der rechte rand

Vom Radieschen zur Reichsflugscheibe

Die völkische Anastasia-Siedlungsbewegung

| Hanna Poddig und Sebastian Lipp

Beitragradieschen
Antifaschist*innen demonstrieren am 20. Juni 2021 in Flensburg gegen ein Engelsburg-Treffen - Foto: Pay Numrich

In der Welt der völkischen Siedler*innen der Anastasia-Bewegung sind es oft nur wenige Klicks, die Gartentipps von antisemitischem Geraune und Tag-X-Vorbereitungen trennen. Weil das von außen nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist, gewinnen sie als „harmlose Ökos“ getarnt dennoch immer mehr Anhänger*innen und bauen ihre Landsitze aus – eine brandgefährliche Entwicklung.

„Bioladen in Löllbach: Solidarische Landwirtschaft soll allen helfen“, berichtete die Rhein-Zeitung am 20. Januar 2022 aus Rheinland-Pfalz. „Der Bioladen Achtsamland bildet die Keimzelle für ein größeres Projekt, das in diesem Frühjahr startet. Inhaberin Claudia Rheins Idee ist nicht neu und verspricht Erfolg. Sie lehnt sich dabei an ein erfolgreiches Konzept vieler Biohöfe an: die Solidarische Landwirtschaft (Solawi).“
Das klingt progressiv. Schließlich setzt das Konzept der Solawis auf eine selbstorganisierte und solidarische Kooperation zwischen Verbraucher*innen und Erzeuger*innen, um Markt und Verwertungszwang zu Gunsten einer regionalen, fairen, unabhängigen, bäuerlichen und ökologischen Landwirtschaft auszuhebeln. Das Projekt um das „Achtsamland“ soll „die Basis des notwendigen Wandels in unserer Gesellschaft sein“, denn es sei „an der Zeit, jeglichen unwürdigen Wettbewerb zu beenden“, heißt es auf der Website des dazugehörigen Vereins „lebe einfach e. V.“ Achtsamkeit, Respekt und „Ehrfurcht vor dem Leben“ seien Triebfedern des Engagements.
Im Kanal des Projekts auf dem Messenger-Dienst Telegram sind jedoch mitunter ganz andere Positionen zu finden. So postete eine Nutzerin etwa Falschinformationen und Querdenken-Propaganda gegen selbst basalste Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung wie Masken und Impfungen. Doch Claudia Rhein bittet ihre Nutzer*innen, „(a)uch noch so gute Posts“ zu diesem Thema nicht in die Gruppe zu stellen. Sie diene der realweltlichen Vernetzung. Zu politisch soll es also beim „Achtsamland“ nicht zugehen. Dafür weicht eins lieber auf andere Kanäle aus. Dennoch leitete Rhein selbst etwa Inhalte und Werbung rechtsradikaler Verschwörungsapologet*innen wie Eva Herman oder des Kopp-Verlags in die Gruppe des „Achtsamlands“ weiter. Zwei Nutzerinnen stellen sich als Teil des „Widerstands“ vor.
Die Pandemiejahre haben eindrücklich verdeutlicht, wie anfällig Menschen für simple Erklärungsmuster sind und wie gern sie einfache Feindbilder übernehmen und bedienen. Corona verharmlosenden oder gar leugnenden Demonstrant*innen wurde immer wieder zu Recht vorgeworfen, rechtsoffen zu sein und den Nährboden zu bereiten für einen weiteren Rechtsruck der Gesellschaft. Aber wie genau funktioniert diese Entwicklung, worin liegt die Sogwirkung? Was bringt eigentlich ökologisch orientierte Menschen, die die Welt um sich herum kritisch betrachten, zu völkischen Siedler*innen?

Völkisch-esoterische Romanvorlage

Im Versuch, persönliche Entwicklungen und Motive zu begreifen, tauchen wir ein in die Welt völkischer Siedler*innen. An einer Figur kommen wir dabei nicht vorbei: Anastasia. Sie stammt aus der zehnbändigen Romanreihe „Die klingenden Zedern Russlands“ von Wladimir Megre und wird auch in Deutschland geradezu religiös verehrt. Die Bücher, deren deutsche Übersetzungen zwischen 1999 und 2011 erschienen sind, beinhalten neben Esoterik und Naturromantik genaue Instruktionen zur Gestaltung so genannter Familienlandsitze, also ein Hektar großer Höfe zur Selbstversorgung einer Familie oder Sippe. Aber auch: Frauen verachtende und heteronormative Geschlechtervorstellungen, Verschwörungsmythen sowie völkische, rassistische und antisemitische Ideologie.

