahnbeschäftigte der Gewerkschaft EVG gegen den Krieg und machten klar, dass sie sich weigern werden, Kriegsgerät zu transportieren. Anfang April streikten Arbeiter:innen in über 70 Städten Griechenlands gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen infolge des Krieges. Auch in der BRD sind für weite Teile der Bevölkerung schon jetzt materielle Folgen des Krieges spürbar.
Wir zahlen nicht für eure Kriege!
Ob der gesellschaftliche Diskurs von einer Haltung internationaler Solidarität oder von staatstragender nationalistischer Standortpolitik und rassistischer Abschottung bestimmt wird, ist noch nicht entschieden. „Wir zahlen nicht für eure Kriege!“ könnte ein Slogan in dieser Auseinandersetzung sein, die zugleich die umfassenden Folgen der Militarisierung einbeziehen muss.
Um die nationalen Profiteure der Kriegsindustrie ins Visier zu nehmen, ruft das Bündnis „Rheinmetall Entwaffnen“ vom 30. August bis 4. September zu einem Camp und Aktionstagen während der Kunstausstellung documenta in Kassel auf. Diese werden sich in den bürgerlich-liberalen Normalzustand einmischen, in dem es möglich ist, zugleich kritische Kunst zu feiern, während wenige Meter weiter Panzer produziert werden, die ein tödliches EU-Grenzregime ermöglichen. Das Camp wird zudem ein Ort des Lernens sein, in dem wir unsere vielfältigen Erfahrungen und Ideen miteinander teilen und uns gemeinsam stärken können.