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Kriege brauchen Menschen – aber Menschen brauchen keine Kriege

| GWR-Redaktion

Gwr 472 Titelseite(1)

Seit dem russischen Einmarsch am 24. Februar 2022 sind Militarisierung und Kriegsrhetorik international zum Standard geworden. Der Krieg in der Ukraine, die brutalen Kämpfe und Bombardierungen dauern weiter an, die Zahl der Toten steigt täglich – doch die Regierungen zeigen wenig Interesse daran, auf ein Ende des Mordens hinzuwirken. Stattdessen setzen sie auf Aufrüstung und auf Appelle, den Gürtel enger zu schnallen.
Zugleich aber nimmt die Kriegsmüdigkeit in der Ukraine und Russland zu, und immer mehr Menschen versuchen, sich der Einberufung zu entziehen – auf beiden Seiten: Aus der Ukraine flüchten Tausende Männer trotz des strikten Ausreiseverbots, und in weiten Teilen der Bevölkerung flaut der nationalistische Taumel ab. Gegen Antimilitarist*innen und Kriegsdienstentzieher geht die ukrainische Regierung mit aller Härte vor, um den wachsenden Widerstand zu unterdrücken.

„Wir sterben nicht für eure Kriege!“

Noch offensichtlicher ist die Stimmung in Russland, die trotz der massiven Repression in Massenprotesten zum Ausdruck kam: Nachdem Präsident Wladimir Putin am 21. September die Teilmobilmachung angekündigt hatte, die 300.000 Reservist*innen zum Kriegseinsatz in der Ukraine verpflichten könnte, gingen landesweit Kriegsgegner*innen auf die Straßen. Teilweise verbrannten die Betroffenen öffentlich ihre Wehrpässe. Die russische Polizei reagierte wie schon bei den Protesten im Frühjahr mit extremer Härte und nahm laut Angaben von Menschenrechtsorganisationen innerhalb weniger Tage über 1.300 Demonstrant*innen fest; zuvor hatte Putin Haftstrafen von bis zu 15 Jahren für Protestteilnehmer*innen angedroht. Dennoch halten die Proteste weiter an, und es keimt Hoffnung, dass die Stimmung im Land immer mehr kippt, sodass die russische Regierung ihren Kriegskurs nicht mehr dauerhaft halten kann.
Parallel setzte eine Massenflucht von russischen Reservist*innen ins Ausland ein: Flüge waren komplett ausgebucht, und an den Grenzen bildeten sich lange PKW-Staus. Daneben mehren sich Berichte über Sabotageaktionen gegen den Militärapparat, aber auch über Fälle von Selbstverstümmelung, mit der junge Rekrut*innen dem Einsatz im Ukrainekrieg entgehen wollen.
Anstatt die Abstimmung mit den Füßen, die dem Krieg den Nährboden entzieht, durch eine unbürokratische Aufnahme der Flüchtenden zu unterstützen, verweigern die europäischen Länder russischen Kriegsdienstentzieher*innen den Asylstatus. Stattdessen sind militaristisch-nationalistische Töne zu hören wie die Erklärung des tschechischen Außenministers Jan Lipavsky, der denjenigen, die ihre „Pflichten gegenüber ihrem eigenen Staat“ nicht erfüllen wollten, keine humanitären Visa ausstellen will.
Tatsächlich setzen die europäischen Regierungen auf ihre eigenen militaristischen und nationalistischen Ziele, die sich im Windschatten des Ukrainekriegs hervorragend umsetzen lassen. Das zeigt sich in der Bundesrepublik: Hungern für Hubschrauber, frieren für Fregatten – das ist die Quintessenz der neuen Verzichtspolitik, die das 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr begleitet. Während die Lebenshaltungskosten explodieren, investiert die Regierung in Panzer und Co. Doch auch dagegen regt sich Protest …

Antimilitaristischer Schwerpunkt, Libertäre Buchseiten

Diesen Themen widmen sich mehrere Artikel der vorliegenden Ausgabe: Lou Marin berichtet über die Flucht ukrainischer Männer vor der drohenden Einberufung, und Rüdiger Schilp und Henriette Keller zeigen die Verfolgung von Antimilitarist*innen in der Ukraine am Beispiel von Ruslan Kozaba auf. Während Rudi Friedrich die Situation russischer, ukrainischer und belarussischer Kriegsdienstentzieher*innen und Deserteur*innen schildert und die aktuellen Solidaritätskampagnen vorstellt, fasst Jürgen Wagner die wichtigsten Punkte des Aufrüstungspakets der Bundeswehr zusammen.
Auch weitere Beiträge dieser Ausgabe stehen im Kontext des Ukrainekriegs – seien es die Proteste von Rheinmetall Entwaffnen, seien es die Debatten um eine Laufzeitverlängerung der AKWs oder die lange Zeit geheim gehaltenen Urangeschäfte mit Russland. Vor allem aber liegen wieder einmal– wie immer in der Oktober- und Märzausgabe – die Libertären Buchseiten bei. Auf zwölf Seiten haben wir Rezensionen unterschiedlicher Neuerscheinungen zusammengestellt, die für gewaltfrei-anarchistische Bücherfans interessant sind – ein breites Spektrum für jeden Geschmack, von Graphic Novels über Theoriebände und Aufsatzsammlungen bis hin zu Gedichten. Wir wünschen euch spannende Lektüre!

Silke für die GWR-Redaktion