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Spielt doch einfach schlecht!

Ein Kommentar zur aktuellen Fußball-Weltmeisterschaft

| Alexandre Kintzinger

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Foto: duncan cumming via flickr.com, https://flic.kr/p/2nCRK6S, (CC BY-NC 2.0)

Nicht nach Katar zu gehen, war für die Profis der DFB-Elf scheinbar nicht zumutbar. Jetzt sind sie alle dort und dürfen nicht mal die „One Love“-Armbinde tragen. Was können die Profis jetzt noch tun, abgesehen von Lippenbekenntnissen? Die Lösung liegt auf der Hand – nämlich konsequente Spielverweigerung.

Eine Schlagzeile der letzten Tage: Rewe wendet sich vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) ab. Aufmerksame Beobachter:innen des DFB denken sich hier wohl: Warum erst jetzt? Ist ja nicht so, als wäre der DFB über die Jahrzehnte hinweg ein lupenreiner gemeinnütziger Verein ohne Skandale gewesen. Das marode und korrupte System der nationalen und internationalen Fußballverbände ist aber nur eines von vielen Problemen. Da ist es wichtig, dass wir die Spieler nicht allzu leichtfertig aus ihrer Eigenverantwortung entlassen. Denn einige der Profis äußern sich zwar gerne in der Presse, wie moralisch verwerflich die WM in Katar doch sei, wenn es aber darum geht, sichtbare Zeichen zu setzen, die über bloße Worte hinausgehen, dann wird gerne von Seiten der Spieler argumentiert, dass man machtlos sei und die Macht des Verbandes allumfassend.

Ist das so? Immerhin handelt es sich beim aktuellen WM-Kader praktisch durchweg um Einkommensmillionäre. Das Machtgefälle ist deswegen auch ein anderes als zum Beispiel bei streikenden Lagerarbeiter:innen und dem Riesenkonzern Amazon. Das vulgärliberale Narrativ der angeblichen deutschen Neidgesellschaft scheint hier nicht zu greifen. Fußballprofis sind nämlich die liberale Erfolgsgeschichte, mit der ganz viele Menschen leben können; auch die „Kapitalismuskritik light“ von einer linksliberalen Warte aus ist im Fall des professionellen Fußballsports wenig zu vernehmen. Dann wird lieber auf die positiven Integrationsbiografien verwiesen und wie schön bunt die „Mannschaft“ doch ist. Bürgerliche Selbstbeweihräucherung par excellence. Und das „Bunte“ endet im Fußball wohlgemerkt, wenn es über heteronormative Grenzen hinausgeht.

Der „Whataboutism“ der Argumente gegen einen harten Boykott der WM, also dass die DFB-Elf gar nicht erst zum Turnier fahren sollte, war bezeichnend für die moralische Scheinheiligkeit der deutschen Sportkultur. Darunter waren unter anderem Klassiker wie die Begründung, dass, wenn doch alle hinfahren, es ja nichts bringen würde, wenn Deutschland nicht hinfahren würde. Oder die krokodilstränenhafte Aussage, dass es für jeden Spieler doch ein Traum sei, bei einer WM zu spielen, und ihnen dies um Gottes willen nicht verwehrt werden sollte. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) leistet mit seiner „Doppel-Berichterstattung“ dieser Scheinheiligkeit Schützenhilfe: Hochglanzbilder aus zig verschiedenen Perspektiven direkt aus dem Herzen der Bestie. Ganz nach Bertolt Brecht: „Erst schauen wir die Spiele, dann kommt die Moral“.