Für einen kollektiven Widerstand gegen die verstärkte Landnahme völkischer Ökos gibt es zwar kein Patentrezept, aber doch einige ermutigende Beispiele. So konnte das Anwachsen einer Regionalgruppe der „Akademie Engelsburg“ in Flensburg gestört werden, weil deren öffentliches Treffen von lauten Tröten und Redebeiträgen begleitet und deren Chat auf Telegram unterwandert wurde.

Als „Geschenk der Liebe an die Menschheit“ werden die Bücher angepriesen, auf youtube werden Besprechungen hunderttausendfach geklickt, zahlreiche Telegram-Kanäle mit tausenden Mitgliedern allein im deutschsprachigen Raum widmen sich explizit der Anastasia-Ideologie, Blogger*innen greifen Zitate aus den Büchern auf, und seit über zehn Jahren existiert mit „Garten WEden“ ein Monatsmagazin für Selbstversorgung, das sich explizit auf den „Traum Anastasias“ bezieht.

Von der Naturverbundenheit zur Verschwörungsideologie …

Im Online-Forum „Ökologisch Siedeln“ beschreibt eine 57-jährige Tierheilpraktikerin mit Schwerpunkt Homöopathie, die Aussagen Anastasias seien für sie die „fehlenden Puzzle-Teilchen“, die sie „immer gesucht habe“. Bisher habe sie nur ein Hochbeet, jetzt wolle sie „Richtung Selbstversorgung starten“. Eine alleinerziehende Mutter schildert, sie habe psychische und physische Gewalt erlebt, sei vor ihrem „Nochehemann“ geflohen, habe nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung keinen Kontakt mehr zu zweien ihrer Kinder und suche „dringend eine Gemeinschaft“. Sie hoffe, samt ihrer ängstlichen einjährigen Hündin „bald Anschluss“ zu finden.
Auf die Frage, was Menschen motiviert, sich gerade in Anastasia-affinen Communitys zu organisieren, antwortet eine Person, sie sei zwar „zu vielem auch anderer Meinung, aber Diskurs ist ja das, was der Gesellschaft aus meiner Sicht abhanden gekommen ist.“ Sie ergänzt: „Mich interessiert vor allem die Verbindung zur Natur, die ich für Menschen für elementar halte, der Schutz der Böden und der Luft. Außerdem finde ich hier glücklicherweise niemanden, der auf Atomenergie steht und der Rüstungsausgaben toll findet. Vieles von dem, wofür die Grünen vor Jahrzehnten standen, die ich aber heute als Totalausfall empfinde.“
Doch mit der Presse sprechen wollen die Anastasia-Anhänger*innen in der Regel nicht. Spätestens als klar wird, dass auch kritische Fragen zu erwarten sind, werden Gespräche abgebrochen, aus manchen Foren werden wir verbannt. Auch Claudia Rhein aus dem „Achtsamland“, die wir ebenfalls bei „Ökologisch Siedeln“ wiederfinden, sagt einen Interviewtermin kurzfristig ab.
Große Enttäuschungen und Hoffnungen auf eine bessere Zukunft verbinden auch hunderte Menschen im „Landsitzliebe“-Single-Chat. Unter dem Deckmantel einer harmlosen Öko-Single-Plattform werden hier wie selbstverständlich und unwidersprochen patriarchale Geschlechterrollen reproduziert und antisemitische Bücher empfohlen. Mittlerweile existieren im deutschsprachigen Raum hunderte – wenn nicht gar tausende – solcher Gruppen, deren Inhalte vielfach unkommentiert geteilt werden und fließend ineinander übergehen. Von vermeintlicher Coronaaufklärung und Gartentipps über Buchempfehlungen und Singlechats bis zu Reichsbürgerideologie und Tag-X-Vorbereitung: Vom Radieschen zur Reichsflugscheibe sind es nur wenige Klicks.

