Die Welt steht in Flammen. Die Treibhausgasemissionen, die den Planeten aufheizen, haben das höchste Niveau in der Geschichte der Menschheit erreicht. Wir sind auf dem direkten Weg in die Klimakatastrophe. Nie dagewesene Hitzewellen, Waldbrände, zerstörerische Stürme, überflutete Städte oder heftige Dürren – Klimakrise ist jetzt! Deshalb brauchen wir jetzt einen radikalen Systemwandel.
Fast die Hälfte der Menschheit lebt laut Weltklimarat inzwischen in der Gefahrenzone. Das Paradoxe ist: Während die Industriestaaten der Nordhalbkugel für den Großteil der Treibhausgasemissionen verantwortlich sind, sind die Länder im Globalen Süden die Leidtragenden und erleben die Klimakatastrophe jeden Tag – Wasser- und Nahrungsmittelkrisen, zerstörte Lebensgrundlagen und Flucht aus den unbewohnbar werdenden Regionen der Erde. Und während der reiche Norden nach Extremwetterereignissen die Schäden mit viel finanziellem Aufwand behebt und in Schutz und Anpassung investiert, sind die Menschen in den globalen Hotspots den Risiken schutzlos ausgeliefert. Es fehlt an Geld, Ressourcen und Infrastruktur. So wird die Klimakrise zum Turbo für globale Ungerechtigkeit.
Kolonialismus, Kapitalismus, Klimakrise
Die Ursprünge der Klimakrise liegen in der verwobenen Ausbeutungsgeschichte von Kolonialismus und Kapitalismus. Denn der Reichtum des Globalen Nordens basiert auf der rassistisch legitimierten Unterwerfung der Gesellschaften auf der Südhalbkugel, auf der gewaltsamen Ausbeutung von Menschen und dem Raubbau an natürlichen Ressourcen. Mit der Industrialisierung steigerte sich der Hunger des Kapitalismus nach Energie. Die Kohle wurde zu seinem Brennstoff und die Luft zur Müllhalde für Emissionen. Wenn CO2 einmal in die Atmosphäre gelangt, dann wirkt es dort 100 Jahre lang als Treibhausgas. Der gierig wachsende Industriekapitalismus blies immer mehr davon in die Luft. Historisch ist deshalb der globale Norden für mehr als zwei Drittel der Treibhausgase in unserer Atmosphäre verantwortlich. Dafür gab es Konsum im Überfluss und die Ideologie weißer Überlegenheit, die bis heute ein Leben mit allen Privilegien sichert. Der Globale Süden zahlt dafür mit Armut, mit der Zerstörung indigener, sozialer und kultureller Strukturen, dem Kollaps ganzer Ökosysteme und klimabedingten Katastrophen.
Im Ruf nach Klimagerechtigkeit fließt alles das zusammen. Für Aktivist*innen an den Frontlines des Südens sind die Kämpfe gegen Kolonialismus, für Menschenrechte, gegen Landnahme, für sauberes Wasser und gegen die Klimakrise deshalb eng miteinander verbunden. Im Norden müssen die Kämpfe noch stärker werden, die sich gegen die gesellschaftlichen Strukturen wenden, die Klimaungerechtigkeit verursachen.
Grüner Kapitalismus – koloniale Kontinuitäten
Drei Jahre bleiben, um den Trend bei den Treibhausgasemissionen umzukehren. Drei Jahre! Das hat der Weltklimarat errechnet und fordert: Die Industrieländer als die Hauptverursacher müssen den Verbrauch fossiler Energien sofort drastisch senken. Und was ist die Realität? Die Regierungen und die Konzerne im Globalen Norden gießen Öl ins Feuer der Klimakrise. Sie investieren immer weiter in fossile Infrastruktur. Sie zerstören den Planeten. Für ihre Interessen. Und die Lösungen, die uns präsentiert werden, um die Klimakrise doch noch aufzuhalten, reproduzieren die kolonialen Macht- und Gewaltverhältnisse.