Ob das Tandem aus kritischer Berichterstattung einerseits und Sportübertragung andererseits wirklich den Verfremdungseffekt bewirkt (um mal bei Brecht zu bleiben), der bei den Zuschauer:innen, die sich dafür entschieden haben, die WM zu verfolgen, ein Bewusstsein hervorbringt, das gewillt ist, die Problematik des Systems Profifußball zu erkennen, ist sehr fraglich. Die kritische Berichterstattung ist hier weniger einer Haltung geschuldet, sondern eher moralischer Ablasshandel. Wenn es um die Rundfunkgebühr geht, wird gerne von „Demokratieabgabe“ gesprochen. Denn beim ÖRR wird nämlich angeblich Haltung gezeigt, frei vom finanziellen Druck des „bösen“ Marktes. Doch König Fußball scheint übermächtig. Haltung zu zeigen und die WM nicht zu übertragen, schien folglich keine Option. Dabei finden wir hier eine WM vor, die mehrheitlich auf Desinteresse innerhalb der Bevölkerung trifft. Naja, einige mögen es ja als Fortschritt sehen, denn bei vorherigen Weltmeisterschaften war kritische Berichterstattung eine marginale Randerscheinung.

Doch jeder Groll ist nun vergebens. Jetzt sind die „Jungs“ in Katar, und der Nationalspieler Leon Goretzka äußerte sich sichtlich empört über das Verhalten des Fifa-Bosses Gianni Infantino in Bezug auf seine Entscheidung, Spieler zu sanktionieren, welche die „One Love“-Armbinde tragen. Na gut, das erste Spiel der „Mannschaft“ fand nun ohne die berüchtigte Armbinde statt. Zu groß die Angst der Spieler vor gelben Karten. Ein Zeichen setzen wollten die Spieler dennoch: Beim Teamfoto hielten sie sich demonstrativ den Mund zu. Die Symbolik dahinter? – Uns kann keine:r verbieten, Haltung zu zeigen. Böse Zungen würden hier von Gratismut sprechen, vor allem mit Blick auf die iranische Mannschaft, die sich aus Protest gegen die aktuelle Situation in ihrem Land geweigert hatte, ihre Hymne zu singen. Derzeit ist nicht abzusehen, ob das Regime bei ihrer Rückkehr in den Iran strafrechtliche Konsequenzen gegen die Spieler ergreifen wird.

Die Niederlage der DFB-Elf gegen Japan im Auftaktspiel war vielleicht auch eine Form des Protestes. Spielverweigerung als letzte Möglichkeit, das Turnier zu sabotieren? Jedenfalls wäre es noch eine Option für das letzte Spiel. Denn mal ehrlich: Möchten die Spieler wirklich noch länger Teil dieser Farce sein? Gegen Costa Rica haben die Spieler es nun in der Hand, die Teilhabe am katarischen Fußballzirkus zu beenden und das Disneyland am Golf schnell wieder zu verlassen.

Falls die deutsche Elf sich für diesen Schritt entscheidet, könnten sich die anderen Mannschaften davon sicherlich eine Scheibe abschneiden. So oder so, ein vorzeitiges Aus der Nationalmannschaft ist derzeit sowieso möglich, ob dies nun mit bewusstem oder unbewusstem schlechtem Spiel zu tun hat. Doch auch hier ist es leider womöglich sehr naiv, darauf zu hoffen, während dieser WM von den teilnehmenden Mannschaften noch irgendwelche wirksamen Aktionen von Solidarität und Humanismus zu erwarten, also Aktionen, die über Phrasen und Floskeln hinausgehen und mehr sind als nur moralistische Gewissensberuhigung.

Bleibt zudem abzuwarten, wie die Reaktionen aus der Riege des Sportboulevards sein werden. Durchaus vorstellbar, dass einer der vielen Ex-Trainer oder Alphatier-Fußballlegenden, die gerne als Experten bei Sportmedien und Boulevardpresse fungieren, sich dann darüber echauffieren werden, man hätte die Spieler doch lieber in Ruhe lassen sollen mit dem ganzen Politikkram. Immer nach der Devise: Menschenrechte schön und gut – das letzte Ventil für den deutschen Nationalstolz, also der Sport, sollte deswegen aber nicht mies gemacht werden.

Dies ist ein Beitrag der Online-Redaktion. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.