… und raus aufs Land

Bereits rund 20 reale Hofprojekte allein in Deutschland beziehen sich explizit auf die Ideenwelt Anastasias; zahlreiche Initiativen in Gründung kommen hinzu. Prominent und aktiv sind etwa „Goldenes Grabow“ in Brandenburg, „Weda Elysia“ im Harz und der „Mutterhof“ im Allgäu.
In der verträumten, dünn besiedelten Prignitz auf halber Strecke zwischen Berlin und Hamburg liegt das „Goldene Grabow“. Seit sich die Anastasia-Anhänger*innen in Grabow bei Blumenthal niederließen, haben einige der rund 200 Ortsansässigen Angst. Kritiker*innen werden eingeschüchtert. „Spinner, dachte ich zu Anfang. Aber sie haben sich ja schon ganz klar zu erkennen gegeben, dass sie nicht nur Öko-Spinner sind“, sagte eine Anwohnerin, die anonym bleiben möchte, gegenüber dem Deutschlandfunk Kultur (1). „Nach außen wird immer präsentiert: Wir wollen nur unsere Biokartoffeln anbauen und nachhaltig leben.“ Tatsächlich finden hier auch rechtsradikale Veranstaltungen statt. Beim „Anastasia-Festival“ 2015 stand ein Teil der aus dem völkischen Freibund der 1990er-Jahre bekannten Widmer-Sippe auf der Grabower Bühne. Zum Projekt sollen bereits mehr als 80 Hektar Land gehören.
Ganz im Süden der Republik im Markt Unterthingau im Ostallgäu liegt der „Mutterhof“. In seinem professionellen PR-Video kommt dieser als modernes Pionierprojekt für eine ökologische und nachhaltige Zukunft daher. Projektgründer und Permakultur-Enthusiast Robert Briechle beklagt darin den „Humus- und Artenschwund“ sowie das „Degenerieren der Agrarflächen“. Dagegen soll sein Hofprojekt „möglichst vielen Menschen einen Weg für ein Leben auf dem Land im Einklang mit der Natur eröffnen und damit die ganzen Lebensräume für alle Lebewesen erschaffen.“ Mit einem wöchentlichen Obst- und Gemüsemarkt lockt Briechle Produzierende und Konsumierende aus der ganzen Region auf den „Mutterhof“. In einem Gespräch, das im Juli 2020 auf youtube veröffentlicht wurde (2), spricht der Landwirt allerdings mit dem Brandenburger Neonazi Frank Willy Ludwig über seine „Aufgabe für den Stamm, für das Volk, für das Heil der Erde und das Heil der Wesen auf der Erde“. Am Ende des Gesprächs erwähnt Ludwig eine „Verantwortung der weißen Rasse“.
Auf Strategieschulungen für die Anastasia-Bewegung erklärte Ludwig, worum es der Bewegung gehen soll, wie ein der ARD zugespieltes Video zeigt: „Kümmert euch um eure Frau. Zeugt Kinder. Schafft euch einen Garten an, fertig. Das ist es doch, was der Führer auch gesagt hat. Blut und Boden. Kraft durch Freude.“ Nur nach außen sollen die Siedler*innen ganz anders auftreten: „Gründet etwas Schönes. […] Die bezaubern dann auch die Leute, wenn sie öffentlich auftreten, durch Gesang und durch die Kleidung und durch Tanz. Das ist wichtig. Weil wenn du dich im Volk beliebt machst, kann kein Politiker, keine dunkle Macht mehr sagen: ‚Ey, das sind Böse‘. Dann sagen die: ‚Moment mal, die habe ich doch beim Konzert erlebt. Wie können die böse sein, die sind doch toll.‘“
Als Beispiel für dieses Vorgehen nennt Ludwig „Weda Elysia“. Das Projekt wirbt mit einem Imagekurzfilm mit dem Titel „Herzkraft“ für die eigene Ideologie. Die „Kraft der Heimat“ wird darin beschworen, Frauen tauchen meist in langen Röcken auf und betonen die Wichtigkeit der Bindung von Kindern an ihre Wurzeln. Von eigener Kultur, Tradition und Brauchtum ist die Rede, vom Wissen der Ahnen und von Volkstanz und Heimatliedern. Geflochtene Zöpfe und Spinnräder für die Frauen stehen sensenden und bauenden Männern gegenüber. Nicht Teil des Videos: Die ideologische und persönliche Nähe der Bewohner*innen „Weda Elysias“ zu Reichsbürgerbewegung, Identitären und anderen Rechtsradikalen.