Beispiel Wasserstoff: Wasserstoff soll Kohle und Öl ersetzen und der neue Brennstoff des grünen Kapitalismus werden. Um ihn herzustellen, braucht es Technologie, viel Energie, riesige Flächen und jede Menge Wasser. Die ganze Europäische Union und auch Deutschland setzen dabei auf Afrika. Der Deal ist: Deutsche Unternehmen liefern Spitzentechnologie, afrikanische Länder den Rest – und jede Menge Wasserstoff für Europa, damit die Industrie ungestört weiterlaufen kann. Wieder einmal wird der afrikanische Kontinent, auf dem viele Länder unter extremer Energiearmut und Wasserknappheit leiden, auf den Rohstoffexport reduziert. Wieder einmal bekommt er die verheerenden ökologischen und sozialen Auswirkungen dieses Mal der Wasserstoffproduktion aufgebürdet. Wieder einmal fließen die Gewinne nach Europa.
Beispiel Elektroautos: Künftig sollen statt Spritfressern E-Autos über das dichte Straßennetz rollen. Niemand im reichen Norden soll auf die Annehmlichkeiten des Individualverkehrs verzichten müssen, und die Autoindustrie soll weiter kräftig verdienen. Für die Batterien werden Kobalt und Lithium gebraucht. Beides wird unter grauenhaften Bedingungen aus Tagebauen geschürft, Kobalt hauptsächlich im Kongo, Lithium in Chile, Argentinien, Bolivien oder Mexiko. Dürren und Wasserverschmutzung, Gewalt, Landnahme und Vertreibung von indigenen Gemeinschaften sind die Folge. Das ist Klima-Kolonialismus: Mit dem Label der Dekarbonisierung sollen Ausbeutung, Raubbau und Zerstörung einfach weitergehen.
100 Milliarden? Wofür?
Der Norden lebt über die Verhältnisse anderer und über die des Planeten. Deshalb steht er in der Schuld des Globalen Südens. Mit Reparationszahlungen könnten die reichen Industrieländer ihre Schulden begleichen, fordert der Süden. Das wäre ein erster Schritt zu mehr globaler Gerechtigkeit. Doch die reichen Industrieländer verweigern sich dieser Forderung. Auf dem Pariser Klimagipfel 2015 haben sie schließlich das Zugeständnis gemacht, jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Klimaanpassungen und die Bewältigung von Katastrophen in armen Ländern zur Verfügung zu stellen. Nur ein Tropfen auf den heißen Stein – aber nicht einmal diese Zusage wurde eingehalten.
100 Milliarden. Genau diese Summe wird allein Deutschland ab jetzt in die militärische Aufrüstung investieren. Um Waffen, Bomben, Kampfjets und Panzer vom Fließband rollen zu lassen, braucht es enorm viel Energie. Militärfahrzeuge schlucken immense Mengen Treibstoff. Wie viel CO2 das Geschäft mit Waffen und dem Tod verursacht, ist schwer zu beziffern. Denn die Rüstungsindustrie taucht in keiner Klimabilanz auf. Klar ist aber: Krieg und Kriegsindustrie gehören zu den weltgrößten Emittenten von Treibhausgasen. Die Konzerne, die vom Krieg profitieren und die Klimakrise anheizen, müssen sofort stillgelegt werden.
In Kriegen geht es um Macht, Einflusssphären und den Zugriff auf Ressourcen. Sie sind die brutalste Zuspitzung des Kapitalismus, der wachsen und zerstören muss, um sich ausbreiten zu können. Der Angriffskrieg des russischen Regimes auf die Ukraine macht da keine Ausnahme. Die viel zitierte Zeitenwende, die wir gerade erleben, ist in Wahrheit ein Militarisierungsschub für den fossilen Kapitalismus. In den Schaltzentralen der Macht ist längst analysiert, dass der Klimawandel zu Konflikten und Konfrontationen in aller Welt beitragen und viele Menschen zur Flucht zwingen wird. Die Antwort sind Aufrüstung und die militärische Sicherung der Grenzen.
