Eine spektakuläre Adbusting-Aktion sorgte in den vergangenen Wochen für heiße Diskussionen in Berlin-Tegel: Unter dem Titel „We love Tegel“ kaperten Antimilitarist*innen mit Plakaten und Stickern den öffentlichen Raum, um gegen den geplanten „Tag der Bundeswehr“ zu protestieren. Über die unterschiedlichen Reaktionen und die Erfolge antimilitaristischer Poster-Kampagnen berichtet die Aktionsgruppe „We love Tegel“. (GWR-Red.)
Die Aktionsgruppe „We love Tegel“ hängt im April 2022 antimilitaristische Plakate in die offiziellen Werbeträger Tegels und plagt den Ortsteil mit fast 1.000 Stickern. Was hat es damit auf sich?
Seltsame Plakate
Eines Freitagmorgens im April sind die Bewohner*innen des
schicken Berliner Ortsteils Tegel auf dem Weg zur Arbeit einem gemeinen Angriff auf ihr Stadtbild ausgeliefert. Im Großteil der Werbeträger der öffentlichen Verkehrsmittel ihrer Nachbar*innenschaft hängen sonderbare Poster. „We love Tegel. Denn hier traut sich die Bundeswehr nicht her“, verkünden sie.
Am nächsten Morgen sind auch noch sämtliche Haustüren, Mülleimer und Stromkästen in Alt-Tegel mit Aufklebern mit demselben Spruch versehen. Fast 1.000 Sticker kleben plötzlich in einem Kiez, in dem man sonst lange suchen muss, um nur einen einzigen zu finden. Erklärend heißt es auf den Plakaten noch: „Nach kreativem Protest feiern die Militärs den Tag der Bundeswehr lieber in ihrer Kaserne als hier in Berlin-Tegel am See“.
Tag der Bundeswehr als Stadtfest
Wer dem Link zur Website auf den Postern folgt, findet heraus, dass die Aktionsgruppe „We love Tegel“ damit den Erfolg antimilitaristischer Aktionen aus den Vorjahren feiert. 2020 und 2021 plante das Militär noch, den Tag der Bundeswehr in aller Öffentlichkeit an der Tegeler Seepromenade im Rahmen eines Stadtfestes zu feiern.
Beide Male müssen die Pläne nicht nur pandemiebedingt abgesagt werden: Obendrein plagen gemeine Aktionen von Chaot*innen die Militärs.
2019 etwa verteilen Antimilitarist*innen gefälschte Schreiben im Namen des Bezirksbürgermeisters (Frank Balzer, CDU), in denen sie ihn verkünden lassen, er habe von seinen Plänen für ein militaristisches Stadtfest aus Gewissensgründen abgesehen.
Mindestens ein Twitter-Nutzer hält das Schreiben damals für echt und gratuliert zu dem Kurswechsel: „Mich trennt vieles von Frank Balzer (#CDU), Bezirksbürgermeister Reinickendorf. Aber vor soviel lessons learnt, Einsichten und Demut habe ich allergrößten Respekt. Chapeau, junger Mann“.
Bundesweit gefälschte Plakate
Zu solchen lokalen Peinlichkeiten kommen 2020 und 2021 noch bundesweite Adbusting-Kampagnen dazu. Adbusting nennt man Aktivismus mit Werbeplakaten. Auf den in 11 Innenstädten aufgehängten Postern, die der Originalkampagne der Bundeswehr zum Verwechseln ähnlich sehen, steht 2021 zum Beispiel „Nicht jeder Soldat ist ein Nazi“ oder „Jeder Tote ist ein kleiner Schritt zum Weltfrieden“.
Die Aktivist*innen feiern mit dieser Aktion Reichweitenrekorde auf Twitter. Sie stellen in den sozialen Medien (pandemiebedingt findet der Tag der Bundeswehr 2021 ausschließlich im Netz statt) die Bundeswehr regelrecht in den Schatten. (1) Wohl als Reaktion auf diese unliebsamen Proteste (das Landeskriminalamt ermittelt unter anderem wegen „Störpropaganda gegen die Bundeswehr“) plant das Kriegsministerium zunächst, seine Propagandaparty 2022 im Schutz der eigenen Kaserne zu feiern. Mittlerweile ist der Tag der Bundeswehr in allen Standorten außer Warendorf (Nordrhein-Westfalen) abgesagt.
CDU-naher Verein als Namensgeber
Der Lokalpatriotismus auf den Tegeler Plakaten („We love Tegel“) hat einen besonderen Grund. Die Gruppe klaut damit den Namen und das Logo des im Ortsteil ansässigen Vereins „I love Tegel“. Dessen Gründer, Felix Schönebeck, ist Vorsitzender im örtlichen CDU-Verband und nutzt seinen Verein gerne für Wahlkampfzwecke.
Entsprechend persönlich nimmt der CDU-Abgeordnete Stephan Schmidt die Aktion und kommentiert auf Facebook: „Unfassbar, was sich ein Haufen Spinner hier in Tegel erlaubt. […] Noch viel schlimmer ist die Tatsache, dass sich diese Kriminellen illegal Zugriff auf Werbeflächen verschafft haben, um ihre kruden Parolen zu verbreiten. Das ist weder eine Kunst-Aktion noch irgendwie anders gearteter Aktionismus, sondern einfach nur eine Straftat linker Deppen. Anzeige ist raus.“
Das findet die Aktionsgruppe „We love Tegel“ so witzig, dass sie prompt die Chance nutzt, um zu behaupten, sie hätten Stephan Schmidts Facebook-Account gehackt, um diesen Post zu verfassen. Eine Pressemitteilung mit dieser Behauptung schicken sie an seine Kolleg*innen aus dem Bezirk Reinickendorf.
Zum Glück keine Bundeswehr in Tegel
Auf Twitter schreibt ein*e besorgte*r Tegeler*in: „Hoffentlich wirds nicht schlimmer… Brennende Autos braucht niemand.“ Die Bewohner*innen Tegels dürften sich also ordentlich gegruselt haben und froh sein, dass der Spuk endlich ein Ende hat. Schließlich will die Bundeswehr ja nicht mehr nach Tegel. So gern nämlich der*die Spießbürger*in das Militär auch hat: Den SUV möchte er*sie nicht dafür opfern.
i von der Aktionsgruppe We love Tegel