Anastasias Weltanschauung: antisemitisch, rassistisch und misogyn

„Laut Mainstream sind wir alle Nazis lol“, kommentiert ein User bei youtube ein Anastasia-Video und liefert damit eine für die Szene symptomatische Reaktion auf Kritik. Selbstverständlich sind nicht alle Menschen, die Interesse oder Bewunderung für Anastasia zeigen, überzeugte Nazis, aber das ist auch selten der Vorwurf. Insofern ist die Abwehrhaltung ein Strohmann-Argument: Es widerlegt eine so gar nicht aufgestellte Behauptung.
Die Methode begegnet uns bei unseren Recherchen immer wieder. Selbst relative Neulinge, die über möglichst unpolitisch gehaltene Gruppen wie die von Claudia Rhein akquiriert werden, leugnen immer wieder die völkische Grundlage Anastasias. Beide Strategien dienen der Selbstverharmlosung der Szene und sind inzwischen aus Querdenken-Kreisen sattsam bekannt. Nach ehrlichem Interesse daran, wie die Neue Rechte funktioniert, oder einer kritischen Auseinandersetzung mit den antisemitischen und rassistischen Inhalten der Romanreihe können wir innerhalb der Anastasia-Fanszene nur vergeblich suchen.
Angesichts der Inhalte der Bücher ist das höchst beunruhigend. „Das jüdische Volk“ habe „vor den Menschen Schuld“ – und würde deshalb seit Jahrhunderten verfolgt, heißt es in Band 6 der Anastasia-Reihe. Und in Band 7 wird dann weiter behauptet, vielen jüdischen Menschen gelänge es „ganz gut“, „so viel Geld wie nur möglich in ihren Händen zu konzentrieren“, und: „In vielen Ländern der Welt“ bestünden „die Bankvorstände aus Juden und das ist ihre Aufgabe.“ Außerdem schreibt Megre: „Wenn es erforderlich ist, können die Leviten natürlich auch den Bankprofis einen Ratschlag geben, welche Anlagen momentan vielversprechend sind. Sie können allerdings auch ihre Empfehlungen abgeben, welches Regime, welche Gruppierungen oder Oppositionsbewegungen zu unterstützen oder mit Hilfe von finanziellen Intrigen zu vernichten sind.“ Im Klartext: Eine kleine Gruppe jüdischer Menschen im Hintergrund steuere das Weltgeschehen – der antisemitische Verschwörungsmythos schlechthin.
Und auch Megres Vererbungs- und Rassenlehre ist nur schwer zu ertragen. In Band 8 schreibt er: „Der erste Mann im Leben einer Jungfrau prägt ihr einen Stempel seines Geistes und seines Blutes auf. Er bestimmt ein psychisches und physisches Bild der Kinder vor, die sie gebären wird. Alle anderen Männer, die mit ihr intime Verhältnisse haben werden, um eventuell ein Kind zu zeugen, sind letztlich nur Samenspender und Überträger von Geschlechtskrankheiten.“ Die Schilderungen von Ritualen, bei denen „das Mädchen“ als „Zeichen des Gehorsams“ den Kopf senkt (Band 6), illustrieren wenig überraschend das unter Anastasia-Anhänger*innen bevorzugte Geschlechterverhältnis. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Romane neben den Schilderungen der Weltanschauung der Frau aus der Taiga auch Szenen enthalten, in denen Kleinkinder mit Hilfe von Mammuts die Welt retten oder eine Gruppe Prostituierter am Strand Bandenbosse zusammenschießt.