Dagegen setzen wir unsere Solidarität. Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und allen anderen von Krieg betroffenen Regionen dieser Welt – in Syrien, dem Irak, Afghanistan oder dem Jemen. Solidarität mit den Menschen in Russland, die sich gegen den Krieg stellen und extremer Repression ausgesetzt sind. Solidarität mit den Gewerkschafter*innen in Weißrussland, die die russische Kriegsmaschinerie sabotieren. Und Solidarität mit allen Menschen auf der Flucht. Für die Verwendung von 100 Milliarden für die Rüstungsindustrie haben wir 100 Milliarden bessere Ideen.
Sauberes Gas ist eine dreckige Lüge
Wer erwartet hatte, dass der russische Angriffskrieg zu einer kontrollierten Senkung des industriellen Verbrauchs fossiler Energien und zu einer beschleunigten Energiewende führen würde, hat sich verrechnet. Die Energielobby instrumentalisiert den Krieg stattdessen, um länger bei fossilen Brennstoffen bleiben zu können. Russische Kohle wird durch Blutkohle aus dem berüchtigten und größten Steinkohletagebau Südamerikas in Kolumbien ersetzt, Flüssiggas soll aus dem autoritären Katar geliefert werden und besonders umweltschädliches Fracking-Gas aus den USA. Dafür werden Milliarden in Flüssiggas-Terminals (LNG-Terminals) investiert.
Die Lösungen, die uns präsentiert werden, um die Klimakrise doch noch aufzuhalten, reproduzieren die kolonialen Macht- und Gewaltverhältnisse.
Dabei ist Gas ein Brandbeschleuniger der Klimakrise. Denn es besteht aus Methan, das kurzfristig 300-mal schädlicher wirkt als CO2. Das kleine Zeitfenster, das uns bleibt, schließt es noch schneller. Von der Gaslobby wird Gas zwar gern als saubere Technologie verkauft. Aber es ist und bleibt ein fossiler Brennstoff, der wie Kohle und Öl im Boden bleiben muss. Statt nach neuen Dealern zu suchen, brauchen wir den fossilen Entzug, müssen wir die erneuerbaren Energien ausbauen und der kapitalistischen Ressourcenverschwendung den Rücken kehren. Statt des fossilen Rollbacks brauchen wir die Energie- und Wärmewende und noch mehr als das: Wir brauchen einen Systemwandel, der den kapitalistischen Wachstumszwängen, der kolonialen Ausbeutung und der Zerstörung von Ökosystemen ein Ende setzt. Dazu gehört auch, im Globalen Norden unsere Art und Weise zu leben zu überdenken, die mit ihrem Drang nach Konsum globale Ungerechtigkeiten reproduziert.
Radikaler Ungehorsam: Gegen das fossile Rollback, gegen den Ausbau fossiler Gasinfrastruktur
Es ist, wie es ist: Entweder wir schaffen den Kapitalismus ab, oder der Kapitalismus schafft die Menschheit ab. Umso mehr bleibt es dabei: Eine andere Welt ist möglich! Im großen Klimacamp von Ende Gelände werden wir vom 9. bis zum 15. August 2022 diese bunte andere Welt lebendig machen. Wir wollen globale Ungerechtigkeiten in den Mittelpunkt stellen und die verschiedenen Kämpfe verbinden, die zusammengehören. Wir werden zusammen diskutieren, voneinander lernen, uns bilden, miteinander kochen, singen, lachen und mit Aktionen radikalen Ungehorsams die fossilen Verhältnisse zum Tanzen bringen. Hamburg ist ein spannender Aktionsraum, weil dort so vieles zusammenkommt: Kolonialer Ausbeutungshandel bis heute, der Hafen als Drehscheibe für Waffenhandel, Atomtransporte und wichtiger Umschlagplatz für Blutkohle. Und ein Stück die Elbe runter warten die Bauplätze für LNG-Terminals auf uns. Also: Auf geht’s, ab geht’s!
Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.