Per Militärdiktatur vom „satanischen Konstrukt“ ins Deutsche Reich

Aber wie kommen Menschen aus ihren Telegram-Blasen oder kruden Romanwelten zu realen Vernetzungen und Landsitzprojekten? Eine wichtige Schnittstelle ist die „Akademie Engelsburg“. Deren Oberguru Martin Laker hat im Mai 2021 über seinen Telegram-Kanal mit immerhin 47.000 Abonnent*innen dazu aufgerufen, Regionalgruppen der „Akademie Engelsburg“ zu gründen. Tausende Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz folgten dem Aufruf und gründeten innerhalb kürzester Zeit hunderte Ortsgruppen bzw. in Großstädten diverse Stadtteilgruppen. Sie gehen wandern, machen Stockbrot, tauschen sich über Chemtrails, germanische Mythologie und Gemüseanbau aus – und eben über Anastasias Ideen und deren Umsetzung.
Laut Laker stehe Anastasia über allem und habe „den ganz obersten Plan gemacht“. Das Ziel sei, das jetzige „satanische Konstrukt“ abzubauen und dann, nach einer mehrjährigen Phase der Militärdiktatur, ein Deutsches Reich zu errichten. Anastasia untergeordnet sei dann Q mit seinen Q-Anons, den „digital soldiers“ der Bewegung, wie sich Laker auch selbst beschreibt. So verbindet der Öko-Guru die Ideenwelt Anastasias mit Querdenken- und Reichsbürgerideologie.
In den „Engelsburger Neuigkeiten“, seinem regelmäßigen Videoformat, betonte Laker im Mai 2021 zunächst, die „göttliche Schöpfung“ sei „kunterbunt“, aber wenn er erlebe, wie „jemand eine Gruppierung mit einer anderen zusammenmatscht“, habe man „keine zwei unterschiedlichen Farben mehr, sondern man geht ins Mischen“. Und genau das sei es, was „die Globalisten die letzten 70 Jahre“ gemacht hätten. Die Schlussfolgerung des antisemitischen Rassisten: „Und das ist ganz ganz wichtig, dass wir bei unserer Farbe bleiben, jeder bei seiner“.
Wenige Wochen später kommentiert Laker die Shoah. Er sagt, unsere „Ahnen“ hätten „gar nichts Schlimmes gemacht, das wurdʼ nur so verdreht, dass wir glauben, dass die was Schlimmes gemacht haben, und dass wir uns von denen distanzieren, und das ist falsch!“ Ob er den industriellen Massenmord der Nazis nun leugnet oder verherrlicht, geht aus Lakers Ausführungen nicht hervor.

Direkt auf dem Anastasia-Landsitz Mutterhof in Unterthingau findet einmal wöchentlich der örtliche Obst- und Gemüsemarkt statt, über den sich Menschen aus der Umgebung versorgen. – Foto: Sebastian Lipp
Was schön klingt, ist auch ein Geschäftsmodell

Zwar wirken selbstversorgende Siedlungsprojekte auf den ersten Blick nach dem Gegenteil von kapitalistischer Verwertungslogik, und doch steckt bei näherer Betrachtung hinter zahlreichen Ansätzen auch eine Methode, Geld zu verdienen. Nicht immer wird der zu zahlende Preis dabei „Preis“ genannt, immer wieder ist stattdessen von „Energieausgleich“ die Rede. Bemessen wird letzterer aber auch in Euro, und das oft nicht zu knapp.
So bewirbt Laker verschiedenste Produkte und Workshops. Eine der angepriesenen Erfindungen sind so genannte Naturharmoniestationen (NHS), die als Bausatz knapp 200 Euro und fertig montiert rund 500 Euro kosten. Zahlreiche Chatgruppen auf Telegram tauschen sich darüber aus, welche Wetterveränderungen angeblich auf den Einsatz solcher Naturharmoniestationen zurückzuführen seien, und die Miniversion für „nur“ 100 Euro als Halskette schütze angeblich vor den vermeintlich gefährlichen Spike-Proteinen geimpfter Personen.
Im Vergleich zu den ebenfalls von Laker beworbenen Produkten der Firma „Airnergy“ aus Hennef ist eine NHS jedoch sogar noch günstig. Bis zu 9.000 Euro kosten die dort angebotenen „Waldluft-Generatoren“, deren Effekt laut einer von der Internetplattform psiram.com zitierten Studie der Sportwissenschaftlerin Dr. Petra Platen nicht über den Placeboeffekt hinausgeht.
Und auch auf den Flugblättern der Initiative „Wedenhain“ aus Schleswig-Holstein findet sich ein wohlwollender Hinweis auf eine Verkäuferin ätherischer Öle. Bei näherer Betrachtung entpuppt sie sich schlicht als Teil eines Multilevel-Marketing-Modells, bei dem, ähnlich wie bei klassischen Schneeballsystemen, die Verkaufenden gedrängt werden, weitere Wiederverkäufer*innen anzuwerben.

Marshmallow-Seelen, Hohlerde und Mond-Raumstation

Der Mond, meint Laker, sei eine vor Hunderttausenden von Jahren in die Umlaufbahn gebrachte künstliche Raumstation. Er würde vielleicht auch bald weggebracht. Es seien zahlreiche Flugscheiben am Himmel unterwegs. Und er selber pendle zwischen dieser Welt der dritten Dimension und der fünften. Menschen, die, wie Laker, an Leben oder Reisen in der fünften Dimension glauben, können direkt Mitglied werden im 5D-Movement, strukturiert in bisher rund 25 Regionalgruppen im deutschsprachigen Raum. Eine Gemeinschaft, „wo wir wir selbst sein dürfen“, sei diese Bewegung. Es gehe um das Spielen und Ausprobieren und darum, das „Paradies auf Erden“ zu erschaffen.
Wenn wir eines bei unseren Recherchen immer wieder lernen, dann, dass es offenbar nichts gibt, das zu absurd wäre, es zu verbreiten, ohne den Zugewinn an Anhänger*innen zu stoppen. Der „Geistheiler Sananda“, der ebenfalls die Anastasia-Bücher empfiehlt, beschreibt in einem seiner Videos, ihm sei die Seele einer verstorbenen Person in Gestalt eines Marshmallows begegnet. Und von Christa Jasinski, Herausgeberin des bereits erwähnten „Garten WEden“-Magazins, können wir im gleichnamigen Verlag auch noch die angeblichen Tagebuchaufzeichnungen ihres verstorbenen Mannes kaufen, der in neun Büchern von Zivilisationen auf der Innenseite der Erde berichtet und – wen wundertʼs – antisemitische Verschwörungsmythen bedient.

„Die sind mir eher alternativ vorgekommen“

Mit solchen Ideen beschäftigen sich auch die Initiator*innen eines größeren Landkaufs im Allgäu. An wenigstens drei Orten wollte eine rund 30-köpfige Gruppe um Benjamin W. Ende 2021 für mehr als sechs Millionen Euro Grundstücke und Anwesen erwerben, um eine „LebensOase“ aufzubauen. Mit der Idee ihres Ökodorfs nahm die Gruppe Immobilienbesitzer*innen, Gemeinderäte und Ortsvorsitzende für sich ein – bis Recherchen die kruden antisemitischen und okkult-rassistischen Einflüsse und die Planungen zum Aufbau von Landsitzen aufdeckten. „Die sind mir eher alternativ vorgekommen, vom ganzen Habitus, vom Look und so weiter. Nie im Leben hätte ich da an etwas Völkisches oder Rechtsradikales gedacht“, erklärt Joachim Konrad, Erster Bürgermeister (CSU) der betroffenen Gemeinde Altusried. Seine angebotene Unterstützung sei damit hinfällig, er wolle sich nicht als „Steigbügelhalter“ hergeben. Das Projekt scheitert – zumindest an diesem Standort. Jetzt sucht die Gruppe weiter nach geeigneten Arealen.
Auch der „Mutterhof“ des Allgäuer Anastasia-Fans Robert Briechle expandiert. Ebenfalls Ende 2021 beteiligte er sich am Aufbau eines Landsitzes, nachdem die Ernährungswissenschaftlerin Manuela G. im rund 20 Kilometer entfernten Irsee bei Kaufbeuren ein 1,25 Hektar großes Grünland-Areal am Waldrand nur wenige hundert Meter westlich der schwäbischen Markt- und Klostergemeinde erwarb. Auch die 48-jährige Kaufbeurerin träumt in einem Video, mit dem sie das Projekt vorstellt, davon, eine „Einheit“ von „Mensch, Tier, Natur“ zu schaffen. Sie will das Gelände „in etwas Blühendes, etwas Lebendes“ verwandeln. Nur am Rande deutet sie an, dass es Megres Bücher sind, die sie inspirieren.
Mit deren problematischen Anteilen will sie aber auf Nachfrage nichts zu tun haben: „Wenn ich ein Buch lese, dann nehme ich das, was für mich an Essenz wichtig ist, und das war bei Anastasia einfach diese Familiengärten, die gestaltet werden.“ Mit dem Begriff der „Familiengärten“ bezeichnet der „Mutterhof“ heute seine als Familienlandsitze konzipierten Areale, um den Anastasia-Bezug zu verschleiern. Mit der Anastasia-Bewegung identifiziere sie sich nicht, so G. Doch deren rassistische und antisemitische Inhalte schreckten sie nicht ab. Auch Briechles Kontakte in Neonazi-Kreise spielen für sie keine Rolle, sagt sie. Überhaupt seien die Vorwürfe gegen ihn falsch. Für sie habe der „Mutterhof“-Gründer „das Herz am rechten Fleck“. G. würde auch Neonazis willkommen heißen, wenn sich diese auf ihrem Gelände inspirieren lassen wollten. Auch G. erfuhr zunächst Unterstützung seitens der Behörden.

Was tun? Was tun!

Die Bewegung ist heterogen und wirbt auf unterschiedlichsten harmlos daherkommenden Kanälen erfolgreich Menschen an. Die ideologische Veränderung geschieht stetig, manchmal für Außenstehende schwer erkennbar und dann scheinbar ganz plötzlich in großen Sprüngen. Es mag platt und abgedroschen wirken, aber vor allem kommt es wie immer darauf an, dem Rechtsruck im Alltag entgegenzutreten. Wenn Bürgerkriegsszenarien und rechte Literatur beworben werden oder Brauchtum verklärt wird, im Familienchat, in der solidarischen Landwirtschaft, im Bioladen, in der Naturheilkundepraxis oder an Weihnachten, dann verdient das entschlossenen Widerspruch. Wenn Menschen von merkwürdig wirkenden Workshops oder Seminaren berichten oder seltsame Produkte erwerben, lohnen sich genaue und kritische Nachfragen – und eine klare Haltung. Denn nach „harmlos“ kommt „zu spät“.
Manche Kooperation zwischen völkischen Siedler*innen und Behörden konnte erst durch intensive investigative Recherche abgewendet werden. Politik und Verwaltung müssten ihre Verantwortung erkennen, sich eigeninitiativ schulen und wachsam sein. Mancherorts passiert das bereits. Hier haben die völkischen Siedler*innen trotz Camouflage kaum eine Chance, Fuß zu fassen.
Wo das (noch) nicht der Fall ist, kommt es auf die Zivilgesellschaft und insbesondere die Ökoszene selbst an. Für einen kollektiven Widerstand gegen die verstärkte Landnahme völkischer Ökos gibt es zwar kein Patentrezept, aber doch einige ermutigende Beispiele. So konnte das Anwachsen einer Regionalgruppe der „Akademie Engelsburg“ in Flensburg gestört werden, weil deren öffentliches Treffen von lauten Tröten und Redebeiträgen begleitet und deren Chat auf Telegram unterwandert wurde. Und im Harz haben sich Anwohner*innen zusammengetan und mit „Kreuzen ohne Haken für Vielfalt“ deutlich gemacht, dass sie keine Lust haben auf die völkischen Siedler*innen am Ort. Als Antifaschist*innen die Bevölkerung Unterthingaus informierten, musste auch der „Mutterhof“ Sympathiepunkte einbüßen. Es gilt also, Augen und Ohren offenzuhalten und gegen entsprechende Tendenzen aktiv zu werden.

((1)) vgl. Deutschlandfunk-Sendung vom 22.11.2021: https://www.deutschlandfunkkultur.de/sekte-in-der-ostprignitz-voelkische-siedler-bedraengen-anwohner-100.html
((2)) Mehr Informationen zum Video unter https://allgaeu-rechtsaussen.de/2020/11/16/umkaempfte-allgaeuer-oekoszene-mutterhof-unterthingau/

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

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